Adalbert
Stifter: "Der Waldgänger"
Gelesen
von Peter Simonischek
(Hörbuchrezension)
Adalbert
Stifters Dialektik der Gegensätze
Peter Simonischek trifft den Geist der Biedermeierzeit sowie den
Stifter'schen Ton der Novelle "Der Waldgänger" auf das
Vorzüglichste.
Die subtile Wohnkultur und Kunst des Bürgertums nach dem Ende
der Napoleonischen Zeit (1815) bis zu den Revolutionsjahren (1848/49)
wurde häufig zu Unrecht als "hausbacken" und konservativ
bezeichnet. Die Flucht ins Idyll, nach Goethes Sekretär
Johannes Peter Eckermann eine "reine Wirklichkeit im Lichte
milder Verklärung", galt als typisch. Carl Spitzwegs
romantische Genre- und Landschaftsmalerei ist das wohl
charakteristischste Beispiel dieser Periode, die als Biedermeierzeit in
die Geschichte einging.
Diese Epoche prägte natürlich auch ihre Literatur. "Die
Natur war den Dichtern des Biedermeiers nicht mehr
Projektionsfläche sehnsüchtigen Welt- und
Ichschmerzes, sondern Gut und Schöpfung und scharf zu
beobachten." (Quelle: "wikipedia")
Einer der bedeutendsten Vertreter war zweifelsohne der
österreichische Autor Adalbert Stifter (1805-1868). Oft
belächelt und wohl auch verkannt - der Vorwurf der Langeweile
ist an seinen Werken hängengeblieben - zählte Stifter
durchaus namhafte Vertreter des literarischen Genres, wie zum Beispiel
Franz Kafka, zu seinen Verehrern. Auch
Nietzsche erholte sich bei
Stifters gedämpftem Stil von den rauschhaften Wirkungen
Wagners.
Peter Handke und
Brigitte Kronauer schätzen den Autor
auch heute noch.
Der 1805 im böhmischen Oberplan geborene Adalbert Stifter war
ein Mensch mit extremen, destruktiven, ja nahezu ans Psychopathische
grenzenden Zügen. Mittels Schreiben versuchte er, seine schon
halb gescheiterte Existenz in den Griff zu bekommen und sich stets zu
humaner Klarheit durchzuringen. Seine Erzählungen durchziehen
meist tiefe Schwermut und gärende Unruhe, die jedoch von
oberflächlicher Ruhe und Idylle und manchmal gar nicht so
recht passender Heiterkeit überlagert werden.
Aber gerade diese Dialektik der Gegensätze sorgt für
eigentümliche Spannung. Und wenn diese - wie in der
vorliegenden Hörbuchfassung - so wunderbar vorgetragen wird
wie von seinem Landsmann, dem großartigen Peter Simonischek,
dann verschwindet das Verklärte und "Spießige", das
man Stifter allzu oft nachsagt, gar völlig.
Sätze von ausdrucksvoller Knappheit
"Der Waldgänger" (1846), eine von Stifters bedeutendsten
Erzählungen, ist der geradezu typische Vertreter für
seine eigentümlich faszinierende, tief anrührende,
aber auch befremdliche, ja beinahe verschrobene Welt.
Sie beginnt mit überwältigenden
Landschaftsbeschreibungen und der innigen Beziehung eines alten Mannes
- eben jenes Waldgängers - zu einem kleinen Buben, dem er den
Blick für die Schönheit der Natur öffnet und
das Lesen und Schreiben beibringt, bis dieser aus den Kinderschuhen
schlüpft und in die Welt hinauszieht.
Bereits am Anfang dieser Erzählung gewinnt der Hörer
einen ersten Eindruck kennzeichnender Stifter-Sätze, hinter
deren Schlichtheit ein vulkanisches Brodeln zu spüren ist: "Die
Kinder wurden groß und gingen fort." Sätze
von derart ausdrucksvoller Knappheit sind im ganzen Buch zu
hören und zeichnen wahrscheinlich nur noch
Heinrich von Kleist
aus.
Lässt Stifter zu Beginn den Hörer noch im Unklaren
über die eigentümliche Verbindung der Zwei, so
kristallisiert sich mit der anschließend erzählten
Lebensgeschichte des "Waldgängers" die wahre Tragik dieses
alten Mannes mit dramatischer Schnelligkeit heraus. Ein Stil, der in
Stifters Erzählungen oft zu finden ist. Thomas Mann
rühmte den Autor einmal als "einen der
merkwürdigsten, hintergründigsten, heimlich
kühnsten und wunderlich packendsten Erzähler der
Weltliteratur". Hinter der stillen Genauigkeit seiner
Naturbetrachtung sei eine "Neigung zum Exzessiven,
Elementar-Katastrophalen, Pathologischen wirksam".
Berührendes autobiografisches Dokument
"Der Waldgänger" ist die aberwitzige Schilderung eines sich
wegen seiner Kinderlosigkeit trennenden Ehepaares, das meint, mit einer
kinderlosen Ehe eine Sünde zu begehen, obwohl sie doch
zusammen glücklich waren, und ist zugleich das wohl
berührende autobiografische Dokument des Schriftstellers.
So zögerte Stifter jahrelang hinaus, die Liebe seines Lebens,
Fanny Greipl, zu heiraten, bis sie sich von ihm abwandte. Seine danach
eingegangene lustlose, kinderlos bleibende Ehe mit der Putzmacherin
Amalia Mohaupt, die kaum Verständnis für seine Kunst
entwickelte, war daraufhin eine verlässliche Basis
für lebenslange Depressionen, Entsagungsideen und kulinarische
Ersatzbefriedigungen.
Sein von Harmonie und Erbaulichkeit geprägtes
Verhältnis zwischen der gebrechlichen, verunsicherten
Menschenwelt und wuchtigen Naturschilderungen wird mit Stifters
persönlicher Vita als verzweifelter Versuch begreifbar, dem
Zerstörerischen und Destruktiven eine ästhetische
"heile Welt" entgegenzustellen.
Mit Peter Simonischek wurde ein geradezu prädestinierter
Sprecher gewählt. Er versteht es großartig, den ganz
eigenen Stifter-Ton zu treffen. Gefühlvoll und
zärtlich zum Einen, kraftvoll und erregt zum Anderen,
weiß er durch seine Stimme das geschriebene Wort des Autors
zum Leben zu erwecken und für "moderne Ohren"
verständlich zu machen. Der leicht durchklingende
österreichische Dialekt ist nachgerade prägnant
für diesen Text.
Eine äußerst ansprechende CD-Verpackung als
vierseitiges "Digipack" aus stabilem Karton sowie ein achtseitiges
Begleitheft runden die durchweg gelungene Produktion optisch ab.
Fazit:
Wie kaum ein Anderer vermag Stifter noch heute, seine Leserschaft zu
berühren, sie zu schroffer Abgrenzung oder unbedingter Liebe
zu verleiten.
Doch bevor man Stifter allzu schnell in die Schublade
"Pensionsmädchenlektüre" steckt, sollte man die
rücksichtslose Genauigkeit und Abgründigkeit des
Texts verinnerlichen. Dann werden Dimensionen wahrgenommen, die sonst
verschlossen bleiben.
Denn nur mit Erstarrung war es Stifter möglich, einer Welt,
die als sinnlos erfahren wurde, wenigstens in der Fiktion einen Sinn zu
geben.
(Heike Geilen; 01/2008)
Adalbert
Stifter: "Der Waldgänger"
Gelesen von Peter Simonischek.
Hoffmann und Campe, 2008. 3 CDs; Laufzeit ca. 222 Minuten.
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