Mondesaufgang
An des Balkones Gitter
lehnte ich
Und wartete, du mildes Licht, auf dich.
Hoch über mir, gleich
trübem Eiskristalle,
Zerschmolzen schwamm des Firmamentes Halle;
Der See
verschimmerte mit leisem Dehnen,
Zerfloßne Perlen
oder Wolkentränen? -
Es
rieselte, es dämmerte um mich,
Ich wartete, du mildes Licht, auf
dich.
Hoch stand ich, neben mir
der Linden Kamm,
Tief unter mir Gezweige, Ast und Stamm;
Im Laube summte
der Phalänen Reigen,
Die Feuerfliege sah ich glimmend steigen,
Und Blüten
taumelten wie halb entschlafen;
Mir war, als treibe hier ein Herz zum
Hafen,
Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid
Und Bildern seliger
Vergangenheit.
Das Dunkel stieg, die
Schatten
drangen ein -
Wo weilst du, weilst du denn, mein milder Schein?
-
Sie drangen ein, wie sündige Gedanken,
Des Firmamentes Woge schien zu
schwanken,
Verzittert war der Feuerfliege Funken,
Längst die Phaläne an
den Grund gesunken,
Nur Bergeshäupter standen hart und nah,
Ein finstrer
Richterkreis, im Düster da.
Und Zweige zischelten an
meinem Fuß
Wie Warnungsflüstern oder Todesgruß;
Ein Summen stieg im weiten
Wassertale
Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;
Mir war, als müsse etwas
Rechnung geben,
Als stehe zagend ein verlornes Leben,
Als stehe ein
verkümmert Herz allein,
Einsam mit seiner Schuld und seinem Pein.
Da auf die Wellen sank ein
Silberflor,
Und langsam steigst du, frommes Licht, empor;
Der Alpen
finstre Stirnen strichst du leise,
Und aus den Richtern wurden sanfte
Greise,
Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken,
An jedem Zweige sah
ich Tropfen blinken,
Und jeder Tropfen schien ein Kämmerlein,
Drin
flimmerte der Heimatlampe Schein.
O, Mond, du bist mir wie
ein später Freund,
Der seine Jugend dem Verarmten eint,
Um seine sterbenden Erinnerungen
Des Lebens zarten Widerschein geschlungen,
Bist keine Sonne, die entzückt und blendet,
In Feuerströmen lebt, in Blute endet -
Bist, was dem kranken Sänger sein Gedicht,
Ein fremdes, aber o! ein mildes Licht.
(von Annette von Droste-Hülshoff)