Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: "Was die Seele glücklich macht"

Das Einmaleins der Psychosomatik


Das Einmaleins der Psychosomatik und was darüber hinaus verweist, darum soll es in nachfolgender Besprechung gehen.

Die Frage nach der glücklichen Seele bezeichnet ein gewichtiges altes Menschheitsthema, welches schon die Denker der griechischen Antike beschäftigt hat, denen es zu allererst um die rechte Lebensart zu tun war und die, in ihrem beständigen Heilsstreben, in einem gewissen Sinne auch medizinischen Denkweisen verpflichtet waren. Und zu diesem Punkt ergibt sich sogleich ein Klärungs- und Abgrenzungsbedarf: Es ist nicht die Absicht von Prim. Dr. med. Manfred Stelzig, den Leser mit gelehrten philosophischen oder wissenschaftstheoretischen Ausführungen zum Wesen der menschlichen Seele und zum Begriff des Glücks zu konfrontieren. Wem danach zumute ist, der möge nach Epikur greifen. Ziel des Lebens- und Gesundheitsratgebers von Stelzig ist es vielmehr, eine Anleitung zum Glücklichwerden und zur Rückbesinnung auf "Mich selbst" zu geben. Das Buch soll nicht mehr aber auch nicht weniger denn ein Geleit auf dem Weg zum "Selbstwert" und zur "Selbstliebe" sein. Die sicherlich bedeutsame philosophische Frage nach der Natur der Seele und des Glücks ist eben nicht Gegenstand des Buches. Stelzig geht in dieser Hinsicht von einem unhinterfragten Alltagsverständnis von Seele und Glück aus, welches gewiss zwar diffus, jedoch jedermann eine immer schon selbstverständliche Begrifflichkeit ist. Im Grunde ist es eine ausgemachte Sache, dass jeder weiß, wovon die Rede ist.

Was das Gebot einer hinreichend praktizierten Psychohygiene betrifft, muss aktuell diagnostiziert werden: Mangels Achtsamkeit im Umgang mit der seelischen Selbstbefindlichkeit befinden sich heutzutage viele Zeitgenossen in einem Zustand selbstverschuldeter Unmündigkeit, woraus für den Einzelnen nur allzu leicht eine psychosomatische Krise resultieren kann. Diesen Zustand fahrlässiger Ich-Praxis gilt es mit einem sachlich fundierten Appell an die Selbstverantwortlichkeit des Menschen zu überwinden. Ziel ist es, den an seinem Wohlergehen Interessierten zum Herrn im eigenen Seelenhaushalt zu machen. Dafür ist dieses Buch letztlich geschrieben.

Stelzig erläutert, dass Erkenntnis und Erfahrung der Einheit von Leib und Seele in Begrifflichkeiten der Psychosomatik nicht unbedingt immer nur als alarmierende Symptomatik bedrohlicher Erkrankungen zu verstehen sind, sondern als generelle Naturbestimmung eines jeden Menschen. Wenn ein Mädchen schamhaft errötet, und wenn einem Politiker in der Bedrängnis Schweißperlen von der Stirn kollern, so ist das beide Male ein Zeichen für das organische Sichtbarwerden von innerlichen Gemütsregungen. Alles menschliche Leben ist also in seiner äußerlichen Ausdrucksvielfalt schlechthin psychosomatisch, und dementsprechend bedeutsam sollte uns diese Thematik sein. Nichtsdestotrotz wird sie in Österreich (und das gilt wohl genauso für die Nachbarländer der Alpenrepublik) immer noch relativ stiefmütterlich behandelt. Stelzig hofft, mit seinem Buch eine diesbezügliche Trendwende einleiten zu können bzw. schon vorhandene Pro-Tendenzen zu verstärken.

Stelzig verschweigt in seinem Buch die Problematik nicht, die mit einer verstärkten Zuwendung der Ärzteschaft zu psychischen Behandlungsmethoden tangiert ist. So ist der niedergelassene Arzt dabei genötigt, auf eigene Kosten, und das mehr oder weniger in seiner kärglich bemessenen Freizeit, eine zusätzliche Qualifikation zu erwerben, die sich dann - psychologische Betreuung ist immens zeitaufwändig - in Zeiten kapitalintensiver Apparatemedizin für ihn in ökonomischer Hinsicht nicht einmal rentieren wird. Um eine modern ausgestattete Ordination zu finanzieren bedarf es nämlich einer bestimmten Mindestumsatzhöhe pro betrieblicher Zeiteinheit, und so kann sich der Arzt einer gewissen Tendenz zur Fließbandabfertigung von Patienten aus betriebswirtschaftlichen Zwängen nur schwerlich verweigern. Für längere einfühlsame Gespräche mit dem Patienten bleibt ihm sodann kaum die dafür nötige Zeit, und nur wenige Kunden werden bereit sein, einem Allgemeinmediziner für eine einstündige Psychotherapie EUR 150,- zu bezahlen. Der ökonomische Zwang zur kostendeckenden Bewirtschaftung der technisch modern ausgestatteten Ordination erweist sich somit vorweg als "Feind" psychotherapeutischer Behandlungsmethoden. Einen Ausweg aus der ökonomisch vermittelten Selbstblockade sieht Stelzig in einer grundlegenden Umorientierung zur Psychotherapie und in einer Haltung verständiger Wachsamkeit der Mediziner für psychosomatische Symptome bei gleichzeitig zweckmäßiger Einbindung des einzelnen Arztes in ein arbeitsteiliges Netzwerk, womit es ermöglicht sein sollte, psychosomatische Fälle vom ersterkennenden Mediziner an entsprechende Fachexperten - an Psychotherapeuten - weiterzuleiten. Überhaupt sollten Krankheitsbilder generell ganzheitlich betrachtet und therapiert werden. Wichtig sei somit eben ein grundlegendes Bekenntnis zur Beziehungsmedizin. Und wo ein Wille ist, da findet sich auch ein Weg.

Dass sich gar nicht so wenige Mediziner diesem Trend zur Beziehungsmedizin mittlerweile nicht mehr verschließen, ist für Österreich aus der doch schon beachtlichen Zahl einschlägiger Diplome im Verhältnis zur Gesamtzahl der Ärzte zu ersehen. So haben rund 14.000 niedergelassene Ärzte zum aktuellen Zeitpunkt (Stand 2004) 3.693 einschlägige Diplome für psychosomatische oder psychotherapeutische Medizin erworben. Ein erfreulicher Trend, den es initiativ zu bestärken gilt und den, denkt man nur an die hohen volkswirtschaftlichen Kosten psychosomatischer Erkrankungen, eine verständige Gesundheitspolitik mit Nachdruck betreiben sollte.

Da bei der Bewältigung psychosomatischer Krankheitsbilder der Arzt immer nur als professioneller Begleiter agieren kann, zumal nämlich die therapeutische Hauptarbeit durch den Patienten selbst zu erbringen ist, wendet sich das Buch als Leitfaden zur Selbstfindung in erster Linie an die selbstverantwortliche Person bzw. an ein engagiertes Laienpublikum, welches bereit und willens ist, sein Leben in eigene Hände zu nehmen. Es geht ja letztlich, wie eingangs schon erwähnt, um innerliche Souveränität und um einen Ausweg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit des Menschen als beseeltes Wesen.

Wer Herr seines Selbst zu sein wünscht, muss wissend sein. Mündigkeit basiert wesentlich auf einem Fundament der Gelehrtheit. In diesem Sinne führt Stelzig im Anfangsteil aus, was Psychosomatik ist und präsentiert in allgemein verständlichen Darstellungen, veranschaulicht an Beispielfällen aus der ärztlichen Behandlungspraxis, zehn Theorien zur Entstehung psychosomatischer Erkrankungen, wobei nebst allgemein erwartbarer Aspekte ("vegetative Neurose", "Stresstheorie", "Aggressionstheorie", "Selbstliebe und Narzissmustheorie") der Leser auch mit Unerwartetem überrascht wird. So konstatiert Stelzig zum Beispiel als bedeutsame Ursache für die Entstehung psychosomatischer Krankheitsbilder einen Mangel an transzendentaler Dimension. Womit sich unverhofft ein religiöser Moment auftut. Die göttliche Dimension müsse folglich besser in das Gesellschaftsleben integriert werden, schon im Säugling sei, mit etwas Einbildungskraft, das Unendliche und der Kosmos zu erkennen. Der Bezug zur Transzendenz sei für die psychische Reifung und somit für die Hervorbringung und den Erhalt von Gesundheit ganz zentral. Und wenn es auch bezüglich religiöser Wahrheiten keine allgemein gültigen Erklärungen geben könne, so müsse man sich doch die Frage über das Leben nach dem Tod, über das Wesen von Gut und Böse und über unsere Aufgabe hier auf Erden stellen. Bei der Lösung existenzieller Sinnfragen könnten die Ideenlehren der Religionsgemeinschaften zwar richtungweisend sein, doch letztlich kann die Gewissheit nur von innen kommen, wenn der Kontakt zu Gott, dem Kosmos, dem Höheren, dem Licht, der Unendlichkeit und der Begegnung in einer anderen Dimension gefunden ist. Subjektive Gewissheiten könnten dem Menschen eine Grundfestigkeit geben, die dem Menschen, obgleich die römische Glaubenskongregation unter Kardinal Ratzinger (ebenso wie Glaubenswächter anderer Konfessionen) über diesen unorthodoxen Glaubenssubjektivismus bestimmt nicht erfreut ist, ein Sinnlosigkeitsempfinden erspart, das sich in vielen Fällen als wahrhaftiger (und somit krankmachender) Energieräuber bewahrheitet. Ist der Mensch hingegen in ein stabiles, dem Irdischen übergeordnetes Sinngefüge eingebettet, werden ihm selbst lebensbedrohliche Erkrankungen immer noch sogar irgendwie einen "Sinn" vermitteln können. Für den spirituell begabten Menschen birgt selbst die Erfahrung mit einem Karzinom [bösartige Geschwulst] noch eine Chance auf seelisches Wachstum in sich. (Stelzig lehnt deswegen die populäre Bezeichnung "Krebserkrankung" als viel zu negativ besetzt ab. "Krebs" assoziiert sich nämlich automatisch mit blankem Horror, was eine wohl ebenso unrichtige wie unkluge Auffassung dieser chronischen Erkrankung ist.)

Der religiöse Aspekt schlägt im Buch übrigens immer wieder durch, nicht zuletzt auch in Form christlicher bzw. allgemein religiöser Ethik. So erachtet Stelzig den christlichen Grundsatz von der Nächstenliebe "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" als absolut maßgeblich für eine ausgewogene Lebensführung. Der Egoist sei im Grunde ein kranker Mensch und dürfe sich nicht über sein seelisches und organisches Unwohlbefinden wundern. Ein liebevolles Miteinander umfasse demnach die eigene Person genauso wie die Person des Anderen und bedeute auf keinen Fall "Aufopferung" oder "egozentrische Selbstverliebtheit". Wer sich selbst immer und überall in den Mittelpunkt stelle, sei wohl bald zu recht bei den Leuten verhasst. Trotzdem, maßvoll betrieben sei Selbstliebe oder "Narzissmus" durchaus eine anständige Tugend. Viel zu viele Menschen hätten sich selbst längst schon aus den Augen verloren und würden in ihrer alltäglichen Lebenspraxis das eigene Ich in Permanenz verleugnen. Man lebt dahin, als ob es kein Interesse am eigenen Leben mehr gäbe. Die Kunst, sich selbst zu lieben, ohne ein Egoist zu sein, nicht zuletzt diese Kunst des Liebens will Stelzig mit seinem Buch unters Volk bringen.

Und wohl auch deswegen, nicht weil der Gegenwartsmensch das Leben sucht, sondern weil er es hartnäckig verleugnet, befindet sich die Religion, wie denn auch der Mensch in der westlichen Hemisphäre in der Krise. Es ist eine seelische Krise, denn der alltagsweltlich gelebte Materialismus verwüstet die Lebenszusammenhänge und hinterlässt unglückliche Seelen. Ohne jetzt dem aufgeklärten Kritikvermögen abzuschwören (der mündige Mensch ist und bleibt das Ziel!), so gilt doch: Wir sollten "Wahrheiten" nicht primär nach ihrer Kritikresistenz beurteilen, sondern danach, ob sie unser Leben befruchten helfen und allfällig heilsam sind. Stelzig schreibt in diesem Zusammenhang: "In allen Religionen dieser Welt gibt es in irgendeiner Form ein Leben nach dem Tod, sei es im Sinne des Himmels und der Hölle, der Wiedergeburt, der Seelenwanderung usw. Diese Vorstellungen sind in jedem Fall befriedigender und Kraft gebender und damit für den Heilungsprozess wieder besser nutzbar als die Vorstellung, begraben oder verbrannt zu werden, und dann kommt nichts mehr."

Auch vermittle sich über die - eben wahrlich "sinnstiftende" - Reflexion des Religiösen das so wichtige Thema der "leistungsunabhängigen Liebe", die sich eventuell zur göttlichen Liebe zusammenfindet. Wirkliche Liebe, gesunde Liebe, die sei dem Leistungsgedanken abhold und bewirke eine Abkehr vom verderblichen Alltagsmaterialismus, vom Götzendienst um das Geld und um das Auto. "Es ist die Akzeptanz im Sein und des Seins, das neue Suchen nach Beziehungen, nach Verbundenheit, nach Liebe und eventuell auch nach Liebe zu Gott", schreibt Stelzig.

Die vorangehenden Ausführungen dürften bereits zur Genüge verdeutlicht haben, dass es sich bei dem Buch von Stelzig nicht einfach nur um eine Art von üblicher Ratgeberliteratur handelt, die in Buchform summiert und zusammenfasst, was zuvor schon vielmalig in diversen Gesundheits- und Lebensstiljournalen durchgekaut worden ist. Der Inhalt hat durchaus, ja, in Ansätzen weltanschauliches Profil und bringt solcherart eine persönliche Perspektive des Autors ein. Nichtsdestotrotz bleiben auch jene eher gängigen Informationen nicht ausgespart, die das Buch, ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit wegen, für den (eventuell erkrankten) Leser zur nutzbringenden Investition machen. Primarius Dr. Manfred Stelzig zeigt anhand anschaulicher Beispiele und spezieller Übungen, wie Fehlentwicklungen im körperlich-seelischen Gleichgewicht korrigiert werden können. Darüber hinaus erfährt man alles Wesentliche über die wichtigsten Erkrankungen mit oft seelischen Ursachen: z.B. Schmerzsymptomatik, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, Schlafstörungen, Sexualstörungen, Depressionen, Hauterkrankungen wie Schuppenflechte und Neurodermitis und vieles mehr. Spezielle Übungen zum Aufbau des Seelenhauses sollen nicht nur in Bezug auf die genannten Krankheitsbilder heilend wirken und Wohlbefinden gewinnen helfen, sondern - wie schon gesagt - dem Menschen zum Herrn seiner Selbst erhöhen. Eine Erhöhung, die adelt und solcherart glücklich und gesund macht.

Kritisch [oder so zusagen auch ergänzend] anzumerken bleibt noch, dass Stelzig - einem allgemeinen Trend in der Ratgeberliteratur folgend - den sozialkritischen Aspekt vernachlässigt. Er betrachtet die Person des Patienten einerseits als Leib-Seele-Gesamtheit, also ganzheitlich, aber andererseits doch immer noch unvollständig, weil weitgehend isoliert von sozialen Lebensumständen; und zwar nicht nur von den familiären bzw. höchstpersönlichen, sondern überhaupt von den die Person prägenden gesellschaftlichen. Schon Emil Durkheim (1858-1917) bezeichnet in seiner Anomietheorie diejenigen Tatbestände als normal, wenn sie allgemeine Erscheinungsweisen zeigen, hingegen sie als pathologisch zu charakterisieren sind, sobald sie von der Norm abweichen. Das Normale ist demnach das Gesunde, das Abweichende ist das kranke, bzw. Konformität und angepasster Ritualismus sind als gesund, rebellische Innovation ist jedoch als krank zu erachten, obgleich darin viel Kreativkraft enthalten sein mag. Wenn Stelzig nun wiederholt auf die Bedeutung des Religiösen verweist, so hat er zwar im Grunde genommen den Wert einer dem Individuum übergeordneten humanistischen Kultur erkannt, doch belässt er es bei einem bloßen Verweis auf eine lediglich postulierte spirituelle Dimension und hinterfragt nicht weiter den möglicherweise doch neurotischen Gesellschaftscharakter, in welchem der psychosomatisch erkrankte Neurotiker einsitzt und als Kranker in zweckmäßiger Übereinstimmung mit dem allgemein Krankhaften - also durchaus rational und angemessen - handelt. Wenn jedoch der Bezugs- und Sinnrahmen des krankhaft Handelnden das Kranke ist, steht dann nicht der Arzt mit seinen Versuchen zu heilen und zu emanzipieren auf verlorenem Posten? Ist denn nicht der Neurotiker als Erfolgsmodell der neurotischen Gesellschaft in dieser neurotischen Gesellschaft einzig gefragt und bewährt? Bedeutet dann nicht Heilung zugleich Entfremdung von einem uniformen Handlungsgesetz, das auf dem Primat der Selbstentfremdung des Menschen von sich selbst basiert und in fieser Verkehrung medizinischer Terminologie alles Gesunde als krank aussondert?

Wenn also Stelzig dem psychosomatisch Leidenden die Abkehr vom materialistischen Lebensvollzug nahe legt, stattdessen eine in einer gewissen Hinsicht nonkonformistische religiöse Selbstentfaltung empfiehlt und in der Gottesliebe höchste Seinsorientierung sucht, so befindet er sich bereits (wenn auch unausgesprochen) in fundamentaler Opposition zum herrschenden Lebensstil, der unter den gegebenen Verhältnissen für gemeinhin Lebenserfolg verheißt. Freilich einen trügerischen Lebenserfolg, doch wer fragt danach, solange Körper und Intellekt noch funktionieren? Erst der Kranke ist irritiert, wenn er entgegen bisheriger Gewohnheit plötzlich nicht mehr funktioniert, Sand im Getriebe ist, und er als Leistungsträger aus der Leistungsgesellschaft herausfällt. Er ist irritiert, doch war nicht die Krankheit - der neurotische Charakter - der Schlüssel zu seinem bisherigen Erfolg? Was, wenn der gepanzerte Organismus im gesellschaftlichen Bewährungsrahmen der "eigentlich Gesunde" ist und somit der Arzt mit all seinen Bemühungen um Gesundung des Patienten vielleicht dessen schmerzhafte Symptome mildert, weil abdeckt, doch die Erkrankung nicht heilt, mangels effektiver Zugriffsmöglichkeit auf die Ursache gar nicht heilen kann, sondern vielmehr den Abgezehrten über die Konstruktion von Widersprüchen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit nur noch tiefer in sein Verderben geleitet? Und spirituelle Hingabe mag vielleicht in Bezug auf die Hinfälligkeit alles Irdischen sinnvoll sein, doch im Hier und Jetzt gesellschaftlich konstruierter Sinnwelten nimmt sich nichts unsinniger, weil störender aus, als die Frage nach Gott. Gott ist ein Freizeitluxus. Und ansonsten ein Ballast. Wobei wir noch nicht einmal wissen, wer und wie Gott ist. Denn das Gottesbild der Weltreligionen ist nach Auffassung mancher freier Geister überhaupt die vollendete Verkörperung der Idee von der kranken Seele. Was vielleicht immer noch heilsamer als der pure Materialismus ist, der nur allzu rasch zur Nekrophilie verkommt. In diesem Zusammenhang ist Stelzig wohl eine Zustimmung tendenziell nicht zu verwehren, wenn er - wie oben schon einmal ausgeführt - auf die traurige Alternative zum Jenseitsglauben verweist, die nichts als den Verfall sterblicher Überreste bietet.

In Gewahrung kritischer Theorie, wie sie sich beispielsweise noch bei Erich Fromm in überzeugender Eloquenz findet, scheint es geboten, die Thematik der glücklichen Seele nicht abgehoben von gesamtgesellschaftlichen Lebenswirklichkeiten zu diskutieren. Dass dem gegenständlich nicht so richtig entsprochen ist, war kritisch zu würdigen. Davon abgesehen darf dem Buch von Manfred Stelzig jedoch ein hoher praktischer Nutzen wie denn auch ein gediegener Bewusstsein stiftender Gehalt zur gelebten Verantwortungsethik zuerkannt werden. Es fordert vom Einzelnen ein gerütteltes Maß an Selbstverantwortung ein und gemahnt, dass die Abkehr von einer (spirituellen) Kultur des Geistes eine Barbarei zur Folge hat, die den Menschen erniedrigt und verödet, unglücklich und krank macht. Schlussendlich vermittelt dieser Gesundheits- und Lebensratgeber eine Ahnung von der Komplexität des Phänomens der Psychosomatik, die uns als Lebensphänomen nicht nur tagtäglich begleitet, sondern den Menschen bei ganzheitlicher Betrachtung über sich hinaus verweist, auf eine Dimension hin ausgerichtet, wo das Menschsein in seiner ideellen Form Gestalt annimmt. Man könnte es ja auch so sehen: Der gesunde Mensch ist mehr als das reibungslose Zusammenspiel von Körper und Seele im Getriebe des Alltags; der gesunde Mensch ist die vornehmste Vision seines Selbst. Oder in der Diktion des Alten Testaments gesprochen: Ihr werdet sein wie Gott. Und in der Tat, ist Gott etwa anders denkbar denn als eine Verkörperung des Gesunden und Glücklichen in vollendeter Gestalt?

(Harald Schulz)


Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: "Was die Seele glücklich macht. Das Einmaleins der Psychosomatik"
Ecowin, 2009. 192 Seiten.
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Primarius Dr. med. Manfred Stelzig, geboren in Salzburg. Studium der Medizin. 1984 bis 1990 Lehrbeauftragter am Moreno-Institut, Überlingen (Deutschland). Seit 1991 Leitung der Psychosomatischen Ambulanz Salzburg mit Ausbildungsfunktion für Assistenz- und Turnusärzte sowie Psychotherapiepraktikanten. Seit 1992 Lehrtherapeut für Psychodrama und Vortragender der Fortbildungscurricula für Psychosomatik im ÖAGG. 1994 Mitbegründer und geschäftsführender Obmann der Gesellschaft für Psychosomatik in Salzburg. 2003 Ernennung zum Primarius am Landeskrankenhaus Salzburg.

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