Barbara Frischmuth: "Vom Fremdeln und vom Eigentümeln"
Essays, Reden und Aufsätze über das Erscheinungsbild des Orients
Orient,
Islam, Kopftuch. Überlegungen und Anmerkungen.
"Wohl eine Zauberkraft muß sein in dem, woran /
Bezaubert eine Welt so hängt wie am Koran."
So dichtete Friedrich Rückert 1838 in "Die Weisheit des
Brahmanen"
als eine Art Erklärung seiner ausgedehnten
Beschäftigung mit
dem Islam. Ohne je ein arabisches Land betreten noch ihre Sprache
gesprochen gehört zu haben, schuf er kongeniale Nachdichtungen
arabischer und persischer Dichtungen des Mittelalters und wagte sich
sogar an die Übersetzung des Koran. Heute ist Rückert
wohl
eher mit seinen
"Kindertotenliedern" in Erinnerung, seine
umfangreichen orientalischen Studien und
Übersetzungen
sind jedoch in Vergessenheit geraten.
Barbara Frischmuth hat dies zum Thema einer Rede auf einer Tagung in
Seattle 1996 gemacht, die unter dem Titel
"Verrückt wie Rückert" nun
(wieder) abgedruckt ist.
Als letzter Beitrag in einer Sammlung von Essays, Reden und
Aufsätzen zu, wie es in den Worten des Verlages
heißt, "orientalischen Fragen",
der sich lohnt als Erstes gelesen zu werden. Denn nicht nur, dass
Frischmuth an Rückert anknüpft, sie erinnert auch
daran, dass
zu seinen Zeiten, also im 19. Jahrhundert, die islamisch inspirierte
Kunst und Literatur im deutschen Sprachraum ein Objekt der Neugier und
des künstlerischen Interesses gewesen ist. Goethe schrieb
bekanntermaßen den "Westöstlichen
Diwan",
der auf den Übersetzungen des österreichischen
Orientalisten
Joseph von Hammer-Purgstall aufbaute. Heute hingegen besteht trotz oder
wegen des allgemein gegenwärtigen Themas Islam und Islamismus
unter den deutschsprachigen Intellektuellen kaum inhaltliches Interesse
daran. Das heißt, so Frischmuth, dass wir
diesbezüglich
hinter die Standards des letzten Jahrhunderts zurückgefallen
sind.
Und Rückert, der brillante Wortkünstler und "genialste
Übersetzer aus dem Orientalischen", ist so
nachhaltig in Vergessenheit geraten, dass sich Frischmuth fragt, "wo
wir die ganze Zeit unsere Ohren gehabt haben, die doch für
Virtuosität ansonsten nicht unempfänglich sind."
Vor allem dass die Avantgarde der 1960er-Jahre mit ihren
Sprachexperimenten so gut wie nie auf Rückert
zurückgegriffen
hat, versetzt sie noch im Nachhinein in Erstaunen.
Ist es Desinteresse, Ignoranz oder Gleichgültigkeit, dass
hierzulande und heutzutage auch unter Intellektuellen, Schriftstellern
und anderen Meinungsträgern islamische Kultur fast nur als
Kopftuchdebatte rezipiert wird? Für Barbara Frischmuth ist es
wohl
die Ignoranz, der sie in ihren öffentlichen Kommentaren zu
begegnen versucht. Sie, die sich selbst als Schriftstellerin und
Gärtnerin bezeichnet, ist ja auch Kulturwissenschaftlerin,
Orientalistin, Übersetzerin. Sie hat Türkisch und
Ungarisch
studiert und tritt dank ihrer zahlreichen Kontakte zum
türkischen
und arabischen Kulturraum immer wieder als kulturelle Vermittlerin und
literarische Botschafterin auf. Neben ihrem literarischen Werk, das
vielfach mit Preisen und Ehrungen ausgezeichnet wurde, und ihren
literarisch-dokumentarischen Büchern über ihren
Garten in
Altaussee, beschäftigt sie sich verstärkt in
Vorlesungen,
Reden, Kolumnen, Kommentaren und Essays mit den "Reibflächen,
an denen Orient und Okzident sich zunehmend aufschürfen".
Eine Auswahl aus den letzten zehn Jahren versammelt dieser schmale Band
aus dem Literaturverlag Droschl.
Es sind lesenswerte Beiträge, die vor allem Eines vermitteln
wollen: einen differenzierten Blick auf die vielschichtige
Wirklichkeit. In der Kopftuchdebatte geht Barbara
Frischmuth der Frage nach, ob das Kopftuch nicht auch eine
feministische Strategie der Emanzipation von traditioneller
Ungleichheit sein könnte, spricht aber auch von Skandal, dass
die
Religionen noch immer oder schon wieder die Bruchlinien zwischen dem
Eigenen und dem Fremden am schärfsten
anzeigen. Ausführlich beschäftigt sie sich mit der
Beziehung
Europas zur Türkei,
mit dem Begriff Europa, aber vor allem versucht sie uns für
den
Reichtum der orientalischen Kulturen zu interessieren. Denn ihr Credo
ist das einer Aufklärerin: Nicht-Wissen und Ignoranz kann sich
keine Gesellschaft leisten, wenn sie ihre Nachbarschaft mit anderen
Kulturen auf friedlich-produktive Art gestalten will. So gibt sie einen
Überblick über den Alevismus in der Türkei,
erzählt
von islamischen und christlichen Mystikern und predigt gegenseitige
Achtung und Respekt. Allerdings verwehrt sie sich vehement gegen eine
Toleranz, wenn damit Gleichgültigkeit gemeint ist.
Barbara Frischmuth erlaubt sich keine schnellen Urteile, aber sie
demontiert gekonnt Vorurteile aller Art. Manche Beiträge gehen
über einen tagespolitischen Kommentar nicht hinaus, andere
sind
hingegen kleine, aber prägnante philosophische, kultur- und
literaturwissenschaftliche Abhandlungen. Sie alle tragen dazu bei, ein
differenziertes Bild der orientalischen Welt zu zeichnen. Und wenn
damit Neugier und Interesse bei den Lesern geweckt worden sein sollte,
das wäre doch schon etwas. Mit diesen Worten beendete
übrigens Frischmuth einen Vortrag an der Universität
Innsbruck.
Und es wäre auch schon etwas, möchte ich als
Rezensentin und
Buchleserin hinzufügen, wenn dieser auch ästhetisch
sehr
ansprechend gestaltete Band eine bessere Buchbindequalität
hätte. Wenn sich das Buch nach dem Lesen seiner 150 Seiten und
einem mehrmaligen Hin- und Herblättern nicht auflösen
würde.
(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 08/2008)
Barbara
Frischmuth: "Vom Fremdeln und vom Eigentümeln.
Essays, Reden und Aufsätze über das Erscheinungsbild
des Orients"
Literaturverlag Droschl, 2008. 152 Seiten.
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Barbara
Frischmuth wurde am 5.
Juli 1941 in Altaussee (Steiermark) geboren, studierte
Türkisch und Ungarisch, gehört zu den
Gründungsmitgliedern
des "Grazer Forum Stadtpark", veröffentlicht seit 1962.
Barbara
Frischmuth wurde am 14. November 2005 mit dem "Ehrenpreis des
österreichischen
Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln" ausgezeichnet.
Lien zu Barbara Frischmuths Netzpräsenz:
https://www.barbarafrischmuth.at/.
Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):
"Vergiss Ägypten. Ein Reiseroman"
Begegnung zwischen Orient und Okzident.
Barbara Frischmuth ist seit frühester Jugend vom Orient
fasziniert. Die kluge
Vermittlerin zwischen islamischer und christlicher Kultur
erzählt in diesem
Buch von einer Frau, die auf ihren Reisen
nach
Ägypten nicht nur das Fremde und
Andere erkundet, sondern dabei auch sich selbst entdeckt. Je
öfter Valerie das
Land am Nil besucht und je mehr sie über Zeiten,
Völker und mystische
Traditionen erfährt, umso begieriger ist sie, hinter den
bloßen Augenschein zu
kommen. "Vergiss Ägypten, wenn du etwas
über Ägypten schreiben willst",
rät ihr die Freundin Lamis, "denk lieber an
Ägypter." Sie
meint die unbekannte Vielfalt von orientalischen
Lebensentwürfen, der man von
Alexandria bis Luxor begegnet. Valerie denkt auf ihren
Erkundungsfahrten auch an
Abbas, den einstigen Geliebten. Wenn sie Europäerinnen trifft,
die Ägypter
geheiratet haben, beginnt sie sich zu fragen, wie ihr eigenes Leben
ausgesehen hätte,
wäre sie Abbas damals gefolgt. Begierig sammelt sie die
Geschichten dieser
anderen Frauen und findet immer neue Variationen der eigenen darin
wieder. (Aufbau-Verlag)
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"Hexenherz"
Erzählungen. 13 Frauen mit dem sechsten Sinn.
Wenn in diesen 13 Erzählungen etwas wie verhext erscheint,
dann ist es das
Schicksal. Manche überrascht es in Momenten der Verzagtheit,
manche genau in
dem Augenblick, in dem sie sich geborgen fühlen. Doch
Ängste, Enttäuschungen
und Verletzungen können auch stark machen und ungeahnte
Fähigkeiten wecken
oder zu überraschenden Unternehmungen führen.
(Aufbau-Verlag)
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"Marder,
Rose, Fink und
Laus. Meine Garten-WG"
Mit Fotos von Herbert Pirker.
Barbara Frischmuths literarische
Gartenbücher
sind eine Liebeserklärung an die
Natur. Da sie eine exzellente Beobachterin ist, hat auch der gartenlose
Naturliebhaber seine Freude an ihren stimmungsvollen,
amüsanten Schilderungen,
die von verführerischen Fotos ergänzt werden.
Wie jeder Gärtner weiß Barbara Frischmuth, dass sie
sich die Bewohner ihres
Gartens nur bedingt aussuchen kann. Unstete
Blumen
ziehen von Beet zu Beet.
Pflanzen wandern ein und verdrängen alteingesessene, andere
verschwinden
spurlos. Eine Primadonna wie die Pfingstrose ist nicht anspruchsvoller
als die
angeblich genügsamen Gräser. Am unberechenbarsten
sind die tierischen Mieter
vom ritterlichen Kater Max und den mörderischen
Lilienhähnchen bis zu Milli,
der Erdkröte mit dem Zauberblick. Barbara Frischmuth
erzählt mit Esprit und
Ironie - diesmal von ihren Erfahrungen als Hauptmieterin einer
eigenwilligen
Garten-WG. (Aufbau-Verlag)
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