(...) Athira war die
Frau des Madu, eines einäugigen Kohlenbrenners von boshafter Gemütsart. Schon
eine Woche nach der Hochzeit prügelte er sie mit einem dicken Stock. Einen Monat
später kam Suket Singh, der Sepoy, des Weges, um seinen Regimentsurlaub in den
kühlen Bergen zu verbringen. Er elektrisierte die Dorfbewohner von Kodru mit
Erzählungen von allerlei Geschichten aus dem Militärdienst, verherrlichte die
Ruhmestaten des Gouvernements und schilderte anschaulich, in welchen hohen Ehren
er beim Obersten, dem Sahib Bahadur, stünde. Die braune Desdemona hörte dem
Othello zu, und wie alle Desdemonas der Welt verliebte
sie sich dabei in ihn.
»Ich hab zwar selber eine Frau zu Hause«, sagte Suket Singh, »aber es soll dich
nicht bedrücken, wenn es dir im Kopf herumgeht. Ich muß auch nach einiger Zeit
wieder zum Regiment zurück, denn ich kann doch nicht gut zum Deserteur werden,
gar, wo ich den Rang eines Havildars anstrebe.«
»Schadet nichts«, sagte Athira, »bleib jetzt bei mir, und wenn Madu mich schlagen
will, dann verprügle ihn!«
»Famos!« sagte Suket Singh und verabreichte dem Madu eine gehörige Tracht zum
Entzücken sämtlicher Kohlenbrenner in Kodru.
»So, das genügt«, sagte er und gab dem Madu einen Stoß, daß er den Abhang hinunterrollte,
»jetzt werden wir Ruhe haben.« Aber Madu krallte den Grashügel wieder hinauf
und hinkte mit wütenden Blicken um seine Hütte herum.
»Er wird mich ermorden«, sagte Athira zu Suket Singh, »du mußt mich mit fortnehmen.«
»Es wird einen Skandal geben in der Truppe, und mein Weib wird mir den Bart
ausreißen!« meinte Suket Singh, »aber was liegt daran! Ich nehme dich mit.«
Es gab auch wirklich einen Skandal im Regiment, der Bart wurde Suket Singh ausgerissen,
und seine Gattin ging zu ihrer Mutter zurück und nahm die Kinder mit. »Jetzt
ist alles gut«, sagte Athira, und Suket Singh pflichtete ihr bei: »Jetzt ist
alles gut.«
Madu hauste nunmehr allein in seiner Hütte, von der er weit hinüber ins Tal
nach Donga Pa blicken konnte; von Anbeginn waren die Sympathien der Leute nicht
auf seiner Seite gewesen: das Volk hat nichts übrig für betrogene Ehemänner.
Eines Tages ging er zu Juseen Dazé, dem
Zauberer,
der den redenden Affenkopf besitzt.
»Verschaff mir mein Weib wieder!« sagte er.
»Das kann ich nicht«, sagte Juseen Dazé, »erst mußt du den Sutlej das Tal hinauffließen
machen bis Donga Pa.«
»Mach keine Flausen! Gib mir gefälligst keine Rätsel zu lösen auf«, schrie Mach
und schüttelte seine Hacke drohend gegen den weißhaarigen Juseen Dazé.
»Gib all dein Geld den Oberhäuptern des Dorfes«, riet Juseen Dazé; »sie sollen
eine Versammlung einberufen und einen Boten abschicken mit der Weisung, dein
Weib müsse zurückkommen.«
Madu verzichtete auf seine irdischen Güter, die aus siebenundzwanzig Rupien,
acht Annas und drei Pies nebst einer silbernen Kette bestanden, und überreichte
sie den Stadträten von Kodru. Dann geschah es, wie Juseen Dazé vorhergesagt:
man schickte Athiras Bruder zu dem Regiment Suket Singhs, um Athira auszurichten,
sie möchte heimkehren. Suket Singh benützte ihn als Fußball und kickte ihn um
die Front herum; dann überlieferte er ihn dem Hamildar, der ihn mit einem Treibriemen
bearbeitete.
»Komm heim!« schrie Athiras Bruder unentwegt bei dieser Prozedur.
»Wohin denn?« fragte Athira.
»Zum Madu!«
»Ich denk nicht dran!« war die Antwort.
»Dann wird dir Juseen Dazé seinen Fluch schicken!« drohte der Bruder, »und du
wirst verdorren wie der Ast eines gefällten Baumes im Frühling!«
Das ging Athira im Kopf herum.
Am nächsten Morgen schon hatte sie Rheumatismus. »Ich beginne bereits zu verdorren
wie der Ast eines gefällten Baumes im Frühjahr«, sagte sie. »Das ist der Fluch
Juseen Dazés.«
Und tatsächlich begann sie hinzusiechen, denn in ihr Herz war die Furcht eingezogen.
Wer an Flüche glaubt, der stirbt an ihnen. Auch Suket Singh war voll Angst,
denn er liebte Athira mehr als sein Leben.
Zwei Monate vergingen, da stand Athiras Bruder wieder da, aber ein wenig weiter
weg von der Schützenlinie, und höhnte:
»Aha, du verdorrst schon! Komm heim!«
»Ja, ich will kommen!« sagte Athira.
»Sag lieber: ›Wir‹ werden kommen!« rief Suket Singh.
»Ai! Gut, aber wann?« fragte Athiras Bruder.
»Eines Tages, sehr früh am Morgen«, versprach Suket Singh und marschierte im
Paradeschritt zum Oberst Sahib Bahadur, um sich einen Urlaub zu erbitten.
»Ich verdorre wie der Ast eines gefällten Baumes im Frühjahr«, jammerte Athira.
»Es wird dir bald besser gehen«, tröstete sie Suket Singh; und er gestand ihr
heimlich, was er vorhatte, und sie lachten und kosten miteinander, denn sie
liebten sich beide heiß. Von Stund an ging es besser mit Athira.
Dann reisten sie zusammen fort - fuhren dritter Klasse mit der Bahn, solange
es Schienen gab, später in einem Karren die niedrigeren Vorberge hinauf und
wanderten zu Fuß auf die höheren. Athira sog den Tannenduft ihrer heimatlichen
Berge ein - der feuchten
Himalajaberge.
»Wie schön ist es doch, zu leben!« sagte sie.
»Heda! Du!« fragte Suket Singh einen Mann, »wo liegt die Straße nach Kodru und
wie kommt man zu dem Haus des Waldhüters?«
»Hat vor zwölf Jahren vierzig Rupien gekostet«, sagte der Waldhüter und reichte
dem Sepoy eine Flinte hin.
»Hier hast du zwanzig«, sagte Suket Singh, »aber du mußt mir die besten Kugeln
geben!«
»Es ist unendlich schön, zu leben«, sagte Athira sehnsüchtig und sog den Harzduft
eines Tannengehölzes ein; und dann warteten sie, bis sich die Nacht herabsenkte
auf Kodru und Donga Pa.
Madu hatte, um am nächsten Tag Kohle zu brennen, auf der Anhöhe über seinem
Haus dürres Holz aufgetürmt. »Es ist hübsch von ihm, daß er uns die Mühe erspart
hat«, sagte Suket Singh, als er in der Dunkelheit gegen den zwölf Fuß breiten
und vier Fuß hohen Scheiterhaufen anrannte. »Wir müssen warten, bis der Mond
aufgeht.«
Als der Mond aufgegangen war, bestieg Athira den Holzstoß und kniete nieder.
»Wenn es nur wenigstens ein Regiments-Snidergewehr wäre«, sagte Suket Singh
bekümmert mit einem Scheelblick auf den mit Draht umwickelten Lauf der Flinte
des Waldhüters.
»Beeile dich«, sagte Athira. Und Suket Singh beeilte sich. Athira beeilte sich
in diesem Leben nicht mehr!
Dann zündete er den Scheiterhaufen an den vier Ecken an, da, wo dürre Zweige
herausragten. »Man sollte im Regiment lernen, wie man ein Gewehr mit den Zehen
abschießt!« sagte er grimmig zum
Mond hinauf.
Das war die letzte Bemerkung des Sepoys Suket Singh.
Eines Tages, früh am Morgen, kam Madu zu dem Feuerbrand, erschrak sehr und lief
fort, um den Polizeimann zu holen, der gerade in der Umgebung die Runde machte.
»Dieser Auswurf von einem Menschen hat mir für vier Rupien Kohlenholz verbrannt«,
schimpfte er, »und meine Frau getötet. Und einen Brief hat er an eine Tanne
gebunden. Ich kann nicht lesen.«
In der steifen, pedantischen Schrift, die in den Regimentern gelehrt wird, hatte
der Sepoy Suket Singh folgendes geschrieben:
»Man verbrenne uns zusammen, falls noch Reste von uns übrig sein sollten; wir
haben die vorgeschriebenen Gebete verrichtet. Madu und Malak, den Bruder Athiras,
haben wir verflucht; sie sind beide böse Menschen. Dem Oberst Sahib Bahadur
sende man meine Empfehlung.«
Lang und versonnen blickte der Polizeimann auf das Ehebett aus roter und weißer
Asche, auf dem, schwarzgebrannt, der Gewehrlauf des Waldhüters lag. Geistesabwesend
stieß er mit seiner bespornten Ferse in einen halbverkohlten Balken und prasselnde
Flammen züngelten hoch. »Ein ganz sonderbares Volk!« murmelte er. (...)
(aus "Dunkles
Indien"
von
Rudyard Kipling
aus dem Englischen von
Gustav
Meyrink)
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