Leseprobe:

(...) Die Besessenheit ist ohne Zweifel die älteste, von der Kirche vorgebrachte Theorie, dieses Phänomen (das Zerfallen des Körpers eines 'Vampirs' zu Staub infolge der Erteilung der Absolution und der Segnung; Anm.) zu erfassen, und so treffen wir seit dem 12. Jahrhundert auf Sätze wie: "Der Teufel (...) belebte sein eigenes Gefäß", deshalb das Kreuz, die Hostie, das Weihwasser, um Satan in die Flucht zu schlagen. Der Chevalier Ricaut bemerkt um 1740, "dass die Griechen glauben, ein übler Geist fahre in den Körper von Exkommunizierten, die in diesem Zustand gestorben sind, und dass er sie vor dem Verfall bewahre, indem er sie wiederbelebt und sie beweglich macht, etwa so, wie die Seele den Körper belebt und ihn beweglich macht." Aber wenn sich der Teufel der Körper Verstorbener bemächtigt und sie wiederbelebt, dann deshalb, weil sie nicht beerdigt wurden wie es sich gehört, nach christlichem Ritus, oder auch, weil sie exkommuniziert wurden, und die Verfluchung, die die Kirche in diesem Falle ausspricht, ist nur zu deutlich: "Mögen sich Holz, Steine, Eisen auflösen, niemals aber die Exkommunizierten!" Der Vampir ist de facto ein solches Wesen, das Jenseits stößt ihn zurück, und die Erde weigert sich, ihn in sich aufzunehmen. Er ist aus der Gemeinschaft der Toten und der Gemeinschaft der Lebenden verbannt, in alle Ewigkeit verdammt, und so können seine Handlungen als Rache gedeutet werden.
Das Zeitalter der Aufklärung gesteht die Existenz von Geistern und des Teufels zu: "Gewiss, bisweilen können sich Erscheinungen unabhängig vom Individuum ergeben, denn ein Geist ist möglicherweise fähig, in der Luft einen geisterhaften Körper anzunehmen." Im Vergleich zum Mittelalter stellen wir keinen nennenswerten Fortschritt fest, es ist aber dennoch erstaunlich, im Jahre 1728 zu lesen: "Wir bestreiten nicht, dass der Teufel bisweilen,
auf den Friedhöfen, mit bedeutender Macht ausgestattet ist, aber das kommt nicht häufig vor, weil, wie man gemeinhin glaubt, Gott die Gräber frommer Menschen schützen will und sie schadlos hält von den üblen und schlechten Späßen des Teufels. Deshalb verneinen wir nicht, dass man an Orten, wo Morde und Massaker begangen wurden, Geister sehen könnte, und dass man dort allerlei Tumult vernimmt, Beerdigungsgeräusche, Klagelaute oder Seufzer (...)." Der Teufel, ein wahrer deus ex machina, dient als Vorwand, seine Taten werden zur Rechtfertigung für die Existenz von Gespenstern, Wiedergängern, Poltergeistern benutzt, und wiederum geht man eindeutig von gerechten Toten und Sündern aus: wir erkennen hier die ursprüngliche und grundlegende Unterscheidung zwischen guten und schädlichen Toten, zwischen dem guten und dem schlechten Tod. 1610 wurde in Braunseifen ein verdächtiger Leichnam der Obhut des Pastors übergeben, der erklärte, "der Teufel zeige sich sehr mächtig im Körper des Toten", und auf Bitten seiner eigenen Kinder wurde der Leichnam am 6. Mai eingeäschert. (...)


Aus "Die Geschichte der Vampire. Metamorphose eines Mythos" von Claude Lecouteux.