Deni Brown / Royal Horticultural Society: "Die neue Kräuter-Enzyklopädie"
Anbau und Verwendung
Von Abelmoschus bis Ziziphus
"Die neue Kräuterenzyklopädie"
der Royal Horticultural Society - Alles, was Sie schon immer über Kräuter
wissen wollten
Wildpflanzen wurden schon seit dem Beginn der Zivilisation zur Herstellung von
Nahrung und Medizin, Kosmetik und Kleidung genutzt. Nahezu überall auf der Welt
bauten die Menschen Kräuter als Feldfrüchte oder als Zwischenfrüchte unter
Gemüse- und Zierpflanzen an. Handel, Raubzüge oder Völkerwanderungen brachten
den Kontakt mit immer neuen Sorten, Mythen entstanden um ihre Verwendung in der
Volksmedizin und in heiligen Riten, das Wissen um ihre Wirkung wurde von
Generation zu Generation mündlich und schließlich auch in Schriftwerken vieler
Kulturen bis heute überliefert.
Schon vor rund 4000 Jahren hegten und pflegten die alten Ägypter Kräuter in
eigenen Gärten in der Nähe ihrer Tempel, wo Lotusblumen, Kamille, Weihrauch
und Myrrhe für Kulthandlungen benötigt wurden. Beeinflusst von ägyptischen,
islamischen und römischen Traditionen blieben auch in der christlichen Kultur
Kräutergärten eng mit dem religiösen Leben verbunden. Der heilige Benedikt
erhob die Gartenarbeit gar zur, nach dem Beten, zweiten Ordensregel - kein
Wunder, hatte doch schon der heilige Hieronymus die Gläubigen aufgefordert,
"die Erde zu pflügen und den Kohl zu pflanzen". Aber nicht nur Gemüse,
sondern auch eine Vielzahl von hinter Klostermauern gedeihenden Kräutern würzten
den Mönchen die kargen Fastenspeisen, dienten dem Heilen und beglückten in
Form von Bieren oder Likören sicher auch so manchen Laien.
Die Verwendung von Kräutern in der oft eng mit Ritualen verbundenen Volksmedizin
ging auch in zahlreiche Mythen, Legenden und Sagen ein, die sich um ihre Entstehung
und Wirkung ranken. Bestimmte Pflanzen galten in vielen Kulturkreisen als heilig,
waren aber zugleich als Mittel der Zauberei gefürchtet. So ließ man in Europa
die wegen ihrer Form als Menschengestalt gedeutete Wurzeln der Alraune
lieber sicherheitshalber von Hunden ausreißen, um nicht durch die angeblichen
Schreie des darob nicht erfreuten Grünzeugs in den sicheren Tod getrieben zu
werden. Trotzdem hat gerade im Mittelalter offenbar manch wagemutige Person
gerne dieser Gefahr getrotzt, wirkt doch die heute in der
Homöopathie
eingesetzte Mandragora officinarum nicht nur schmerzstillend, sondern
vermag aufgrund ihrer halluzinogenen Wirkung wohl auch leicht die Illusion zu
vermitteln, auf einem Hexenbesen durch die Lüfte reiten zu können.
Wurde das Kräuterwissen eines Volkes häufig nur mündlich tradiert, so entstanden
doch schon früh auch schriftliche Aufzeichnungen. Die chinesische Kräuterkunde
verfügt dabei über die längste zusammenhängende schriftliche Überlieferung,
aber auch in Tausende Jahre vor Christi Geburt entstandenen Texten der Chaldäer,
der Assyrer, der
Ägypter
und der ayurvedischen Medizin
werden Kräuter erwähnt und beschrieben. Vor allem nach der Erfindung des Buchdrucks
entstanden in Europa und später auch der Neuen Welt zahlreiche bedeutende Werke
über Kräuter, die oftmals durch ihre wunderbaren Abbildungen besonders faszinieren.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der industrialisierten Welt zumeist als altmodischer
Humbug verschrien, sind Kräuter heute nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken.
Sie landen auf unseren von immer exotischeren Küchen inspirierten Tellern, erfreuen
Gartenliebhaber, sind Bestandteil von Kosmetika und Parfums und versprechen
als Ergänzung oder gar Alternative zur Schulmedizin die sanfte Behandlung vieler
Leiden. Abhängig vom gerade aktuellen Postulat der Medien und der Wirtschaft
gelten Ginseng, Guarana, Aloe Vera & Co nicht selten geradezu als Wundermittel,
die dem zivilisationsgeplagten Körper und Geist Erleichterung und Erleuchtung
garantieren sollen.
Für alle, die in diesem Spannungsfeld von Medizin und Mythos, Küche und
Gartenbau seriös und umfassend zu allen Aspekten der weiten Welt der Kräuter
informiert werden wollen, bietet "Die neue Kräuterenzyklopädie" der
Royal Horticultural Society eine wahre Wissensfundgrube. Auf rund 450 reich
bebilderten Seiten stellt die renommierte Pflanzenkennerin und Gärtnerin Deni
Brown darin über 1000 Kräuter ausführlich vor, erläutert ihren Anbau und
ihre oft breit gefächerte Verwendung. Botanische Informationen und
praxisbezogene Tipps werden mit kulturgeschichtlichem Hintergrundwissen
kombiniert, das auch die für Natur und Mensch leider häufig negativen Folgen
der "Wiederentdeckung" und kommerziellen Nutzung von Kräutern nicht
ignoriert.
Den grundlegenden, durchaus divergierenden Definitionen, was denn nun Kräuter
sind, und der Bedeutung dieser Pflanzen in der Geschichte widmen sich einführende
Kapitel. Daneben werden zahlreiche Regionen der Erde mit ihren wild wachsenden
Kräutern und den aus ihrem vermehrten Einsatz in der Pharmazie resultierenden
Problemen, wie etwa der Gefährdung vieler Arten oder der Bedrohung des
Lebensraumes indigener Völker, vorgestellt. Die Verwendung von Kräutern in der
Küche, der Medizin und der Kosmetik wird ebenfalls kurz angerissen.
Breiter Raum wird Informationen und praxisnahen Hinweisen zu Auswahl und Anbau
in Töpfen, Blumenkisten, unter Glas und im Garten, zu Vermehrungsmethoden, Pflege,
Ernte, Konservierung und Lagerung von Kräutern gewidmet. Völlige Gartenneulinge
werden eventuell zu manchen dieser Themen noch weitere Literatur konsultieren
wollen, doch finden auch diese hier einen fundierten Überblick zum Umgang mit
Kräutern sowie einige leicht umsetzbare
Pflanzvorschläge
für Töpfe und Blumenkästen.
In mehreren Kapiteln wird ausführlich auf die Anlage von Kräutergärten
eingegangen, deren Gestaltung vielfältige Möglichkeiten bietet. Streng formale
Kräuterarrangements in der Tradition elisabethanischer Flechtgärten stehen da
zwanglosen Varianten oder Wildblumengärten mit Kräutern gegenüber, Entwürfe
können entweder von den Düften der Kräuter, ihrer Farbe oder der - in der
Gartenrealität oft recht beschränkten - Größe der zur Verfügung stehenden
Fläche bestimmt werden. Oder man entscheidet sich überhaupt für ebenso
dekorative wie nützliche Mischpflanzungen, die zum Beispiel Kräuter mit Rosen
kombinieren können.
Das Hauptaugenmerk des voluminösen Bandes liegt naturgemäß auf dem gut
durchdachten enzyklopädischen Teil, in dem Kräuter aus aller Welt systematisch
vorgestellt werden. Jeder Pflanze in diesem "A bis Z der Kräuter" ist
eine Beschreibung der Gattung gewidmet, die Wissenswertes über ihre Verbreitung
und Geschichte, ihre Wirkstoffe, die Herleitung ihres Namens und neueste
Forschungsergebnisse inkludiert. Nach kurzen Informationen über Kultur,
Vermehrung und Ernte sowie speziellen Arten und etwaigen Varietäten bzw. Sorten
und deren botanischen Namen erfährt der Leser Nützliches zu Winterhärte,
Verwendbarkeit, Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten in Küche und Medizin,
ohne allerdings auf letzteren Gebieten detaillierte Anleitungen zu erhalten.
Vor allem Gärtnern werden Angaben zur durchschnittlichen Höhe und Breite
ausgewachsener Pflanzen willkommen sein. Kompakte Auskunft über verwendbare
Pflanzenteile, Einsatzbereich und Winterhärte der jeweiligen Art bietet auch
ein Symbolsystem; Querverweise zu anderen vorgestellten Gattungen und Arten
erleichtern ebenso die Benutzung der Buches.
Neben dem ausführlichen Hauptregister hilft ein Index der deutschen Vulgärnamen,
die ja oft nicht unter ihrem wissenschaftlichen Namen allgemein bekannten Kräuter
rasch aufzufinden. Ebenfalls sehr praktisch sind im Anhang ein botanisches und
medizinisches Glossar sowie eine nützliche Adresssammlung von Bezugsquellen und
interessanten Kräutergärten im deutschsprachigen Raum.
1995 erstmals erschienen, wurde die erfolgreiche "Große Kräuterenzyklopädie"
der ehrwürdigen britischen Royal Horticultural Society von Deni Brown für
dieses Buch umfassend überarbeitet. Viele neue Kräuter wurden in das neue
Standardwerk aufgenommen, die man in der Zwischenzeit besser erforscht und
kennen gelernt hat, die umfangreichen Informationen über bereits enthaltene
Pflanzen wurden erweitert und auf den neuesten Stand gebracht.
Die ansprechende Kombination aus Pflanzenenzyklopädie und informativem Handbuch
zur Kräuterverwendung wendet sich mit ihrem überreichen Wissensangebot an
Praktiker ebenso wie an Naturliebhaber und an Alternativmedizin Interessierte
und ist zum Nachschlagen wie zum Schmökern geeignet. "Wagen Sie sich in
die Welt der Kräuter und erfahren Sie alles über sie!", schließt die
Autorin ihr Vorwort zu diesem repräsentativen Band. Eine Aufforderung, der man
gerne nachkommt, und ein Versprechen, das tatsächlich größtenteils
eindrucksvoll eingelöst wird.
(sb; 04/2005)
Deni Brown / Royal Horticultural
Society: "Die neue Kräuter-Enzyklopädie"
Aus dem Englischen von Susanne Vogel.
Dorling Kindersley, 2005. 448 Seiten, mehr
als 1500 Farbfotografien.
ISBN 3-8310-0665-2.
ca. EUR 41,10.
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