Der Käfer |
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Hör zu,
es ist kein Tier so klein, dass nicht von dir ein Bruder könnte sein. |
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Fade!
Das Gartenfest plätscherte fade vor sich hin, garniert mit faden Genüssen der
kulinarischen Art, ebenso fader Unterhaltungsmusik, elendig faden Erzählungen
und abgeschmackten Scherzeinlagen, und so ging es dahin, bis zu jenem Augenblick,
in dem eine unscheinbar winzige Kreatur ganz beiläufig zu Brei getreten wurde.
So beiläufig, dass niemand von diesem grausamen Vorfall zu unseren Füßen Notiz
nahm.
Längst schon hatte ich mich vor dem unangenehmen Trubel in mein Innerstes
verkrochen, reagierte auf jede Aufmunterung zur Geselligkeit mit einem aufgesetzten
und wohl ziemlich hölzernen Grinsen, allenfalls einmal mit einem gefälligen Lacher,
wusste kaum noch, was um mich herging, war vereinsamt inmitten
einer Horde von Zeitverschwendern, als deren vorgeführtes Opfer ich mich fühlte.
Es knipste und blitzte in einem fort. Und so stand es zu befürchten, dass in der
kommenden Zeit noch mehr oder minder peinliche Kicherfotos von diesem unsäglichen
Gartenfest die Runde machen würden. Selbst der traurige Anblick, den meine von
Langeweile gequälte Person doch ganz offenkundig bieten musste, schien den eifrigen
Konservatoren nichtiger Momente allemal eine Ablichtung wert. Man würde mich noch
Tage danach mit den Folgeprodukten dieser Rührigkeiten zu beglücken wünschen.
Und ich würde das in Celluloid geronnene Gedenken an mehr nervende denn genüssliche
Inszenierungen dankbar entgegennehmen. Alles höflich erduldend, weil zu ängstlich
und zu schwach um einen ernsthaften Widerspruch auszuformulieren. Oder einfach
nur, weil zu bequem?
Irgendwann hatte sich die ganze Party-Gesellschaft
auf einer Art von Veranda eingefunden, einschließlich meiner dramaturgisch
betrachtet: nebensächlichen - Person, die verstohlen nach dem Zeitstand ihrer
Armbanduhr schielte und ansonsten nichts tat. Auf der Veranda verweilend, unterhielt
man sich sodann genau genommen über nichts, was als ein stetes Tönen aufgereizter
Sprachgeräusche zu vernehmen war, ein auf- und abschwellendes Stimmengewirr
inmitten einer im Grunde einschläfernden Atmosphäre, die meinen Blick zu Boden
knicken ließ, wo hurtig ein schwarzer Käfer krabbelte, geschäftig in die gewichtigen
Bedeutungen seines Lebens verstrickt, ein eiliger kleiner Kerl, der keinen Augenblick
zu verschenken hatte. Wie besessen bewegte er seine kleinen Beinchen, wohl ahnend,
wie gering sein schmächtiges Dasein im Kreise massigerer Kreaturen geschätzt sein
könnte.
Ein gnadenloses Augenpaar fixierte auch schon das kleine Geschöpf,
das nun nur noch um sein Leben rannte, zwei, drei flinke Schritte, ein aufstampfender
Fuß, leises Knacken, kein Schrei, ein stummer Tod. Ein schwarzer Abklatsch auf
hellem Untergrund, ein noch zitterndes Beinchen, platt gequetschtes Gedärm und
quellende Leibessäfte, das war der sterbliche Rest. Für nichts gestorben und in
seinem Sterben kaum einmal noch wahrgenommen.
Ich war - wie einige der
Umstehenden - Zeuge der mutwilligen Tötung des Käfers
geworden. Eine Bluttat, die mich aufreizte, und aus tiefster Empfindung quoll
jetzt zusehends ein ungeheuerliches Wutgefühl in mir hoch, zerriss die Trübheit
selbstgenügsamer Agonie und verspannte das Muskelgewebe zu einer ineinander verwobenen
Schicht aus Panzerplatten. So stand ich nun da, mehr Stahl denn Fleisch, ein Kampfgetier,
bereit für alles Unrecht dieser Welt Sühne einzufordern. Mein Blick verfing sich
in der Erscheinung der Täterin, welche ein liebreizendes Fräulein war, dessen
Konturen sich in der Wahrnehmungskraft meines wieder gewonnenen Konzentrationsvermögens
schärften, das also, da es sich von meinem übelwollenden Blick angestochen fühlte,
unangenehm berührt zurückblinzelte, ein verwundertes Fragen zugleich, weil es
ihm nicht möglich schien, die plötzlich aufkeimende Missgunst gegen seine Person
irgendwie zu begreifen. Eines läppischen Käfers wegen sollte es Unstimmigkeiten
geben? Unartige, ja geradezu unflätige Worte lagen mir bereits auf der Zunge,
ein bestialisches Temperament wollte sich an dem jungen Weib vergreifen, ein heißer
Sporn glühte in mir, der nach Blutrache für das zertretene Insekt verlangte, dessen
flüchtiges Leben - ich spürte es zuinnerst - mehr vor Gott zählte, als jene verkommene
Maid, die in ihrer ganzen Empfindungslosigkeit nicht einmal um ihre Untat zu wissen
schien. Wahrlich, die Furie kochte in mir hoch, aber schlussendlich enthielt ich
mich doch des Ausbruchs tobenden Zorns und wahrte stattdessen des edeln Gemütes
Contenance.
Mein Anblick muss in diesen Momenten innerer Erzürnung Furcht
erregend gewesen sein, denn schließlich schreckte sie vor mir zurück, so als ob
der von ihr zertretene Käfer in der Leibhaftigkeit meiner Trauer seine ehemalige
Gestalt wieder erhalten hätte und nun zur gebührlichen Antwort auf ihr Verhalten
ansetzte. Doch diesmal nicht klein und wehrlos, sondern von ungeheuerlicher Monstrosität,
mit dem Verstand eines grausamen Menschenwesens begütert, das nicht nur aus Bedürftigkeit,
oder der sadistischen Lustempfindung wegen, tötet, sondern aus bloßer Respektlosigkeit
vor den Wundern dieser Erde. Ihre Panik währte freilich nicht lange. Gerade einen
Augenschlag lang saß ihr ein kreatürliches Angstgefühl in den Gliedern. Dann hatte
sie sich auch schon wieder gefasst und war in die Nichtigkeit ihrer belanglosen
Alltagsexistenz zurückgesunken. Zeitgleich verschwammen mir ihre Umrisse zu einem
schemenhaften Gebilde, gerade noch hörte ich sie quaken, unterbrochen von einem
anderweitigen Gackern, dann ein hackendes Lachen, hässlich und roh. Der Alltag
kehrte zurück und schob sich besänftigend zwischen ihre Bluttat und mein Bedürfnis
nach Blutrache.
Mein Blick wanderte nun wieder abwärts, wo mir der zerbrochene
Schädel des Kleinen zärtlich zulächelte, eingebettet in den grausigen Rahmen ausgetretener
Gedärme. Ein für immer erstarrtes Lächeln, das langsam skelettierte und schon
der Verwesung anheim fiel. In stiller Trauer zelebrierte ich meinen Schmerz, von
niemandem bemerkt, weil schamhaft verborgen. So heimlich und unbeachtet wie der
Tod des kleinen Käfers, dessen schändliche Tötung offen anzuklagen oder auch nur
zu beklagen nichts als kopfschüttelndes Unverständnis erregt hätte. Denn das Leben
eines Käfers zählt nicht, und sein mutwillig herbeigeführter Tod mag nicht einmal
ein laues Gartenfest verunstimmen.
(Harald
Schulz; 06/2003)