David Quammen: "Das Lächeln des Tigers"
Von den letzten menschenfressenden Raubtieren der Welt
Hymne
an die letzten noch lebenden Großraubtiere dieser Welt
Der deutschsprachige - vermutlich aus Vertriebsgründen
gewählte - Titel, der eher an einen indischen Liebesroman oder
eine Wirtschaftsstudie südostasiatischer Schwellenstaaten
erinnert, hat mit dem englischen Originaltitel "Monster of
God. The Man-Eating Predator in the Jungles of History and Mind"
nichts gemein. Gäbe es nicht den deutschen Untertitel,
würde der potenzielle Leser getäuscht. Er
würde kaum auf den Gedanken kommen, dass ihn bei Quammens Werk
ein höchst faszinierendes und instruktives Buch über
das Zusammenspiel von Mensch und Raubtier erwartet.
Stets haben gefährliche Großraubtiere wie
Löwen oder Tiger den Menschen in gleicher Weise
abgestoßen wie angezogen. Nicht erst seit "Der
weiße Hai" oder anderen Filmen über
Tiermonster haben wir Angst vor dunklen Wäldern, Gebirgen und
tiefen undurchschaubaren Wassern. Doch die
Bevölkerungsexplosion und damit verbundene Einengung und
Zerstörung naturbelassenen tierischen Lebensraumes
können dazu führen, dass es vielleicht nur acht
Generationen später Mitte des 22. Jahrhunderts in freier
Wildbahn keine menschenfressenden Raubtiere mehr gibt. Wie wird sich
der Verlust dieser sogenannten Carnivora auf die
Psyche der Menschen auswirken? Welche Folgen wird er auf die
zurückbleibende Fauna und Flora haben?
Ausgehend von vier dieser Menschenfresser wie dem indischen
Löwen, dem australischen Salzwasserkrokodil, dem
rumänischen Braunbären und dem sibirischen Tiger
untersucht Quammen die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Mensch und
Raubtier sowie Natur und Raubtier. Er zeigt die vielfältigen,
damit verbundenen Konflikte auf und verdeutlicht das hochempfindliche
Gleichgewicht einer Koexistenz, die die Daseinsgrundlage von Mensch und
Tier sichert. Denn das Aussterben von Tiger und Konsorten ist letztlich
das Resultat einer unheilvollen Entwicklung und Zeichen eines
unwiederbringlichen Verlustes.
In seit dem "Der Gesang des Dodo"
(seinem preisgekrönten Erstlingswerk) bewährter
Manier mischt Quammen auf höchst unterhaltsame Weise die
Schilderung von Exkursionen und Befragungen einheimischer
Wissensträger mit der lebendigen Darstellung
wissenschaftlicher Untersuchungen über die genannten
Gipfelräuber. Doch das Buch enthält mehr. Quammen
wäre nicht Quammen, würde er nicht etwa nach
Ausführungen über schicksalhafte nordaustralische
Zusammenstöße zwischen Mensch und Crocodylus porosus
einen mehrseitigen hochinteressanten Exkurs über den
Widerstand der Yolngu Aborigenes innerhalb des Arnhemland-Reservats
gegen Verletzungen ihrer Menschen- und Landrechte durch die
weiße australische Regierung im Jahre 1963 einschieben. Ein
Lesegenuss sind auch die kulturhistorischen und -politischen
Ausführungen über ein Rumänien unter
Ceauşescu oder die Besiedlung von Russlands fernem Osten.
Fazit:
Das Buch des Wissenschaftsjournalisten aus Montana füllt eine
Lücke zwischen Populär- und Wissenschaftsliteratur.
Ausgehend von einem bewegenden Abgesang auf einige
Gipfelräuber in all ihrer Anmut und Stärke, Pracht
und Erbarmungslosigkeit, ohne die die Welt ärmer
wäre, verbindet es in einzigartiger Weise Natur- und
Kulturgeschichte. In welch anderem Werk des naturwissenschaftlichen
Journalismus findet man schon eine luzide Kurzabhandlung der
Gilgamesch- und
Beowulf-Epen. Den erfreulichen Gesamteindruck runden der geschmackvolle
Einband, ein Anmerkungsapparat, in dem allerdings knapp 20 im laufenden
Text des 2. Kapitels markierte Anmerkungen fehlen, eine elfseitige
Bibliografie und ein instruktiver in Englisch gehaltener sechsseitiger
Kartenteil ab.
(Matthias Korner)
David
Quammen: "Das Lächeln des Tigers"
(Originaltitel "Monster of God")
Übersetzt von Thorsten Schmidt.
List, 2006. 575 Seiten.
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David
Quammen, 1948 geboren, hat in Yale und Oxford studiert. "Der Gesang des
Dodo" wurde vielfach auch mit literarischen Preisen ausgezeichnet.
Weitere Bücher des Autors:
"Die
zwei Hörner des Rhinozeros"
Das Verhältnis des Menschen zur natürlichen Welt -
wer dahinter empfindsame Beschreibungen von Waldesherrlichkeit und
rauschenden Bächlein vermutet, wird enttäuscht. Denn
David Quammens Beziehung zur Natur ist ebenso unkonventionell wie die
Essays, die in diesem Buch versammelt sind.
Quammen begibt sich wieder einmal auf ungewöhnliches Terrain,
und seine Feldforschungen an exotischen Plätzen der Erde sind
stets verknüpft mit der Frage, wie der Mensch die Natur in
ihrer Vielgestalt betrachtet. Zu hemmungsloser Neugier neigend
interessiert er sich ebenso für Klapperschlangen wie
für ihre Händler, für die Zubereitung
tiefgekühlter Flederhunde wie für die Paarung
homosexueller Kraken und
die
Muskatnuss als Wirtschaftsfaktor.
Mit den Füßen im Sumpf des
Amazonas philosophiert
er über Gottes Liebe zu leuchtenden Käfern. Er wagt
verwegene Abstecher in die Naturgeschichte und verbreitet sich
über das berühmte Nashorn, das Albrecht
Dürer nur vom Hörensagen kannte, dessen Abbild aber
die gesamte Kunst- und Kulturgeschichte des Abendlandes beeinflusste.
Charmante Prosa gepaart mit unwiderstehlichem Humor, die leichte
Vermittlung komplexer Naturvorgänge und ein höchst
unkonventioneller Blick auf das schwierige Verhältnis zwischen
Mensch und Natur: Quammen beglückt uns mit luziden
Beobachtungen und einer herzerfrischenden Lektüre und macht
deutlich, dass der Blick nach draußen immer auch ein Blick
nach innen ist.
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"Der Gesang des Dodo"
Wieso treibt die Evolution auf Inseln besonders kapriziöse
Blüten und wieso bedeutet sie auf Inseln eine
Einbahnstraße in den Untergang? Um dies herauszufinden, hat
David Quammen sich zehn Jahre lang auf eine abenteuerliche Reise rund
um die Welt begeben - eine faszinierende Reise auch durch die
Geschichte der
Evolution, die in den Fußstapfen von A.R.
Wallace beginnt und bei den Feldforschungen einer Wissenschaft endet,
die sich heute Inselbiogeografie nennt.
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Noch
ein Buchtipp:
Josef
H. Reichholf: "Die Zukunft der Arten. Neue
ökologische Überraschungen"
Auch wenn manche Medienberichte oder eigene Beobachtungen dies
nahezulegen scheinen, unsere heimische Natur befindet sich keineswegs
auf dem Rückzug. Was vielen als ein Verarmen, als ein
Verschwinden der Natur erscheint, ist zunächst nichts Anderes
als der Ausdruck für den Wandel der Natur. So lässt
sich z.B. festhalten: Das beklagte Artensterben findet zumindest in
Deutschland nicht im befürchteten Umfang statt. Im Gegenteil,
laut Angabe des Bundesamtes für Naturschutz leben in der
Bundesrepublik 48000 Tierarten. In der Bilanz sind das 4000 mehr als
noch vor zwanzig Jahren.
So erfreulich Zahlen wie diese insgesamt sein mögen, unter den
vielen Tier- und Pflanzenarten Deutschlands, Österreichs und
der Schweiz finden sich auch solche, die es hier bislang nicht mehr
oder nicht in diesem Umfang gegeben hat. Was steckt hinter dieser
allgemeinen Dynamik der Natur? Hat es sie schon immer in dieser Form
gegeben, und welche Rolle kommt dabei den menschlichen Eingriffen in
die Natur und Umwelt zu?
Dieses Buch bietet einen Überblick über den
gegenwärtigen Zustand der heimischen Natur und bezieht
Stellung zu der heiß diskutierten Frage, welche Natur wir
eigentlich schützen wollen. (C.H. Beck)
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