(...) Im
Narrenhause zu Sevilla befand sich ein Mann, den seine Verwandten dahin
gebracht hatten, weil er nicht bei Verstande war. Er war zu Osuna zum
Grade eines Lizentiaten des Kirchenrechts befördert worden; aber wäre er
es auch zu Salamanca geworden, so würde er nach der Meinung der Welt
nichtsdestoweniger ein Narr geblieben sein. Dieser besagte Lizentiat kam
nach einigen Jahren Einsperrung auf die Meinung, er sei wieder gesunden
Geistes und bei vollem Verstande, und in dieser Überzeugung schrieb er
an den Erzbischof und bat ihn dringend und mit durchaus verständigen
Ausdrücken, er möchte ihn aus dem Elend, in dem er lebe, befreien, da er
durch Gottes Erbarmen seinen vollen Verstand bereits wiedererlangt habe,
während jedoch seine Verwandten, um auch fernerhin den Genuß seines
Vermögens zu haben, ihn dort festhielten und der Wahrheit zum Trotz
verlangten, daß er bis zu seinem Tod ein Narr bleibe. Der Erzbischof,
durch zahlreiche wohlgesetzte und verständige Briefe endlich bewogen,
befahl einem seiner Kapläne, sich bei dem Verwalter des Hauses zu
erkundigen, ob auf Wahrheit beruhe, was jener Lizentiat ihm geschrieben,
und er solle ebenfalls mit dem Narren sprechen, und wenn dieser nach
seiner Ansicht bei Verstande sei, so solle er ihn entlassen und in
Freiheit setzen. Der Kaplan tat also, und der Hausverwalter erklärte
ihm, der Mann sei noch immer verrückt, denn wiewohl er sehr oft als ein
Mensch von großem Verstande rede, so komme er am Ende plötzlich wieder
mit Torheiten zum Vorschein, die ebenso groß und zahlreich wie vorher
seine verständigen Äußerungen, wovon man sofort die Probe machen könne,
wenn man sich mit ihm unterhalte.
Der Kaplan wollte diese Probe anstellen; man brachte ihn zu dem
Verrückten, er sprach mit ihm eine Stunde und länger, und während dieser
ganzen Zeit sagte der Verrückte nicht ein einziges verkehrtes oder
ungereimtes Wort; vielmehr redete er mit solcher Besonnenheit, daß der
Kaplan sich zu glauben gezwungen sah, der Narr sei ein durchaus
vernünftiger Mensch. Unter anderm äußerte der Verrückte, der
Hausverwalter sei ihm übel gesinnt, weil er die Geschenke nicht einbüßen
wolle, die seine Verwandten ihm dafür zukommen ließen, daß er angebe,
er, der Eingesperrte, sei ein Verrückter mit lichten Augenblicken; und
der größte Feind, den er in seinem Unglück habe, sei eben sein Reichtum;
denn um diesen zu genießen, gebrauchten sie Hinterlist und Tücke und
äußerten Zweifel an der Gnade, die ihm Gott dadurch erwiesen, daß er ihn
aus einem vernunftlosen Tier wieder zu einem Menschen umgewandelt habe.
Kurz, seine Äußerungen waren derartig, daß er den Hausverwalter als
verdächtig, seine Verwandten als habgierig und erbarmungslos und sich
als so verständig darzustellen wußte, daß der Kaplan beschloß, ihn
mitzunehmen, damit der Erzbischof selbst ihn sähe und die Wahrheit in
diesem Handel mit Händen griffe.
In diesem guten Glauben ersuchte der biedere Kaplan den Verwalter, dem
Lizentiaten die Kleider wiedergeben zu lassen, die er bei seinem
Eintritt in die Anstalt getragen. Der Verwalter bat den Kaplan zu
bedenken, was er tue, da der Lizentiat ohne den geringsten Zweifel noch
immer verrückt sei. Die Warnungen und Vorstellungen des Verwalters, er
möge davon abstehen, den Mann mitzunehmen, blieben aber bei dem Kaplan
erfolglos; der Verwalter gehorchte, da er sah, daß es der Befehl des
Erzbischofs sei. Man legte ihm seine Kleider an, die neu und anständig
waren, und als er den Narren ausgezogen und den vernünftigen Menschen
wieder angezogen hatte, bat er den Kaplan, ihm aus christlicher Liebe zu
erlauben, von seinen bisherigen Genossen, den Narren, Abschied
zu nehmen. Der Kaplan erwiderte, er selbst wolle ihn begleiten und sich
die Narren
ansehen, die sich im Hause befänden. Sie gingen denn wirklich hinauf und
mit ihnen verschiedene Leute, die eben anwesend waren, und als der
Lizentiat zu einer Zelle kam, in der sich ein Rasender befand, der aber
jetzt still und ruhig war, sprach er zu diesem: »Lieber Freund, überlegt
Euch, ob Ihr mir etwas aufzutragen habt, denn ich gehe nach Hause, weil
Gott in seiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit die Gnade gehabt hat,
mir Unwürdigem meinen Verstand wiederzuschenken. Ich bin nun genesen und
bei voller Vernunft, denn bei Gottes Allmacht ist kein Ding unmöglich.
Setzet auch Ihr alles Hoffen und Vertrauen auf Gott, denn da er mich
wieder in meinen früheren Zustand gebracht hat, so wird er auch Euch
wieder dazu bringen, wenn Ihr ihm vertraut. Ich werde darauf bedacht
sein, Euch etliches Gute zu essen zu schicken, und auf alle Fälle eßt
es, denn ich tu Euch zu wissen, ich glaube als einer, der es an sich
selbst erlebt hat, alle unsere Torheiten kommen davon her, daß man den
Magen leer und das Gehirn voller Wind hat. Fasset Mut, fasset Mut, denn
Niedergeschlagenheit im Unglück mindert die Gesundheit und führt den Tod
herbei.«
All diesen Äußerungen des Lizentiaten hatte ein andrer Narr zugehört,
der sich in einer anderen Zelle dem Rasenden gegenüber befand; er erhob
sich von der zerschlissenen Schilfmatte, auf der er splitternackt lag,
und fragte mit lautem Schreien, wer denn der Mann sei, der da genesen
und bei Verstand von dannen gehe.
Der Lizentiat antwortete: »Ich bin's, lieber Freund, der weggeht; denn
ich habe es nicht mehr nötig hierzubleiben, wofür ich dem Himmel unendlich danke, der mir eine so
große Gnade erwiesen hat.«
»Bedenket wohl, was Ihr sagt, Lizentiat, laßt Euch vom Teufel nicht
verblenden«, entgegnete der Verrückte; »gebietet Eurem Fuße Halt, und
bleibt mir hübsch ruhig an Eurer Wohnstätte, dann erspart Ihr Euch das
Wiederkommen.«
»Ich weiß, daß ich gesund bin«, versetzte der Lizentiat; »es wird nicht
nötig sein, diesen Leidensweg noch einmal zu gehen.«
»Ihr gesund?« sagte der Verrückte; »nun gut, es wird sich zeigen, geht
mit Gott; aber ich schwöre Euch bei Jupiter, dessen Majestät ich auf
Erden vertrete, um dieser alleinigen Sünde willen, die Sevilla heute dadurch
begeht, daß es Euch aus diesem Hause freiläßt und Euch für vernünftig
hält, werde ich über die Stadt eine solche Strafe verhängen, daß deren
Angedenken währen soll bis in die spätesten Zeiten der spätesten Zeiten,
Amen. Weißt du nicht, armseliges Ding von einem Lizentiaten, daß ich das
zu tun vermag, da ich, wie ich gesagt, der Donnerer Jupiter bin und in
meinen Händen die zündenden Blitze halte, mit denen ich die Welt zu
bedräuen und zu zerstören imstande und gewohnt bin? Jedoch ich will
diese unverständige Stadt nur mit einer Züchtigung heimsuchen, nämlich
ich werde es in ihr und in ihrem ganzen Bezirk und Umkreis nicht regnen
lassen, drei ganze Jahre hindurch, welche von dem Tag und Augenblick an,
wo ich diese Drohung ausspreche, zu berechnen sind. Du frei, du gesund,
du bei Verstand? Und ich ein Narr, und ich geisteskrank, und ich in
Banden? Ich will inskünftig nicht mehr regnen lassen, so gewiß als ich
mich nicht hängen will.«
Das Geschrei und die Äußerungen des Verrückten erregten allgemeine
Aufmerksamkeit bei den Umstehenden; aber unser Lizentiat wendete sich zu
unserm Kaplan, ergriff ihn bei den Händen und sprach zu ihm: »Seid
darüber ohne Sorgen, werter Herr, und achtet nicht auf das, was dieser
Narr gesagt hat, denn wenn er auch Jupiter ist und es nicht regnen lassen
will, ich, ich bin Neptun, der Vater und Gott der Gewässer, und ich
werde so oft regnen lassen, als es mich gelüstet und notwendig ist.«
Darauf entgegnete der Kaplan: »Trotz alledem wäre es nicht recht, den
Herrn Jupiter zu erzürnen. Bleibt an Eurer Wohnstätte; ein andermal,
wenn sich bequemere Gelegenheit und mehr Zeit findet, werden wir kommen,
Euer Gnaden abzuholen.«
Der Verwalter lachte wie alle Anwesenden, und darüber ward der Kaplan
etwas ärgerlich und beschämt; man zog dem Lizentiaten seine schönen
Kleider vom Leibe; er blieb im Narrenhaus, und die Geschichte ist aus.
(...)
(aus dem "Don Quijote" von Cervantes)