John Edwards: "Die spanische Inquisition"
Die erste umfassende Darstellung der Inquisition in deutscher Sprache seit mehr als 30 Jahren
"Wer nicht
in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt
sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen."
(Die Bibel; - Johannes 15,6)
Nach
dem Dafürhalten von gar nicht so wenigen Zeitgenossen ist die Geschichte der römisch
katholischen Kirche kritisch betrachtet immer nur als Kriminalgeschichte auslegbar,
wobei die im Laufe von Jahrhunderten freigesetzte kriminelle Energie wahrlich
keinen Vergleich scheuen müsste. Kreuzzüge gegen Moslems und häretische Bewegungen,
kirchlicher Hexenwahn und Inquisitionsgerichtsbarkeit werden zur Untermauerung
dieser Geschichtsthese ins Treffen geführt; solcherart findet ein antiklerikal
geführter Kulturkampf aus der Frühzeit europäischer Aufklärung in reichlich unreflektierter
Manier in der Gegenwart seine Fortsetzung. Vorurteilen, ob nun positiv oder negativ
gewandet, gilt es jedoch immer und überall entgegenzutreten, und gerecht ist nur
beurteilt, was zuvor in seiner ganzen sachlichen Wirklichkeit erforscht worden
ist. Wer die Wahrheit jedoch gar nicht kennen will und sich dennoch anmaßt zu
verurteilen, der handelt unrechtens, denn jeder Verbrecher wie auch jede verbrecherische
Organisation haben in einer zivilisierten Rechtskultur jedenfalls einen Anspruch
auf ein faires Ermittlungsverfahren. Wer sich also nicht die Mühe einer nüchternen
Betrachtung historischer Fakten zumuten will, dem sei dieses Buch auch nicht empfohlen.
Diese Lektüre würde ihn nur in seiner weltverschlossenen Befindlichkeit verletzten,
die in vorgefassten Meinungen ihren Halt sucht, von deren Fraglosstellung sie
zehrt.
John Edwards bemüht sich
in seiner umfassenden Darstellung der spanischen Inquisition um eine betont
sachliche Bestandsaufnahme einer Epoche religiöser Intoleranz, in der eine Gesittung
vorherrschte, die in ihrem Streben nach totaler Herrschaft über alle Lebenswirklichkeiten
bisweilen in blanken Gesinnungsterror abglitt. Keineswegs ist es die Absicht
des Autors zu werten oder zu verurteilen, sondern Zweck des Buches ist es, in
begreifender Weise ein historisches Phänomen in seiner ganzen Komplexität zu
erhellen; ein Phänomen, das dem allgemeinen Verständnis nach eine Ausgeburt
der Hölle im Schoße der römisch katholischen Kirche gewesen sein muss. Diesem
weit verbreiteten Zerrbild hält Edwards gleich einleitend zu seiner Geschichte
der Inquisition eine Vermutung individueller Ehrhaftigkeit entgegen, indem er
schreibt: "Jeder Inquisitor war davon überzeugt, allein an einem glücklichen
Ausgang für diejenigen interessiert zu sein, die er verhörte, selbst wenn die
Gewalt, mit der er dieses Ziel verfolgte, seine Überzeugung in vielen Fällen
als höchst zweifelhaft erscheinen lässt." (Man fühlt sich unvermittelt an Dostojewskijs
"Der Großinquisitor" erinnert.) Und
in der Tat belegt der historische Befund, dass die spanische Inquisition - als
eine nationale Filiale der ansonsten allgemein verbreiteten römischen Inquisition
- grundsätzlich keineswegs von verbrecherischen oder in finsterem Aberglauben
verfangenen Motiven geleitet war.
Hoch gebildete Theologen standen dem "Heiligen Offizium" vor, von denen gar
manche später heilig gesprochen wurden oder ihre klerikale Karriere als römischer
Papst zu einem krönenden Abschluss brachten. Es ist also durchaus angebracht,
in diesem Zusammenhang von theologischem Rigorismus zu sprechen. Die zu jener
Zeit kursierenden diversen Spielarten religiösen Wahns waren hingegen nicht
im besonderen Interesse der Inquisitoren. So begegnete der gelehrte Glaubenswächter
dem Hexenwahn vielerorts mit Skepsis,
und ein Inquisitor namens Alonso Salazar y Frías trug anfangs des 17. Jahrhunderts
maßgeblich dazu bei, dass in den baskischen Ländern die Hexenverbrennungen eingestellt
wurden. Und was die Folter betrifft, so handelte es sich hierbei um eine zu
jener Zeit allgemein übliche Verhörmethode, die jedoch, entgegen dem anders
lautenden Gerücht, in Inquisitionsverfahren nur als letztes Mittel bei einer
Minderheit der Fälle zur Anwendung kam, so wie auch die Verbrennung auf dem
Scheiterhaufen in der Regel lediglich als ultima ratio praktiziert wurde. Legitim
schien den Kirchgelehrten diese äußerste Marter jedoch noch allemal, denn die
Verbrennung des sündigen Leibes sollte bei gleichzeitigem Fürbittebeten in schwerwiegenden
Fällen von Ketzerei zumindest die Seele des Verirrten retten helfen. Eine Art
von Katharsis also, nicht als Strafe oder Buße für unbotmäßiges Verhalten gedacht.
Bei diesem Flammentod handelte es sich tatsächlich natürlich um einen besonders
grausamen Abschluss in einem Ketzerprozess, der einer Mehrheit von Angeklagten
glücklicherweise jedoch erspart blieb, womit die historisch unrichtige Charakterisierung
der Inquisition als ebenso mörderische wie sadistische Einrichtung der römisch
katholischen Kirche zumindest relativiert - wenn auch noch lange nicht behoben
- sein sollte. Anders wäre übrigens auch die erstaunliche Popularität beim spanischen
Volk nicht erklärbar, welches den spezifisch klerikalen Justizapparat der Inquisition
ob seines die Gesellschaft stabilisierenden Einflusses durchaus auch zu schätzen
wusste. (Hingegen die spanische Inquisition in den der spanischen Krone zugehörigen
Ländereien außerhalb des Mutterlands, in Italien und
in den
Niederlanden, durch ihr unsensibles Vorgehen auf breite Ablehnung stieß
und darüber hinaus einer Atmosphäre des Völkerhasses Vorschub leistete.)
Erklärtes
Hauptziel eines jeden Inquisitionsverfahrens war zudem immer noch die Aussöhnung
des der Häresie Verdächtigten mit seiner Kirche. Handelte es sich bei dem "Heiligen
Offizium" doch um eine Kombination aus Gerichtshof und Beichtstuhl in einem, dessen
eigentlicher Zweck nicht die Vernichtung, sondern die Anpassung von Menschenleben
an die herrschenden kirchlichen und weltlichen Normen war. Und das natürlich zum
Besten der Schutzbefohlenen gedacht, von denen man meinte, sie bedürften ihrer
naturgegebenen Unmündigkeit wegen der strengen doch gerechten Anleitung durch
fürsorgliche Patriarchen, ansonsten sie alle einer chaotischen Regellosigkeit
anheimfallen würden. (In diesem Sinne fühlte sich der Inquisitor auch zur Disziplinierung
von normabweichenden Sexualpraktiken berufen.)
Von
eminenter Bedeutung für den weiteren Geschichtsverlauf Europas dürfte nach Meinung
Edwards der wesenhaft antisemitische Charakter der spanischen Inquisition gewesen
sein. Und betrachtet man die Faktenlage, so ist dem nichts zu entgegnen. Die im
Jahre 1478 auf Betreiben der katholischen Könige Ferdinand V. und Isabella I.
mit Zustimmung des Papstes installierte kirchliche Verfolgungsbehörde nahm ihre
Tätigkeit als Instrument organisierter Repression in einem Zeitalter der Konstituierung
von weltlicher und klerikaler Herrschaft auf. Es war die auslaufende Epoche der
Reconquista, der Rückeroberung jener Teile Spaniens, die von den arabischen Mauren
über Jahrhunderte beherrscht worden waren. In den rückeroberten Territorien fanden
die christlich-abendländischen Heerführer aus dem Norden der iberischen Halbinsel
multiethnische Kulturen vor, teils christlich, teils jüdisch und teils muslimisch
geprägt. Die Repression der neugeschaffenen Kirchenbehörde richtete sich zuerst
vor allem gegen so genannte "Conversos", welche als ehemalige Juden unter Anwendung
von Zwangsmethoden christianisiert worden waren, folglich, weil unter Zwang oftmals
nur zum Schein konvertiert, innerlich ihrem ursprünglichen Judentum kultisch verbunden
blieben, was man ihnen nun innerhalb der christlichen Glaubensgemeinschaft als
eine judaisierende Glaubenspraxis zum Vorwurf machte.
In
den Augen der Inquisition handelte es sich bei diesem Judaisieren konvertierter
Neuchristen um Häresie, die es auszutilgen galt. Ähnlich verfuhr man in weiterer
Folge mit den Morisken (Moriscos), welche als ehemalige moslemische Untertanen
des arabischen Maurenreiches in Spanien unter Zwang zum Christentum übergetreten
waren, weshalb man ihnen, trotz der Taufe, ihr christliches Glaubensbekenntnis
nicht ganz abnahm. Angehörige von Conversos und Moriscos galten somit allein schon
ihrer Herkunft wegen allesamt als potenzielle Häretiker (verderblichen Irrlehren
anhängend), die dem herrschaftlichen Wunsch nach Verwirklichung einer uniformen
katholischen Gesellschaftsordnung durch ihre bloße Anwesenheit bereits schädlich
entgegenstanden. Nicht verwunderlich, dass das Treiben der Inquisition vielerorts
den Charakter ethnischer Säuberungen annahm. Eine Praxis übrigens, die man ihr
später seitens spanischer Patrioten zum Vorwurf machte, weil solcherart Spanien
auf mutwillige Weise vieler brillanter Köpfe verlustig gegangen sei, was den Niedergang
der iberischen Großmachtstellung zur Folge gehabt hätte.
Erst
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wandelte sich die Inquisition zu einer
allgemeinen Gerichtsinstanz für Ideen und Moral. Mit dem Aufkommen des Protestantismus
und in weiterer Folge der modernen rationalistischen Philosophie (das Zeitalter
der Aufklärung begann) sowie der politischen Strömung des Liberalismus taten sich
der organisierten kirchlichen Unduldsamkeit neue Betätigungsfelder auf. Betätigungsfelder,
die - so liest es sich bei Edwards - bis zum heutigen Tage die Inquisition bzw.
ihre unter einem weniger verfänglichen Namen agierenden Nachfolgeeinrichtung beschäftigen.
Denn wenn auch im Jahre 1829 Papst Pius VIII. auf Ansuchen des - unter gutnachbarlichem
französischen Druck handelnden - Königs Ferdinand die Unabhängigkeit der spanischen
Inquisition aufhob, und Königin María Cristina die spanische Inquisition mit Dekret
vom 15. Juli 1834 endgültig auflöste, so besteht sie de facto doch in Gestalt
der "Kongregation für die Glaubenslehre" (Sacra Congregatio pro Doctrina Didei)
als Wächterin über die richtige Lehre in der Kirche bis in unsere Tage hinein
fort. Dieser - bis 1965 offiziell als "Sanctum Officium", "Heiliges Offizium",
benannten - vatikanischen Kontrollinstanz zur Sicherung der Lehre der römisch
katholischen Kirche in Fragen des Glaubens und der Moral steht seit 1981 der außerordentlich
einflussreiche
Joseph Kardinal
Ratzinger als Kurienkardinal vor. Und wenn auch heute niemand mehr befürchten
muss, im Schandkleid des Sambenito in einem öffentlichen "auto de fe" (Glaubensakt)
als büßender Ketzer durch die Straßen geführt zu werden, so fallen dem römischen
Bedürfnis nach doktrinärer Korrektheit doch immer noch in trauter Regelmäßigkeit
brillante Köpfe zum Opfer, wobei es sich im Regelfall um Angehörige der Theologenzunft
handelt, denen man seitens der Kirchenbürokratie mehr oder minder begründet vorwirft,
vom rechten katholischen Glauben abgewichen zu sein und denen deswegen in Geheimverfahren
ihre theologische Lehrbefähigung abgesprochen wird oder man ihnen ein Schweigegebot
auferlegt, das solange einzuhalten ist, bis die Häresie vom jeweils Betroffenen
einbekannt und korrigiert wurde. Die Theologen
Leonardo Boff,
Hans Küng und Adolf Holl
seien an dieser Stelle nur stellvertretend für eine lange Liste von Opfern vatikanischer
Inquisitionsverfahren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angeführt. In diesem
Lichte einer fortgesetzten Drangsalierung von Wortführern eines sozial und politisch
engagierten Katholizismus muss auch das am 12. März 2000 erfolgte "Mea Culpa"
des Papstes als eine in ihrer vagen Formulierung und inkonsequenten praktischen
Umsetzung völlig unzureichende Förmlichkeit abgetan werden.
Dieses
"Mea Culpa", ein öffentliches Schuldbekenntnis, in dem
Papst Johannes Paul II.
wie auch Kardinal Ratzinger und andere führende Vertreter der Katholischen Kirche
- ohne die Inquisition explizit zu nennen (!) - "für den Gebrauch der Gewalt,
zu dem einige im Dienst an der Wahrheit geschritten seien" um Vergebung baten
und bekannten, dass "die Christen bisweilen Methoden der Intoleranz zugelassen"
haben, schwört nämlich keineswegs dem Geist der Inquisition ab, wenn einerseits
die explizite Nennung der Inquisition verabsäumt wird und andererseits die organisierte
Gewalt gegen ethnische Minderheiten oder gegen in ihrem Denken und Handeln abweichende
Menschen jetzt plötzlich nur noch ein individualisiertes Fehlverhalten von "einigen
(!) im Dienst an der Wahrheit" gewesen sein soll, die "bisweilen Methoden der
Intoleranz zugelassen" haben. Jedes einzelne Wort in diesem "Mea Culpa" des Papstes
kann als aufreizende Provokation empfunden werden, denn weder handelte es sich
bei dem kirchlich organisierten Terror durch die Inquisition um eine - in päpstlicher
Wortfassung so harmlos klingende und ergo Lässlichkeit suggerierende - "bisweilige
Intoleranz", noch wurde diese Praxis klerikaler Intoleranz einfach nur "zugelassen".
Die
historischen Betrachtungen des Inquisitionsexperten John Edwards vermitteln dazu
ein konträres Bild, das geeignet sein könnte dem kirchenfürstlichen "Mea Culpa"
eine gewisse Zurückhaltung bei der Denunzierung des geschichtlichen Fehlverhaltens
der eigenen Organisation zu attestieren. Dabei war ausgerechnet die Denunziation
immer ein wichtiges Instrument der Inquisition bei der Bekämpfung von Häresie.
Ging es ihr primär doch um die Erforschung von häretischen Sozialgeflechten und
erst sekundär um die Rückführung von Bußwilligen, die ihre höchstpersönlichen
Irrungen zur Anzeige brachten. Die rückhaltlose Denunziation von Häresie galt
zu jener Zeit als höchste Christenpflicht; hingegen in unserer Zeit die Denunziation
kirchlich organisierter Verbrechen gegen die Menschlichkeit zumindest von römisch-katholischer
Seite nach wie vor mehr zögerlich denn rückhaltlos betrieben wird.
In
Anbetracht einer fortgeführten inquisitorischen Praxis des römisch katholischen
Establishments, aber nicht nur deswegen, beschließt Edwards seine betont nüchterne
und doch spannend zu lesende Geschichte der Inquisition mit einem Appell an die
Wachsamkeit gegenüber weiteren "Inquisitionen" oder ihren Entsprechungen, die
ganz offenkundig im Bereich des Möglichen bleiben, solange Menschen welcher Nation
und Ideologie auch immer, nicht davon ablassen, Opfer zu schaffen, weil sie glauben,
für das Gute zu wirken. Diesem mahnenden Schlusswort des Autors ist nichts Weiteres
hinzuzufügen.
John Edwards ist Professor für Geschichte an der Universität Oxford und ob seiner fundierten Kenntnisse der spanischen Inquisition weltweit als ein führender Fachexperte gefragt.
(Harald Schulz; 05/2003)
John Edwards: "Die spanische Inquisition"
Aus dem Englischen von Harald Ehrhardt.
Artemis
& Winkler, 2003. 210 Seiten, mit zahlreichen Schwarzweißabbildungen.
ISBN 3-538-07153-5.
ca. EUR 26,-.
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