Wladimir Kaminer: "Lew Nikolajewitsch Tolstoi"
Berichte
aus den Tiefen der russischen
Literatur
Gesprochen
von Wladimir Kaminer
(Hörbuchrezension)
Ein
Stück russischer
Literaturgeschichte in kurzweiliger Darstellung
Tolstoi gilt gemeinhin als der wichtigste russische Schriftsteller, was
man übrigens
unschwer an Länge und Fülle seines Bartes erkennen
kann, wie Wladimir Kaminer
weiß, Autor und Sprecher des vorliegenden Hörbuchs.
Denn je üppiger der Bart
eines Schriftstellers, desto größer dessen Bedeutung.
Beginnend mit einigen Vertretern früherer
Tolstoi-Generationen, deren bewegte
Vitae zeigen, dass dieses Adelsgeschlecht schon immer für
Unkonventionelles und
Überraschungen gut war, zeichnet Kaminer auf der ersten CD
Tolstois Biografie
nach, die der seiner Vorfahren in nichts nachsteht: Der
gräfliche
Studienabbrecher nimmt an zwei Kriegen teil; im Kaukasus erlebt er die
Kämpfe
gegen die Tschetschenen und im
Krimkrieg den Stellungskrieg um
Sewastopol. Seine
kritischen Erzählungen zu diesen Themen lösten
intensive Kontroversen aus und
machten ihn als Schriftsteller bekannt.
Kaminer geht im Kapitel
"Tolstoi
und die Frauen" nicht nur auf die
schwierige Ehe des Schriftstellers ein, sondern auch auf das Problem
der
Leibeigenschaft, das für Frauen dieses Standes unter anderem
darin gipfelte,
dass sie ihrem Herrn bei Interesse auch sexuelle Dienstleistungen
erbringen
mussten; Tolstoi gehörte zu diesen Herren.
Das abschließende Biografie-Kapitel "Tolstoi und Gott" widmet
sich
der gewaltigen Zäsur
im Leben des immer Sinn suchenden Schriftstellers, die
sich schon vor den 1880er-Jahren ankündigte, als Tolstoi eine
Religion auf den
Grundlagen der Bibel
schaffen wollte. Zuvor hatte er bereits viel daran gesetzt,
die Lebensbedingungen der Bauern und Arbeiter zu verbessern - und
anders als
viele Weltverbesserer begann er mit seinem eigenen Landgut.
Sein Wunsch, einfach zu leben und seine Güter unter den Armen
zu verteilen, führte
zu massiven Konflikten mit seiner Familie, zudem erfuhr er politische,
kirchliche und zum Teil auch soziale Ächtung. Tolstoi verstarb
während einer
spektakulären Reise.
Wer Kaminer kennt, wundert sich nicht, dass der Autor die Biografie mit
dem ihm
eigenen trockenen Humor würzt, sodass der Hörer immer
wieder lächelt oder gar
lacht. Dabei tastet Kaminer die Würde des berühmten
Porträtierten allerdings
nie an, sondern begegnet dieser außergewöhnlichen
Figur mit viel Respekt.
Kaminers Biografie gibt einen guten und kurzweiligen Überblick
über Tolstois
faszinierendes Leben, seine Geisteshaltung, seine Bedeutung
für die russische
Literatur und Gesellschaft sowie sein schriftstellerisches Schaffen.
Die zweite CD enthält von Kaminer gelesene Auszüge
aus Tolstois bekanntesten
Werken, "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina" sowie die
Erzählung "Gespräch mit einem Fremden", in der sich
Tolstoi mit dem
von ihm so geliebten einfachen russischen Volk befasst und eine wohl
fiktive zufällige
Begegnung mit einem Arbeiter skizziert.
Kaminer greift aus den beiden großen Werken Abschnitte
heraus, die Tolstois
Stil und scharfen Verstand sehr gut widerspiegeln und zugleich bereits
einen
repräsentativen Eindruck von den Inhalten vermitteln, so in
"Krieg und
Frieden" zum Beispiel das Element des Zufalls in Napoleons Aufstieg und
Fall. Aus "Anna Karenina" kann man den viel zitierten, genialen Anfang
anhören, ebenso Auszüge aus den anderen beiden
Handlungssträngen des Romans.
Insgesamt also ein sehr geschickt und ansprechend zusammengestelltes
Hörbuch,
das beweist, dass Kaminer nicht nur für originellen Klamauk
steht, sondern auch
ganz wunderbar und kurzweilig Kenntnisse der russischen
Literaturgeschichte
vermitteln kann - und das durchaus mit Tiefgang. Den aparten russischen
Akzent
des Autors und Sprechers werden die meisten Hörer
genießen.
(Regina Károlyi; 05/2008)
Wladimir
Kaminer: "Lew Nikolajewitsch Tolstoi.
Berichte aus den Tiefen der russischen Literatur"
Gesprochen
von Wladimir Kaminer.
Random House Audio, 2008. 2 CDs; Laufzeit ca. 140 Minuten.
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Ursula Keller, Natalja
Sharandak: "Sophia Andrejewna Tolstaja. Ein Leben an der Seite
Tolstojs"
"Lange Zeit lebte ich nicht mein eigenes Leben und meinen
eigenen
Willen, sondern als die Gattin Tolstois."
Am 23. September 1862 heiratete die achtzehnjährige Sofja
Andrejewna Behrs Lew
Nikolajewitsch Tolstoi. Anfangs widmete sie ihr Leben ganz dem
viel älteren
Schriftsteller. Sie war erste Leserin und Kritikerin seiner Werke,
Mutter seiner
vielköpfigen Kinderschar, verwaltete das Landgut und
kümmerte sich um die
Finanzen. In jener Zeit des Familienglücks entstanden u.a.
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Nach fast zwei Jahrzehnten Ehe beschäftigte sich Tolstoi
zunehmend mit religiösen
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bisherigen Lebens
in Frage. Er entzog sich seiner Frau und Familie, und es kam zu
dramatischen
Konflikten. Sofja Tolstaja hörte auf, das geistige und
literarische Leben ihres
Mannes als ihr eigenes zu begreifen. Nachdem sie ihrer eigenen
literarischen
Begabung vor der Hochzeit entsagt hatte, begann sie, wieder zu
schreiben, nur
wenige ihrer Werke wurden jedoch veröffentlicht.
Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung Russlands am
Vorabend der
russischen Revolution, in der die vermeintlich natürliche,
gottgewollte
Geschlechterordnung von vielen Zeitgenossen in Frage gestellt wurde,
zeichnet
die Biografie das Porträt der Gattin Tolstois als Frau, die
für ihre eigene
Lebenswahrheit stritt. (Insel)
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