Robert-Tarek Fischer: "Österreich im Nahen Osten"

Die Großmachtpolitik der Habsburgermonarchie im Arabischen Orient 1633-1918


Schulbücher des Unterrichtsfachs Geschichte, Legenden, Volkslieder und Denkmäler bezeugen die letztendlich erfolgreichen Kämpfe gegen das Osmanische Reich und stellen die Türkenkriege als eine Jahrhunderte währende Konstante der österreichischen Außenpolitik in südöstlicher Richtung dar. Dass die Habsburgermonarchie nahezu dreihundert Jahre lang auch eine der einflussreichsten Großmächte dieser geopolitischen Zone war, liest man ausführlich in diesem Sachbuch: Österreich prägte im 19. Jahrhundert gemeinsam mit Großbritannien die politische Ordnung im östlichen Mittelmeerraum, vor allem im Libanon, in Syrien und in Palästina, und war durch die Dampfschiffe des Österreichischen Lloyd, Postverbindungen und zahlreiche Konsulate in Politik, Handel und Gesellschaft des Nahen Ostens präsent. Kaiser Franz Joseph war nach den Kreuzzügen der erste europäische Monarch, der im Jahre 1869 Konstantinopel und Jerusalem besuchte. Für Österreich war der Vordere Orient der bedeutendste außereuropäische Großraum überhaupt.

Zwischen der weitgehend von Politik und Diplomatie geprägten Geschichtsdarstellung finden sich auch erstaunliche Details, zum Beispiel dass der österreichische Maria-Theresien-Taler wegen des konstanten Silbergehalts noch zweihundert Jahre nach seiner Einführung (1751) führendes Zahlungsmittel im Süden und Westen der arabischen Halbinsel war. Noch 1925 bis 1927 wurden in Wien fast 40 Millionen Stück für den internationalen Umlauf im Orient geprägt. Ein weiteres Erinnerungsstück an die österreichische Präsenz ist die rot-weiß-rote Flagge des Libanon mit der Zeder in der Mitte. Sie wurde anlässlich der Unabhängigkeit 1943 vom libanesischen Außenminister Henri Pharaon vorgeschlagen, dessen Vorfahren in mehreren Generationen österreichische Honorarkonsuln in Beirut waren.

Für dieses Buch analysierte Robert-Tarek Fischer häufig diplomatische Schriften in staatlichen österreichischen Archiven, Autobiografien von Akteuren der Orientpolitik und zahlreiche zeitgenössische Berichte von Europäern. Ohne sich in Einzelheiten zu verlieren, schuf er auf der Basis dieser Quellen in einem angenehmen, leicht lesbaren Stil ein fundiertes Bild der in der Allgemeinheit wenig bekannten Kapitel österreichischer Geschichte. Interessant wäre es gewesen, auch orientalische Quellen aus dem Osmanischen Reich und den arabischen Ländern einzubeziehen, um die europäische, vor allem österreichische Perspektive zu relativieren und an der Geschichtsschreibung der Betroffenen zu spiegeln.

Unklar bleibt an dem Buch lediglich der Untertitel: die Großmachtinteressen Österreichs (und somit auch die Themen des Buchs) beschränkten sich nicht auf den arabischen (!) Orient, sondern schlossen auch das Osmanische Reich und andere nicht-arabische Gebiete ein.

(Wolfgang Moser; 08/2006)


Robert-Tarek Fischer: "Österreich im Nahen Osten"
Böhlau Verlag, 2006. 314 Seiten.
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Dr. Robert-Tarek Fischer wurde 1965 in Mödling geboren. Studium der Geschichte in Wien, seit 1997 im Bundeskanzleramt tätig, Publikationen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.