Daniel Hope: "Familienstücke"
Eine
Spurensuche
(Hörbuchrezension)
Wanderer zwischen den Welten
Daniel Hope auf der Suche nach der
"falschen Großmutter"
Daniel Hope ist ein Zauberer - ein Zauberer
auf seinem Instrument: der Geige. Als er vor drei Jahren nach einer
"NDR Talk
Show" von einer Lektorin ein Angebot bekam, seine
Biografie zu schreiben,
bedankte er sich höflich und lehnte ab. Mit damals 30 Jahren
fühlte er sich für
seine Memoiren einfach zu jung (obwohl dergleichen heutzutage durchaus
von noch
jüngeren Vertretern der Medienwelt vorexerziert wird).
Warum jetzt doch - mit 33?
Weil es kurz nach diesem Auftritt ein einschneidendes Erlebnis in
seinem Leben
gab, das ihn veranlasste, eine Recherche nach seinen
familiären Wurzeln zu
beginnen.
Und so ist "Familienstücke. Eine Spurensuche"
auch keine Biografie seines "erfüllten, schaffensreichen
Lebens",
sondern, wie der Untertitel es vermuten lässt, eine Suche nach
der Matrix
seiner Herkunft. Hope ist ein Kosmopolit. Er hat irisches, deutsches,
südafrikanisches
und auch jüdisches Blut in seinen Adern fließen, er
ist in England
aufgewachsen, hat eine deutsche Frau, deren Sprache er exzellent
beherrscht, und
wohnt in Amsterdam. Er ist bis heute ein Wanderer zwischen den Welten.
Was hat es nun mit diesem einschneidenden Erlebnis auf sich?
Ausschlaggebend für seine Spurensuche war eine Villa
in Berlin-Dahlem
Dort, in der Straße "Im Dol", lebten einst Daniel Hopes
Urgroßeltern
mütterlicherseits: Wilhelm und Margarete Valentin, bis sie
1935 als Juden von
den Nazis in die Emigration gezwungen wurden. Der Geiger wollte dieses
Haus nach
einer Konzertreise besuchen. Doch der Abstecher in den
Südwesten von Berlin
sollte alles Andere als harmonisch enden. Als er das Gebäude
fotografieren
wollte, wurden ihm von einer Bewohnerin die Worte
"Verschwinden Sie!"
entgegen geschleudert. Sie saßen fortan wie ein Stachel in
seiner Seele und
gaben den endgültigen Anlass, zu den Wurzeln seiner Familie
vorzudringen, deren
deutscher Zweig sich stets in Schweigen gehüllt hatte, wenn es
um Fragen nach
der Vergangenheit ging.
Über die irischen Ahnen seines Vaters Christopher Hope wusste
er Bescheid,
(Urgroßvater McKenna wanderte als mittelloser Abenteurer nach
Südafrika aus,
wo er es bis zum Hotelbesitzer und Bürgermeister brachte).
Doch über die
Vorfahren seiner Mutter Eleanor Klein erfuhr Daniel Hope nichts. Ein
paar Fotos
und der Satz seiner Großmutter: "Wir hatten einst
diese Villa in
Dahlem", waren ihm zu wenig.
Nun ist der sympathische Engländer mit irischem Pass nicht nur
einer der führenden
Geiger unserer Zeit, sondern er bezeichnet sich auch als Forschernatur.
Wenn er
neue Werke einstudiert, betreibt er oft ausführliche
Recherchen in Archiven und
Bibliotheken. So nun auch nach dem dunklen Geheimnis seiner
Großeltern.
"Es ist wie mit einem verloren geglaubten Musikstück. Hat man
es gefunden,
hört man einem ganzen Schicksal zu", meint Hope.
Warum verschwiegen seine Großeltern ihre
Vergangenheit?
Hope recherchiert intensiv und fördert nach und nach
die Geschichte der
einstmals sehr erfolgreichen Familien Klein und Valentin zutage, die so
lange
geheimnisvoll verworren im Verborgenen lag.
Aus seiner Großmutter, einer Berliner Grande Dame aus
wohlhabendem Haus wurde
eine Näherin, die später eine Hühnerfarm
bewirtschaftete, um ihre Kinder
durchzubringen. Vielleicht war das der Grund, warum über die
Vergangenheit
nicht geredet wurde, "denn es muss schwer genug gefallen
sein, die Heimat
und den biografischen Hintergrund verloren zu haben, verfolgt gewesen
und von
Reichtum in Armut gefallen zu sein. Zwar hatten sie versucht, sich ohne
Klage in
der Fremde eine neue Existenz zu schaffen, aber was blieb, war ein
nicht zu
verwindender Schmerz und der Schrecken mit dem Schrecken davongekommen
zu sein.
Anders als so viele andere (…) Vielleicht weil Schweigen
Schutz bedeutete,
Schutz vor Gefahr", berichtet Daniel Hope.
Jetzt kennt er die Geschichte der Villa und
"seiner Geister, die er wachrief."
Heute haben Fotos für ihn besondere Bedeutung, weil sie ihm
etwas ganz Persönliches
erzählen und nicht nur wie früher Papierbilder bzw.
Momentaufnahmen sind, von Menschen, von denen er irgendwie abstammt.
An dieser Suche nach seinen Ahnen, an deren Berg- und Talfahrt, die
auch ein Stück,
ja fast eine Obsession eigener Identitätssuche war,
lässt er sein Publikum
partizipieren. Und so erfährt der Hörer
natürlich auch seinen Werdegang: sein
virtuoses Leben mit der Geige, an der Seite des großartigen
Yehudi Menuhin,
dessen Sekretärin und spätere Managerin seine Mutter
war. Ihm ist es wohl
weitestgehend zu verdanken, dass Daniel Hope zu einem Musiker
heranreifte, der
sich neben den für sein eigenes Instrument geschriebenen
Meisterwerken auch für
andere Stilrichtungen begeistern lässt: von indischen Ragas
bis hin zum
modernen Jazz.
Das Hörbuch enthält viele klanglich hochwertige
musikalische Passagen u. a.
von Benjamin Britten, Alfred Schnittke, Johann Sebastian Bach,
Felix
Mendelssohn
oder auch Maurice Ravel, gespielt natürlich vom
Künstler selbst.
Schweigen konnte Daniel Hope noch nie
"Vielleicht bin ich auch deshalb Musiker
geworden", sinniert der sympathische Geiger.
"'Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und
worüber zu
schweigen unmöglich ist', das ist ein Satz von
Victor Hugo,
der mir immer
gefallen hat und so klingen die Stücke meiner Familie."
Dies sind die letzten Worte von Hanns Zischler, der dieses
großartige Hörbuch
einfühlsam und überzeugend spricht und dessen
Gespür für den richtigen Ton
und Rhythmus unmittelbar an Hopes eigenen Puls anschließt,
bevor er Daniel Hope
selbst zu Wort kommen lässt: zuerst auf seiner Geige mit dem
wundervollen Stück
"Kaddish" von Maurice Ravel, das dem Hörer aufgrund der
Schönheit
des virtuosen Spiels die Tränen in die Augen treibt, und dann
persönlich, denn
Daniel Hope liest die letzten drei Kapitel seines Hörbuches
(neben den ersten
beiden) selbst.
"Seit ich das alles über meine Familie weiß,
fühle ich mich besser in
der Balance. Ich fühle, dass mein Spiel sich geändert
hat. Es ist eine innere
Ruhe, wie ich sie lange nicht hatte. Indem man sich selber besser
kennenlernt,
wird man entspannter und entwickelt mehr Offenheit für die
Impulse, die von
anderen Musikern kommen", erklärte Daniel Hope in
einem Interview. Daher
ist es nicht verwunderlich, dass ein Kritiker der Londoner Tageszeitung
"The
Times" feststellte: "Derart intelligentes Spiel ist
unvergänglich
(...) Wo Hope ist, ist Leben". Aber eben auch
Nachdenklichkeit. Und deshalb
sagt "Familienstücke. Eine Spurensuche" über diesen
herausragenden Künstler
ebenso viel aus wie seine musikalischen Stellungnahmen.
Fazit:
"Meine Familiengeschichte spiegelt repräsentativ wider, was im
20.
Jahrhundert passiert ist", meint Daniel Hope.
Somit ist das Hörbuch "Familienstücke. Eine
Spurensuche" gleichzeitig
Lebensroman, Familiensaga und Künstlerbiografie eines jungen
Geigenvirtuosen.
(Heike Geilen; 11/2007)
Daniel
Hope: "Familienstücke. Eine
Spurensuche"
Argon Verlag, 2007. 4 CDs; Laufzeit ca. 250 Minuten.
Sprecher: Hanns Zischler.
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Buchausgabe:
Rowohlt, 2007. 320 Seiten.
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