Ein
Zimmer
Danton. Marion.
Marion. Nein, laß mich!
So zu deinen Füßen. Ich will dir erzählen!
Danton. Du könntest deine Lippen besser gebrauchen.
Marion. Nein, laß mich einmal so. Ich bin aus guter Familie. Meine Mutter
war eine kluge Frau, sie gab mir eine sorgfältige Erziehung, sie sagte mir immer:
die Keuschheit sei eine schöne Tugend. Wenn Leute ins Haus kamen, und von manchen
Dingen zu sprechen anfingen, hieß sie mich aus dem Zimmer gehen; fragte ich,
was die Leute gewollt hatten, so sagte sie: ich solle mich schämen; gab sie
mir ein Buch zu lesen, so mußte ich fast immer einige Seiten überschlagen. Aber
die Bibel
las ich nach Belieben, da war alles heilig; aber es war etwas darin, was ich
nicht begriff. Ich möchte auch niemand fragen, ich brütete über mir selbst.
Da kam der Frühling, es ging überall etwas um mich vor, woran ich keinen Teil
hatte. Ich geriet in eine eigene Atmosphäre, sie erstickte mich fast. Ich betrachtete
meine Glieder, es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und verschmölze dann
wieder in eins. Ein junger Mensch kam zu jener Zeit ins Haus; er war hübsch
und sprach oft tolles Zeug, ich wußte nicht recht, was er wollte, aber ich mußte
lachen. Meine Mutter hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht. Endlich
sahen wir nicht ein, warum wir nicht ebenso gut zwischen zwei Bettüchern beieinander
liegen, als auf zwei Stühlen beieinander sitzen dürften. Ich fand dabei mehr
Vergnügen, als bei seiner Unterhaltung und sah nicht ab, warum man mir das Geringere
gewähren und das Größere entziehen wollte. Wir taten´s heimlich, und das ging
so fort. Aber ich wurde wie ein Meer, das alles verschlang und sich tiefer und
tiefer wühlte. Es war für mich nur ein Gegensatz da, alle Männer verschmolzen
in einen Leib. Meine Natur war einmal so, wer kann da drüber hinaus? Endlich
merkt´ er´s. Er kam eines Morgens und küßte mich, als wollte er mich ersticken;
seine Arme schnürten sich um meinen Hals, ich war in unsäglicher Angst. Da ließ
er mich los, und lachte und sagte: er hätte fast einen dummen
Streich
gemacht, ich solle mein Kleid nur behalten und es brauchen, es würde sich schon
von selbst abtragen, er wolle mir den Spaß nicht vor der Zeit verderben, es
wäre doch das einzige, was ich hätte. Dann ging er, ich wußte wieder nicht,
was er wollte. Den Abend saß ich am Fenster, ich bin sehr reizbar und hänge
mit allem um mich nur durch eine Empfindung zusammen; ich versank in die Wellen
der
Abendröte.
Da kam ein Haufen die Straße herab, die Kinder liefen voraus, die Weiber sahen
aus den Fenstern. Ich sah hinunter, sie trugen ihn in einem Korbe vorbei, der
Mond schien auf seine bleiche Stirn, seine Locken waren feucht, er hatte sich
ersäuft. Ich mußte weinen. Das war der einzige Bruch in meinem Wesen.
(aus
"Dantons Tod" von Georg Büchner; 17.10.1813 - 19.2.1837)
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