(...) Am Küchentisch wucherte der breite Bart des Vaters, pflanzte alles zu. Bis in die Suppe hing er hinein, dunkel, kraus und schwer. (...)
Nun kugelten seine heißen Augen ihm
im Gesicht herum, begrüßten Pepi kurz, bevor er stimmgewaltig Herr, wir danken,
was du uns bescheret hast und Amen, Mahlzeit brüllte. Das war das
Signal. Mit lautem Gestocher fielen die Brüder über die Leberknödel her - als
wären sie
Indianer und die Suppenteller
Siedler. Auch Pepi versuchte, mit dem Löffel etwas abzustechen, aber der
Knödel
kämpfte wie ein Igel, wollte weder gehälftet noch zerrissen sein.
-
Nicht auf das Kraut vergessen! schaufelte die Mutter Löffel um Löffel auf die
Teller ihrer Kinder. Dampf stieg auf und legte sich in die Gesichter.
-
Mag kein Kraut, beschloss der Franz.
- Du isst, was auf den
Tisch kommt!
- Mag auch kein Kraut, stimmte die Pepi ein.
-
Wenn die Mutter sagt, Kraut ist gesund, sagte Lorenz und schaufelte das Zeug löffelweise
in sich rein.
- Dann?
Aber keiner kam
mehr dazu, den Satz zu Ende zu bringen, alle mampften und kauten und schlürften
oder machten sonstige Einspeichelungs- und Zerkleinerungsgeräusche. Ellbogen flogen
durch die Luft. Essensteile stürzten hinterher. Ein ständiges Schmatzen und Kauen.
Am Ende waren auf diversen Kleidungsstücken Suppenränder, Krautfäden und Knödelkolonien
zu sehen.
Der Vater zündete sich eine Zigarette an und rülpste.
Vergorene Unruhe kam dabei heraus. Sein geripptes Unterhemd spannte sich über
die kringelig behaarte Haut. Schwere Hände lugten da hervor, eine hielt sich an
der Zigarette fest, die andere biss in den Schoß der Mutter. Dabei dachte er an
das Gesicht, das er beim Ziegelböck gesehen hatte, setzte es auf den Körper seiner
Frau. Der war zierlich, milchig, rund. Bestand der Vater nur aus eingekräuseltem
Bart und einer dicken, aus dem Gesicht flammenden Knuddelnase, war die Mutter
eine ganz andere Gattung Mensch. Das Helle ihrer Haut war so mit Sommersprossen
übersät, dass sie insgesamt wie gestockter Brei aus in Milch gelösten Haferflocken
erschien. Helle rote Haare liefen aus ihr raus, sprangen über den Nacken, surften
in hohen Wellen bis über die Schulter hinaus, überschlugen sich dort noch. Wenn
der Vater Feuer war, auch innerlich, dann war sie die Löschmilch, mit Eidotter
verrührter Topfen. Sie lächelte. Ihre Zähne waren vom schwarzen Tee mit Rändern
überzogen. Vorsichtig schlichtete sie die Teller übereinander, lud sie im Spülbecken
ab. Das Besteck nahm sie heraus, hielt es ins heiße Wasser. Die Hand des Vaters
immer noch im Schoß.
- Lass mich, geh. Kauf lieber eine Spülmaschine.
Und
während die Kinder Essensreste über den Tisch schnipsten, bugsierte der züngelnde
Vater die Mutter ins Schlafzimmer, dass es gleich darauf loderte, knarrte und
quietschte, als wäre ein Erdbeben im Gang, als brodelte die Erde, lägen ein Vulkan
und eine Molkerei im Clinch. Der eine köchelte und stöhnte, während die andere
versuchte, ihn mit all ihrer Käserei zu löschen. Dennoch schien das ganze Haus
zu vibrieren, sogar das Besteck schepperte im Becken, das Geschirr. Im furnierten
pseudoaltdeutschen Einbauschrank wackelte der Nippes, die gerahmten Marylin-Monroe-
und Sisi-Poster schaukelten an den Wänden. Bloß
die Tapete mit den dunkelroten, herzförmigen Rosen
blieb ungerührt und still. Nur wenn man sie länger ansah, konnte man meinen, dass
sogar sie sich bewegte.
- Jetzt spielen die schon wieder
Abwaschmachen, maulte die Pepi. Franz und Lorenz lachten, wie Niesen hörte sich
das an. Später war der Kopf des Vaters gekühlt, während die Mutter zerzaust und
aufgeraut erschien. Sie tranken dann Kaffee und rauchten. (...)
Aus dem Roman "Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt" von Franzobel.