Anne Chaplet: "Sauberer Abgang"
Anne
Chaplet, der Aliasname der Frankfurter Autorin Cora Stephan, ist
mittlerweile aus der Reihe engagierter deutscher Krimiserien nicht mehr
wegzudenken. Man muss ihre bislang erschienenen fünf Romane um
die Frankfurter Staatsanwältin Karen Stark und den
ausgestiegenen Journalisten Paul Bremer in einer Reihe mit den
Büchern Ulrich Ritzels,
Jacques
Berndorfs oder auch des Baselers Hansjörg Schneider
nennen.
Anne Chaplet schreibt engagiert und witzig, sie nutzt den
Kriminalroman, um gesellschaftliche Zustände zu beschreiben,
ohne missionarisch zu werden wie etwa Henning
Mankell in seinem neuesten Buch, und ist mit ihren
Hauptfiguren oftmals sehr erstaunt darüber, was aus einem Land
geworden ist, das eine Generation kritischer Politiker und
Intellektueller, zu denen auch Cora Stephan immer noch zählt,
doch verändern, zumindest aber reformieren wollte.
Und aus ihren Hauptfiguren sprudelt auch immer wieder das Erstaunen
darüber, was aus ihnen selbst geworden ist. "Was wir wollten,
was wir wurden", hatte Peter Mosler Ende der 1980er Jahre einen
rororo-Band betitelt, der die Illusionen der 68er-Bewegung beschrieb.
In Anne Chaplets Romanen wird ein Land beschrieben, ein
"großer Scherbenhaufen, den die Jahre der Verleugnung unter
Helmut Kohl und die sieben Jahre Pfusch unter Rot-Grün
hinterlassen haben" (Cora Stephan, NDR, Die Meinung, 16.6.2005). Und es
werden Menschen beschrieben, älter werdende und alt gewordene
Intellektuelle wie Karen Stark und Paul Bremer, die sich unter den
neuen Verhältnissen einen Reim auf ihr Leben und immer wieder
auch auf ihr nicht selten nach wie vor chaotisches Liebesleben machen
müssen. Da sie, ähnlich wie ihre literarische
Schöpferin, allesamt nicht altklug oder besserwisserisch, erst
recht nicht mehr missionarisch daherkommen, wie vielleicht noch in
ihrer Ausbildungszeit, sind sie sympathisch, laden ein zur
Identifikation und zur vorsichtigen, entspannten Mitsuche nach einem
Lebenssinn in diesen Zeiten.
In ihrem neuen Buch, "Sauberer Abgang", dem sechsten der Reihe, ist
diese Suche klassisch inszeniert:
Im Jahr 1981 findet sich eine Clique von jungen Männern und
Frauen, die, soviel sei hier verraten, beim Neubau der Deutschen Bank
in Frankfurt eine gewaltfreie, symbolische Aktion planen, und die sich
dafür monatelang geheimbündlerisch und konspirativ
vorbereiten. Doch die Aktion geht schief, ein Mensch wird
getötet, und der Anführer der Gruppe, der erwischt
wird, wandert in den Knast.
Fast 25 Jahre später, einige aus der Truppe treffen sich nach
wie vor, darunter ein Kollege Karen Starks. Alle haben sich in ihrer
Karriere durchgesetzt, "sind was geworden", außer Will, der
arbeitslose, auf Honorarbasis arbeitende Lokaljournalist. Der Rezensent
sieht ihn als Hauptfigur des Buches, einen Vertreter jener Generation
der heute 50-jährigen, die ihren Prinzipien treu zu bleiben
glaubt, aber dennoch am Scheidweg steht.
"Das war der Nachteil, wenn man sich erinnert: Man wird unweigerlich
sentimental. Und obwohl er sich nie auch nur im geringsten für
sein frühkindliches Dasein interessiert hatte, ganz zu
schweigen von irgendwelchen Traumata, aus denen alle Welt etwas
ableitete, überfielen ihn Szenen aus der Kindheit neuerdings
am helllichten Tag. Der kleine Will, der jeden Morgen Magenschmerzen
hatte, wenn er in die Schule musste. Der sch vor der Clique
fürchtete, die die Klasse terrorisierte. Der den Musiklehrer,
seinen einzigen Freund, quälte, nur weil die anderen es auch
taten. Er war ein trauriger kleiner Feigling gewesen, und daran hatte
sich später auch nichts geändert." (S. 122)
Als der Erste aus der Gruppe tot aufgefunden wird, geraten die Anderen
in Panik, denn die Vergangenheit kommt wieder hoch und mit ihr all die
Lebenshoffnungen und Lebenslügen dieser Generation. Und die
Situation spitzt sich zu ...
Eine Lebenslüge war es, zu glauben, man wäre "forever
young" (Dylan). Wie Anne Chaplet die
Wiederannäherung von Will an seinen alten, kranken und dann
sterbenden Vater beschreibt, seine Gefühle ihm
gegenüber, den er doch jahrzehntelang als Betonkopf
bekämpft und verachtete hatte, ist eines der sensibelsten
Stücke von Literatur, die der Rezensent in den letzten Jahren
in einem Kriminalroman gelesen hat.
Diese wiederentdeckte Liebe nimmt im Handlungsfaden des Buches nur eine
Nebenrolle ein, ist aber eine der wichtigsten Botschaften des Buches.
"Was ist Liebe?" fragt Karen Stark ihren Gunter am Ende des Buches.
"Nichts Schlimmes. Kommt drauf an, was man daraus macht."
(Winfried Stanzick; 03/2006)
Anne
Chaplet: "Sauberer Abgang"
Antje Kunstmann Verlag, 2006. 288 Seiten.
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zu Anne Chaplets Netzseite:
https://www.anne-chaplet.de/.
Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):
"Schneesterben"
Einen Winter, in dem so viel Schnee gefallen ist, hat man in Klein-Roda
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was er verborgen hatte - auch die Leiche von Michael Hansen, dem
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es gibt ein Geständnis: Krista Regler, Wochenendhausbesitzerin
in Klein-Roda, gibt zu, den Mann überfahren zu haben. Aber in
der Hauptverhandlung kommen Zweifel an Krista Reglers Tatbeschreibung
auf - und plötzlich ist ihr Mann verdächtig ...
(Goldmann)
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"Nichts
als die Wahrheit"
Ein Politkrimi im Spannungsfeld zwischen deutscher Provinz und Berlin:
Wenn Bundestagsabgeordnete von Kirchtürmen stürzen,
steckt oft mehr dahinter als ein "simpler" Selbstmord.
Staatsanwältin Karen Stark ermittelt jedenfalls in alle
Richtungen. In der Zwischenzeit macht sich Anne Burau, die Nachfolgerin
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Gepflogenheiten des Ermordeten mehr als irritiert ...
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"Die
Fotografin"
In Frankfurt hat eine Buchhändlerin
Selbstmord begangen, und
in Südfrankreich taucht kurz danach die Leiche einer
Fotografin auf. Neben beiden Toten werden antiquarische Waffen
gefunden, die aus demselben Raubzug stammen. Das ist ein Fall
für Karen Stark, Staatsanwältin in Frankfurt. Aber
ihre eigene Behörde schickt sie in Zwangsurlaub. Und der
Verdacht erhärtet sich, dass die Lösung der beiden
Fälle gezielt verhindert wird. (Goldmann)
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