Der Kampf spielte sich in über sechzig
Fuß Höhe ab.
Idler folgte mit dem Blick dem Flug einer Taube, er kniff die Augen zusammen,
als sie mitten durch die Sonne hindurchzuschießen schien und ihm für einen Augenblick
außer Sicht geriet. Dann entdeckte er sie wieder, wie sie ruhig, ohne ein einziges
Mal mit den Flügeln zu schlagen, über die Dächer hinwegglitt. Wie mühelos. Idler
seufzte, als er an die Leichtigkeit dachte, mit der sie die Luft durchschnitt,
während er hier auf dem lehmigen Boden der Vorstadt hockte und Schuhe besohlte.
Sinnend sah er dem Vogel nach, als aus heiterem Himmel ein Sperber direkt aus
der Sonne auf die Taube niederstieß. Erschrocken und neugierig, was geschehen
würde, ließ Idler die Nähnadel auf den Kloben sinken und hielt den Atem an.
Wie ein Stein stürzte der Sperber auf die Taube herab, breitete kurz vor dem
Zusammenstoß die Flügel auf und stieß einen heiseren Schrei aus, während er
sich um sich selbst drehte und die Taube zu fassen versuchte. Graue Federn stoben.
Die Taube legte die
Flügel
an den Körper und fiel beinahe senkrecht zur Erde. Idler starrte auf das stürzende,
fast flugunfähige Tier, das sich rasend schnell seinem Verfolger entzog. Der
Sperber stieß nach, taumelte hinter der Taube her in die Tiefe, den Kopf zum
Zuhacken gesenkt, spreizte und schloß in schnellem Rhythmus die Schwingen. Idler
erwartete, daß die Taube auf den Vorstadtdächern zerschellen würde, aber kurz
bevor dies geschah, breitete sie ihre Flügel aus, glatt und schnittig, schlug
zwei Haken, denen der Sperber nicht gewachsen war, und landete vor dem Taubenhaus,
in das sie scheinbar sorglos spazierte.
Nur graue Federn
schwebten langsam zur Erde. Salomon Idler stand auf, legte sein Schusterzeug auf
den Schemel und sah in die Luft, um dem Spiel der Federn folgen zu können, die
in der sich langsam erwärmenden Luft abwechselnd stiegen und fielen. Nur langsam
näherten sie sich dem Erdboden. Idler seufzte. Stundenlang hätte er zusehen
können, wenn die Vögel ihre Kunststücke in freier Luft zeigten. Er aber war an
diesen Erdboden gebunden. Die Lehmklumpen an den Füßen zogen ihn abwärts, auch
wenn er sich den Kopf frei machte.
Sanft segelten die Federn auf seine
kräftigen, schwieligen Hände nieder. Idler ließ sie auf seinen offenen
Handflächen ruhen und betrachtete sie neugierig. Wie genau sie gearbeitet waren,
wie eng sich die einzelnen Fädchen ineinander verzahnten und verwebten, bis ein
dichtes, steifes und doch hauchdünnes Geflecht entstand, das die Luft schnitt
und imstande war, das Gewicht eines Vogels zu tragen.
Über ihm schrie der Sperber heiser gegen den
Wind.
Er war auf der Suche nach Beute und hatte noch nicht aufgegeben. Er kreiste
mehrmals über dem Taubenhaus, als suche er nach einem ausreichend großen Einschlupfloch.
Doch dann zog der Räuber mit wenigen Flügelschlägen davon.
Ohne daß Idler sie bemerkt hatte, war Maria aus dem
Haus hinter ihn getreten. Sie blickte über seine Schulter auf die Federn und
blies sie ihm aus der Hand.
(Aus "Der Teufelsvogel des Salomon Idler" von Peter Dempf.)
Der Augsburger Schuster Salomon Idler
gelangt zufällig in den Besitz eines geheimnisvollen Manuskripts mit Plänen für
ein Fluggerät. Besessen von dem Wunsch zu fliegen, schlägt Idler alle Warnungen
in den Wind und beginnt mit dem Bau seines Teufelsvogels. Doch der schwedische
Stadthauptmann Stierna und die Agenten der kaiserlich-katholischen Heere, die
die Stadt belagern wissen um die Brisanz der Pläne, denn mit einem Flugapparat
hätten sie den Schlüssel zum Sieg in der Hand. Mit aller Gewalt wollen sie die
Zeichnungen in ihren Besitz bringen. Idlers Frau wird auf der Folter in den
Wahnsinn getrieben, und Idler selbst muss sich in der von der
Pest heimgesuchten
Stadt vor seinen Häschern verstecken. Er findet bei den Stadtbettlern
Unterstützung und erlebt eine große, leidenschaftliche Liebe, ehe ein
gefährlicher Wettlauf mit der Zeit beginnt.
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