Auli Mantila: "Eine gefährliche Art von Glück"
Ein
Spannungsroman eigener Art, mit viel psychologischem Tiefgang und einer
warmen Solidarität mit den Verlierern der Gesellschaft
Dieser Roman ist eine absolut gelungene Mischung aus Kriminalelementen
und einem höchst dichten Psychogramm einer Hauptperson, mit
welcher der Leser regelrecht mitleidet.
Inkeri Aho, diese Hauptperson, ist 42 Jahre alt. Seit sie
zurückdenken kann, hat sie sich um ihr jüngere
Schwester Elina gekümmert. Sie selbst ist sehr
zurückhaltend; sie meidet, wo immer es geht, die Gegenwart von
Männern, allein aus Angst vor den Gefühlen, die
irgendeiner von ihnen vielleicht bei ihr auslösen
könnte. Sie hat eine feste Anstellung bei einer
Versicherungsgesellschaft in Helsinki und ist dort,
hauptsächlich im Außendienst, zuständig
für die Ermittlung von Schadensursachen von
Versicherungsfällen. In dieser Arbeit hat die gewissenhaft
Tätige schon einiges an versuchten Betrügereien
erlebt. Sie ist dermaßen gewissenhaft, dass sie quasi ihre
gesamte Lebensphilosophie und Lebenspraxis nach den
Grundsätzen
des Versicherungswesens gestaltet. Das bedeutet
für sie insbesondere, dass man Unfälle am besten
vermeidet , indem man allein lebt. Und das tut sie auch, abwechselnd
zufrieden und verzweifelt.
Eines Tages, sie ist gerade dabei, einen Autodiebstahl zu untersuchen,
bei dem sie Unklarheiten entdeckt hat und vermutet, dass es nicht mit
rechten Dingen zugegangen ist, erfährt sie von einer
Bombenexplosion, bei der ihre Schwester zu Tode gekommen ist. Sie kennt
den ermittelnden Polizisten Erkki Luhtanen, einen schon
älteren Mann kurz vor der Pensionierung, dessen Nähe
sie dulden und ertragen kann. Er seinerseits empfindet mehr als nur
Sympathie für Inkeri Aho, zeigt es aber nicht. Inkeri ist so
schockiert vom Tod ihrer Schwester, dass sie von ihrem Chef Heinonen in
einen Zwangsurlaub mit Therapie geschickt wird.
Doch Inkeri lässt nicht locker und ermittelt auf eigene Faust,
während sie tapfer versucht, ihre Trauer und Wut in den Griff
zu bekommen und nicht ganz dem
Alkohol zu verfallen, von dem sie schon
vorher eine recht gefährliche Abhängigkeit entwickelt
hatte.
Sie findet schon bald heraus, dass der Autodiebstahl, den sie zuletzt
untersuchte und der verheerende Anschlag, der ihrer Schwester das Leben
kostete, in einem direkten Zusammenhang stehen. Selbst am Rande des
Zusammenbruchs und immer wieder von heftigen Alkoholabstürzen
gebeutelt, versucht sie, Sepi, dem Mann ihrer getöteten
Schwester beizustehen; ohne großen Erfolg.
Irgendwann im Laufe des Buches, das sich manches Mal liest wie das
Drehbuch zu einem Film, laufen die beiden
Erzählstränge zusammen. Denn die in Finnland sehr
erfolgreiche Regisseurin und Drehbuchautorin Auli Mantila
lässt durchgehend auch einen jungen, introvertierten Mann zu
Wort kommen, von dem der Leser immer mehr annehmen muss, dass er mit
dem Anschlag etwas zu tun hat und auch schon den nächsten
plant. Dabei hat er Inkeri immer im Visier.
Inkeri begegnet ihm endlich, will ihm helfen und ihn verstehen, aber da
ist es schon zu spät. Esa, so heißt der Mann, stirbt
bei einer Explosion seines Hauses, während Inkeri bei ihm zu
Besuch ist, und Inkeri überlebt schwer verletzt. Im
Krankenhaus denkt sie nach:
"Tagelang habe ich mit keinem gesprochen. Ich konnte nicht,
denn ich musste über so vieles nachdenken. Er hat mich
ausgewählt. Er hat mich ausgewählt und ist mir
nachgegangen, weil ich Mitleid mit ihm hatte. Ich bin auf ihn
zugegangen und habe ihm geholfen, darum hat er mich ausgesucht. Doch
ich kam zu spät. Und ich habe ihm nicht zugehört. Ich
habe alles zunichte gemacht.
Ohne mich wäre er noch am Leben.
Aber: er war krank. Und ich bin krank, weil er mir so furchtbar Leid
tat.
Und selbst wenn sich alles doch ein wenig anders verhalten sollte,
für mich fühlt es sich so an. Wir sind krank. Er hat
mich ausgesucht, weil ich auch
krank bin.“
Als sich kurz danach die Krankenzimmertür öffnet,
Erkki Lehtonen hereinkommt und Inkeri tröstend in den Arm
nimmt, da könnte alles doch noch gut werden ...
(Winfried Stanzick; 12/2007)
Auli
Mantila: "Eine gefährliche Art von Glück"
Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat.
Gustav Kiepenheuer Verlag, 2007. 288 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Auli Mantila (Jahrgang 1964) ist eine der renommiertesten Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen Finnlands. Für ihre Filme wurde sie vielfach auf internationalen Festivals ausgezeichnet. "Eine gefährliche Art von Glück" ist ihr erster Roman.