(...) Die Prärie war jetzt nicht mehr so flach, sie wellte sich wie ein locker auf eine Matratze geworfenes Laken: niedrige Hügelwellen reichten bis zum Missouri. Von den Hinterrädern des Pickup stieg Staub auf.
"Das ist das Coteau", sagte Michael. "Ein wunderschönes Land. Das meiste hier sind Staatsservitute. Das ist Land, das die Regierung mit Entenmarken-Dollars gekauft hat und das nicht beackert werden soll. Jäger müssen Entenmarken kaufen, bevor sie Wasservögel schießen dürfen, und mit dem Geld werden Brutgebiete und Durchgangszonen für Enten und Gänse geschützt. Ist das nicht wunderschön? So, stelle ich mir vor, ist das einmal alles gewesen. Keine Bäume. Nur Grasland und Moore, vom James River bis zum Missouri. Präriebrände, Büffel und Wind verhinderten, dass sich Bäume ansiedelten. Wenn wir vor dreihundert Jahren hier vorbeigekommen wären, würden wir Büffel gesehen haben, Wapitis, Pronghorns, Grizzlys und Wölfe, keine Waschbären, keine Weißwedelhirsche, keine Rotfüchse, keine Fasanen. Wir haben alles verändert. Alles ist anders geworden. Ich hätte dieses Land gern vor dreihundert Jahren gesehen. Früher gab es eine Menge Fleckenskunks, aber die sind so gut wie verschwunden. Ein Prozent der ursprünglichen Langgrasprärie ist in den Vereinigten Staaten erhalten, aber in Süddakota haben wir noch sechs oder sieben Prozent, wir sind also noch gut dran. Prärie kann man nicht wiederherstellen. Was weg ist, ist weg. Wenn sie einmal gepflügt wird, ist sie hin."
Im schweren, grauen Licht hatte das Coteau die Farbe von Steinen angenommen: Aschgrau, mausgrau, lohfarben, fahl. Im Grasland gab es Spuren von den Lagern der Ureinwohner, Stellen, an denen Dakota-Sioux vorübergehend zwischen Gräsern gewohnt hatten: Indianerhirse, echter Hirse, Rutenhirse, Wildgerste, Dünngras, Schleudersamengras und Federgras. Ihre Tipis hatten Ringe hinterlassen wie Kaffeebecher.
"Die Farben sind im Winter verblichen", sagte Michael, "aber im Herbst finde ich die Farben der Prärie, ihre Goldtöne, den Farben der Wälder ebenbürtig, selbst den Herbstfarben in Vermont und in den Appalachen. Ich bin in Neuengland gewesen, als der Ahorn sich scharlachrot färbte, aber ich ziehe die Prärie jederzeit vor. Sonnenaufgang, wenn das Licht auf den heimischen Gräsern liegt. Der Wind weht golden durch die Bartgräser. Ist das nicht wunderschön? Was man sieht - nur Prärie. Keine Bäume. Ich liebe ein Land wie dieses."
Ich sah Michael an: Er schaute von der Straße auf die offene Prärie zu beiden Seiten, seine Augen glühten hinter der Metallbrille - ein Mensch, der in seinem Element war, der genauso lebte, wie es das Leben für ihn geplant hatte. Nahe der Straße erhob sich rechts von uns ein Hügel über die anderen, ein echter Präriebuckel, auffallend in dem flachwelligen Land.
"Wir sollten mal einen Augenblick anhalten", sagte Michael. "Es könnte hübsch sein, da hinaufzusteigen."
Er hielt neben der Straße. Um seine Tür aufzustoßen, musste er sich ordentlich anstrengen. Wir zogen Mäntel an und stiegen über den Stacheldraht, eine Hand auf einen Zaunpfahl gestützt. Der Wind riss an unseren Ohren und erreichte in Böen Windgeschwindigkeiten von 75 Kilometern in der Stunde. Die Gräser wogten und peitschten. Wir hatten das Brüllen des Windes in den Ohren, das Schlagen und Knallen der Mäntel, das Zischen des Windes durch Halme, Blattspreiten und Ährchen auf dem Coteau. Wir mussten laut rufen, um uns zu verständigen.
"Trespengras!" rief Michael und zeigte auf die Gräser zu unseren Füßen. "Wiesenrispengras! Kleines Bartgras!" Ich ging zu ihm, wollte die Namen hören. Er betonte sie, stemmte sie gegen den Wind. "Queckengräser! Sonnenhut! Wolfsmilch!"
Wir erreichten den Hang des Präriebuckels und stiegen zur Kuppe hinauf, der Wind schob von hinten. Der Wind traf auf den Hang und beschleunigte, jagte mit fast 100 Stundenkilometern über die Höhe, seine Kraft hatte er beim Dahinstürmen über die Großen Ebenen gesammelt. Um uns herum wich die Prärie zurück, fiel ab zur Krümmung der Hemisphäre. Der Wind war zum Teil Vandale, der das Eis auf den Mooren und Sumpflöchern zerbrach, zum Teil Dieb, der mit Vögeln in der Tasche in Richtung Norden verschwand. Wir lehnten uns rückwärts hinein, vertrauten unser Gewicht der Windgeschwindigkeit an. Michael hatte die Arme weit ausgebreitet wie ein Fallschirmspringer, um das Gleichgewicht zu halten. Er lag mit fast 45-Grad-Neigung auf dem Wind und lachte, aber das konnte ich nicht hören: der Wind stahl sein Lachen wie die Vögel. Immer noch auf dem Wind liegend, deutete Michael zum Himmel. Ich sah hinauf. Schneegänse flogen hoch über uns, aber nicht in ordentlichen V-Formationen und Ketten, sondern in lockeren Häufchen oder in Paaren, im Sturm taumelnd, nicht ganz Herren ihrer Reise.
Am folgenden Tag würde ich in dem weißen Motelzimmer meine Taschen packen und mit dem Topaz nach Norden fahren, erst nach Fargo, dann über die kanadische Grenze nach Winnipeg. Kurz nach Aberdeen sollte ich Schneegänse in Richtung Süden fliegen sehen - Gänse, die nach Norddakota geeilt waren und dort auf Unwetter und unfreundliche Temperaturen gestoßen waren und nun eine Rückwanderung unternahmen. Sie kämpften sich nach Süden durch, um im Bereich des Frühlings zu bleiben. Aber als ich da oben auf dem Präriebuckel stand, mit den großartigen Niederungen des Graslandes des Missouri-Coteau um mich herum, reiste alles, was fliegen konnte, nach Norden: Wind, Wolken, Gänse. Der Himmel selbst schien nach Kanada zu streben.
Michael und ich lehnten uns zurück, soweit wir uns trauten, und sahen die Schneegänse ziehen, und wir lachten, ohne dass einer den anderen hörte.


(Aus "Der Zug der Schneegänse" von William Fiennes.
Aus dem Englischen von Ilse Strasmann.)

William Fiennes hat sich einen Traum verwirklicht und die Schneegänse auf ihrem Zug vom Süden der USA zu ihren Brutplätzen in die kanadische Arktis begleitet. Seine Reise zu den Tieren und den großartigen Schauplätzen der Natur ist zugleich eine Reise zu den Menschen und die Suche nach Heimat, Ferne und Freiheit.
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