Monika Felten: "Die Nebelsängerin"
Das Erbe der Runen
Elbenmagie zum Lesen und
Hören
2003 erhielt Monika Felten für "Die Macht des
Elfenfeuers" den Deutschen Phantastik Preis in der Kategorie "Bester
Roman/National"; ein überraschendes Votum für die bis dahin nur einer
eingeweihten Leserschaft bekannten Autorin. Heuer legt sie mit "Die
Nebelsängerin - Das Erbe der Runen" den ersten von drei geplanten Bänden
einer neuen Fantasysaga vor.
Ihre literarischen Inspirationsquellen sind leicht erkennbar:
J.R.R. Tolkien
und Marion Zimmer-Bradley. An den Altmeister der Fantasyliteratur erinnern primär
Grundgerüst und epische Dimension der "Nebelsängerin"; der Geist der Verfasserin
von "Die Nebel von Avalon" hingegen manifestiert sich nicht nur im Titel,
sondern vor allem durch das seitenstarke Wirken imposanter weiblicher Romanpersönlichkeiten.
Monika Felten orientiert sich mit ihrem Trilogie-Erstling demnach an den ganz
Großen des Genres. In die Falle, einfach Versatzstücke von Tolkien oder Zimmer-Bradley
aneinander zu reihen, ist sie dennoch nicht getappt. Die fantastische Welt von
Nymath - wie die deutsche Schriftstellerin sie zu Papier gebracht hat - zieht
den Leser alsbald in ihren Bann. Je länger und detaillierter dieser neuartige
Kosmos sich einem erschließt, desto mehr verschwimmt die Dimension des grauen
Alltags rund um den Lesestuhl. Wenn das kein gutes Omen für ein ebenso gutes
Bucht ist!
Zum Verständnis des
mythischen Gefüges der "Nebelsängerin" muss der Leser allerdings erst mal
gedanklich sechs Jahrhunderte in die Vergangenheit zurückgehen - in eine Welt
fernab der unsrigen, ins Land Andaurien, wo König Sanforan herrscht. Nach Zeiten
der Prosperität wird sein Reich unerwartet von Dürre und Hungersnot heimgesucht,
viele der Untertanen verlieren das Vertrauen in ihn bzw. die alten Gottheiten.
Desperat wenden sie sich dem Dunklen Gott zu, dessen Macht durch unentwegt
dargebrachte Blutopfer fortan anwächst. In einer alles entscheidenden Schlacht
versucht Sanforan dem Treiben des Dämons Einhalt zu gebieten. Aber sein
zahlenmäßig weit unterlegenes Heer erleidet trotz kühner Gegenwehr eine
vernichtende Niederlage. Den Resten der vier loyalen Stämme der Ondur, Katauren,
Raiden und Wunand bleibt nichts als die Flucht nach Süden, durch die Wüste, wo
sie auf das Volk der Fath stoßen, das nicht nur hilfreich zur Seite steht,
sondern sich den Flüchtlingen sogar anschließt. Keinen Tag zu früh setzen die
fünf Stammesverbände über den Fluss Arnad über, während die Scharen des Dunklen
Gottes ganz Andaurien samt dem ehemaligen Gebiet der Fath in Besitz
nehmen.
Südlich des Arnad liegt Nymath, in dem die dunkelhäutige,
menschenähnliche Spezies der Uzoma lebt. Diese wilden Krieger gestatten den
Flüchtlingen, sich in meeresnahen Gebieten anzusiedeln. Vorerst klappt die
Koexistenz der beiden Rassen, doch die Fünf Vereinigten Stämme der Menschen
dringen im Laufe der Jahrhunderte immer mehr in die Territorien der Uzoma ein,
berauben sie ihres Lebensraums und ihrer Bodenschätze. Scharmützel wachsen zu
Schlachten - bis schließlich der Krieg zum Dauerzustand gerät.
Just in jener
Zeit strandet ein Schiff mit Elben an Nymaths Gestaden. Die magiebegabten,
spitzohrigen Wesen waren im Orkan von der Hauptflotte getrennt worden, welche
einem wandernden Stern am Firmament folgt. Alsbald gehen die Schiffbrüchigen ein
Bündnis mit den Menschen ein. Zum Schutz des Landes webt die hochrangige Elbin
Gaelithil durch die Kraft eines Runenamuletts und geheimnisvoller Gesänge am
Arnad einen Zaubernebel, der es von nun an Feinden unmöglich macht, in Nymath
einzufallen. Gaelithil, die erste Nebelsängerin, beschert Menschen und Elben
eine Phase des Friedens, da den Uzoma Invasionen verwehrt bleiben.
Doch
hinter den Schleiern des Nebels braut sich innerhalb weniger Jahre gewaltiges
Unheil zusammen. Vhara, eine machtbesessene Priesterin des Dunklen Gottes, hat
den dekadenten König der Uzoma sexuell gefügig gemacht. Durch ihn regiert und
manipuliert sie fortan das schwarzhäutige Kriegervolk. Zudem entsendet Vhara
dämonische Schattenkreaturen, welche Gaelithil letztendlich töten. Da die Magie
des Schutznebels untrennbar an das Leben der Nebelsängerin geknüpft ist, bricht
die magische Barriere nach deren Ende zusammen. In großer Zahl fallen Truppen
der Uzoma brandschatzend, vergewaltigend und mordend in den Steppen von Nymath
ein. Zwischen ihnen und den Städten der fünf Stämme liegt nur mehr das
Pandarasgebirge. Dort hütet eine Garnison den einzigen Pass ins Flachland. Fällt
diese Feste, ist Nymath verloren, und der Dunkle Gott hat ein weiteres Land
unterjocht. Weniger und weniger wird die Zahl der Verteidiger. Elben und
Menschen erleiden arge Verluste, da den Uzoma durch Vharas Magie ein neues
Kriegsmittel zur Verfügung steht: Lagaren, geflügelte Echsen mit Flammenodem,
die zu allem Überdruss auch noch Reiter tragen, welche flüssiges Feuer abwerfen.
Gegen diese schaurige "Luftwaffe" richten die wenigen Pfeilkatapulte der fünf
Stämme auf Dauer wenig aus.
Einzig die Rückkehr der Nebelsängerin könnte
das Kriegsgeschick zugunsten der Seite des Lichts noch wenden. Doch dazu bedarf
es Gaelithils direkter weiblicher Nachfahren - und die sind alle ermordet, alle
bis auf eine, die gerade erste 16 Jahre jung gewordene Ajana. Vom Schrecken über
Nymath nichts ahnend, lebt sie in einer anderen Welt, auf der unsrigen, in
Deutschland. Als ihr von der dahingeschiedenen irischen Verwandten Mabh O’Brian
ein antikes Amulett vermacht wird, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Zauberhafte
Sphärenklänge, die sonst niemand wahrnimmt, dringen an Ajanas Ohren. Durch das
Intonieren dieser seltsam faszinierenden Melodie findet sich das Mädchen
plötzlich in Nymath wieder, gerät in Gefangenschaft der Uzoma, wird befreit,
schließt Freundschaften und wird sich wider Willen mehr und mehr ihrer
Bestimmung bewusst. Von Angst und Selbstzweifeln geplagt, macht Ajana sich auf
den Weg zum Arnad, in der Hoffnung einen neuen Schutznebel zu weben. Natürlich
schläft auch Vhara, Priesterin des Bösen nicht. Sie schickt allerlei Unbill, um
die Rückkehr der Nebelsängerin zu verhindern.
Von der Geschichte her erzählt Monika Felten Variationen des Herr-der-Ringe-Themas,
das da lautet: Eine diabolische Macht (Sauron/Dunkler Gott) versucht mittels
einer Heerschar mordlüsterner Kreaturen (Orks/Uzoma) alle freien Völker zu vernichten.
Während die militärischen Verluste der Guten immer ärger ausfallen, liegt ihre
einzige Hoffnung darin, dass eine kleine Gruppe Auserwählter ans schicksalsbestimmte
Ziel gelangt. Bei Tolkien ist es ein Vulkan, in den der Hobbit Frodo den verfluchten
Ring werfen muss, bei Felten ist es ein Fluss, aus dessen Wassern das Mädchen
Ajana eine magische Barriere herbeizusingen hat. In beiden Sagas kommt es auf
Zusammenhalt und Durchhaltevermögen an; nicht die großen Krieger sind die Helden
der Erzählung, sondern die scheinbar Kleinen und Schwachen, die mit der Bürde
ihrer Aufgabe an Stärke gewinnen.
Neben Ajana oder Gaelithil tritt eine Reihe weiterer Frauencharaktere auf den
Plan: die Elbenprinzessin Inahwen; die Amazone Maylea; Vhara, die Priesterin
des Dämons; oder Faizah, ihres Zeichens Hoffnungsträgerin für die Freiheit der
Uzoma. All das erinnert an "Die Nebel von Avalon", wo Morgaine, Viviane,
Morgause oder Gwenhwyfar die eigentlichen Drahtzieherinnen sind, nicht die stolzen
Ritter.
In der völkischen Ausgestaltung ihrer fantastischen Welt setzt Felten auf Altbewährtes.
(Wem der Sinn nach schrägeren Heerscharen steht, der sollte eher
zu
Laurent Gaudés "Der Tod des Königs Tsongor" greifen.) Jeder der fünf
Stämme stellt einen Archetypus dar. Die Ondur etwa sind klassische Schwertkämpfer,
während die Katauren (erinnert an "Zentauren") als Reitervolk beschrieben werden.
Bei den Wunand, typischen Amazonen, hat eine Kriegerinnenelite das Sagen; die
Fath erscheinen wie
Tuareg ähnliche
Beduinen - und die Raiden zeichnen sich durch eine besondere Beziehung zu Tieren
- in diesem Fall Falken - aus. Sobald
besagte Greifvögel schlüpfen, wählen sie sich ihren Falkner selbst und bleiben
mit ihm treu verbunden. Wird der Falke getötet, verliert sein menschlicher Begleiter
meist den Verstand; stirbt der Mensch, siecht der Vogel durch Nahrungsverweigerung
dahin. Zudem kann der Falkner durch die Augen seines Tieres die Gegend von hoch
oben erkunden. Ähnliche spirituelle Symbiosen sind aus den Traditionen indigener
Völker Lateinamerikas oder Afrikas überliefert.
Im Unterschied zu den Orks á la Tolkien zeichnet Felten ihre Uzoma differenzierter.
Denn trotz aller Grausamkeit ist dieses Volk nicht bösartig an sich, sondern
durch einen dunklen Kult versklavt und zudem von den menschlichen Eindringlingen
seiner Heimat beraubt; Täter als auch Opfer zugleich. Auch die Elben erscheinen
nicht so strahlend wie in anderen Romanen. Der von ihnen erzeugte Nebel ist
Schutz und Todbringer in einem. Hinsichtlich der Elbensprache hat Monika Felten
direkt das von Tolkien entworfene Sindarin eingebaut, wie etwa die Grußformel
"Mae govannen" oder die Anrede "mellon" (= "Freund") beweisen. (Siehe
Helmut W. Pesch, "Elbisch
- Grammatik, Schrift und Wörterbuch der Elben-Sprache von J.R.R. Tolkien").
Wer den Film zu "Der Herr der Ringe - Die zwei Türme" gesehen hat, erinnert
sich beim Lesen der Belagerung der Festung am Pandaras unwillkürlich an die
Schlacht bei Helms Klamm. Menschen und Elben vereint auf den Wehrbrüstungen,
attackiert von Tausenden von Orks/Uzoma.
Was in der
"Nebelsängerin" an manchen Stellen irritiert, ist der Schreibstil von Monika
Felten. So kommt es zuweilen vor, dass Ajanas Persönlichkeit geschildert wird,
als wären Mädchen im Teenageralter das anvisierte Lesepublikum, dann wieder
greift die Autorin zum drastischen Realismus und beschreibt Gefangenenlager,
Vergewaltigung oder einen von Exkrementen und Erbrochenem stinkenden
Kerker.
Im Anhang erklärt Felten in kurzen Zügen die Symbolik des
Runenalphabets,
was einerseits dem Roman zusätzlich an Gewicht verleiht, andererseits das
Verständnis der Geschichte um das Amulett der Sängerin erleichtert. Sehr
hilfreich ist auch das Glossar, in dem die neuartigen Begriffe und Charaktere
des Buches zusammenfassend angeführt sind.
Natürlich darf ein Bonus nicht
unerwähnt bleiben. Beigefügt zur "Nebelsängerin" liegt eine CD der jungen
Interpretin Anna Kristina, die einen Hauch von Elbenmusik vermittelt.
In
Summe gelang mit "Das Erbe der Runen" ein gelungener Auftakt zur Trilogie
rund um die Nebelsängerin. Monika Felten ist drauf und dran, einen Klassiker aus
der guten alten Tolkienschen Schule in die Literaturwelt zu setzen. Auch wenn
der Rezensent bereits einige Entwicklungen des Romans vorauszusehen glaubt (und
sich zu irren hofft), bleibt die Neugier auf Band zwei groß.
(lostlobo; 11/2004)
Monika Felten: "Die
Nebelsängerin"
Piper, 2004. 459 Seiten; mit einer Musik-CD.
ISBN
3-492-70065-9.
ca. EUR 20,50.
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Liens:
https://www.daserbederrunen.de
https://www.monikafelten.de/
Monika Felten, geboren am 1. Februar
1965, lebt mit ihrer Familie in der Holsteinischen Schweiz, einem Landstrich, wo
zwischen Wäldern, Seen und Hünengräbern immer noch
Elfen und
Feen ihr Wesen zu treiben scheinen. Ihre Romane "Elfenfeuer" und "Die Macht
des Elfenfeuers", für die ihr jeweils der Deutsche Phantastik Preis verliehen
wurde, knüpfen an den Mythen und Legenden ihrer Kindheit an und begeisterten auf
Anhieb zahlreiche Leser.
Weitere Bücher der
Autorin:
"Elfenfeuer. Erstes Buch der Saga von Thale"
Finsternis
und Unterdrückung herrschen in Thale, seit Elfen und Druiden ermordet und die
gütige Göttin vertrieben wurde. Doch bevor er starb, prophezeite der oberste Druide die Ankunft
eines Retters, der die dunklen Mächte besiegen und dem Land Frieden und Freiheit
zurückgeben wird. Und wirklich: In einer dunklen Nacht kommt heimlich ein Kind
zur Welt, das die Prophezeiung erfüllen wird: Sunnivah, ein Mädchen, das nichts
von seiner großen Aufgabe ahnt ... (Piper)
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"Die Macht des Elfenfeuers. Zweites
Buch der Saga von Thale"
Seit nunmehr fünf Generationen gilt
Asco-Bahrran, Meistermagier des finsteren Herrschers, als tot - doch in Wahrheit
ist seine Macht unsterblich. Verborgen in den Gefilden der Finstermark,
versammelt er ein Heer bestialischer Rächer, um ein Fürstentum des Grauens zu
errichten. Die Gütige Göttin, seine erhabene Feindin, träumt derweil in den
Gärten des Lebens - bis die Kunde eines schrecklichen Anschlags sie erreicht:
Blutrünstige Bestien haben das Volk der Nebelelfen überfallen, und schon brennt
das Grasland vor den Mauern der Festungsstadt ... (Piper)
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"Die Hüterin des Elfenfeuers. Drittes
Buch der Saga von Thale"
Mit der "Hüterin des Elfenfeuers" gelingt Monika Felten ein Abschluss der Trilogie
voller Spannung und Magie. Dieser Roman liefert den Schlüssel zu allen Rätseln
der Vergangenheit und Zukunft und ist gleichzeitig die abgeschlossene Geschichte
vom Kampf einer mutigen Nebelelfe gegen den tödlichen Feuerdämon. (Piper)
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Zu einem Interview mit Monika Felten