Jon Krakauer: "Auf den Gipfeln der Welt"

Die Eiger-Nordwand und andere Träume


Die Grenzen der Träume oder Warum klettern Menschen?

Ein Mann, der sich von Katzenfutter und Stachelschweinen ernährt, nur um es sich leisten zu können, im Alleingang auf senkrechte Wasserfälle aus brüchigem Eis zu klettern. Exzentrische Zwillinge, deren Spaß an Schlägereien nur von ihrer Leidenschaft für die Gipfel des Himalaya übertroffen wird. Ein erfolgreicher Forschungsmathematiker, der von der "transzendentalen Poesie des Kletterns" auf nur wenige Meter hohe Felsbrocken schwärmt.

"Warum macht ein geistig normaler Mensch solche Sachen?" fragt der Journalist, Bergsteiger und Erfolgsautor Jon Krakauer - und kann doch, wie ihm wohl bewusst ist, die Faszination und Irrationalität des extremen Kletterns auch in diesem Buch nur umkreisen. Nach dem Welterfolg von "In eisigen Höhen", seiner dramatischen Dokumentation einer katastrophalen Mount-Everest-Expedition, liegt mit "Auf den Gipfeln der Welt" eine in den USA bereits im Jahr 1990 erschienene Sammlung von zwölf Reportagen rund um das Klettern und die Menschen, die davon besessen sind, auf Deutsch vor.

Was wie verlagstechnisches Kalkül erscheint, erweist sich als spannender Ausflug in eine lebensgefährliche Welt voll Obsessionen, Ruhm, Enttäuschungen und Glück. Krakauer nimmt seine Leser mit auf einsame Gipfel, in tiefe Canyons, klapprige Flugzeuge oder tropfnasse Zelte, stellt ihnen außergewöhnliche Charaktere vor. Am packendsten aber ist der in den USA preisgekrönte Autor, wenn er von seinen eigenen Erfahrungen als Bergsteiger berichtet. So liefert er mit "Eiger-Träume" eine präzise, aber auch sarkastisch-humorvolle Chronik seines ruhmlosen Scheiterns an der berühmten Eiger-Nordwand und mit "Der Devil's Thumb" eine sehr persönliche Schilderung einer erfolgreichen Solobesteigung in Alaska.

"Warum macht ein geistig normaler Mensch solche Sachen?"
Die Bücher Jon Krakauers geben keine gültige Antwort, doch lassen sie auch Nichtbergsteiger ahnen, welch starke Träume und Leidenschaften Menschen zum Klettern treiben.

(sb)


Jon Krakauer: "Auf den Gipfeln der Welt. Die Eiger-Nordwand und andere Träume"
Piper.
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Noch ein Buchtipp:

Reinhold Messner: "Absturz des Himmels"

Am 14. Juli 1865 steht der fünfundzwanzigjährige Engländer Edward Whymper als erster Mensch auf dem Matterhorn, aber beim Abstieg stürzen vier seiner Begleiter in den Tod: ein Seil ist gerissen. Wenige Tage nach Whympers Aufstieg von Zermatt aus erreicht der einheimische Bergführer Jean-Antoine Carrel von der italienischen Seite aus den Gipfel. Er ist der eigentliche Held in Reinhold Messners atemberaubender Geschichte von der Eroberung eines unverwechselbaren Berges, vermutlich der erste Mensch, der eine Besteigung des Matterhorns für möglich hielt. Carrel ist das Gegenbild zu dem dandyhaften Whymper: wortkarg, instinktiv und voller Verantwortung für seine Männer bis in die Stunde des eigenen Todes - fünfundzwanzig Jahre später, am Matterhorn.
Das Matterhorn ist auch heute noch ein Mythos. Im Jahr 1865 war es der letzte noch unerstiegene große Alpengipfel, einer der letzten weißen Flecken auf der Landkarte - mitten in Europa. Warum bei Edward Whympers Erstbesteigung das Seil reißt, ist eine Frage, die damals halb Europa bewegt hat. Die Frage, wer dafür verantwortlich ist, lässt Reinhold Messner auch heute noch nicht los. In seiner fesselnden Erzählung von Verantwortung, Vertrauen und Verrat wird er Teil der Seilschaft von 1865: "Ich will nochmals mit den Bergsteigern hinaufsteigen. Ich will nachempfinden, was sie getragen hat - und was sie ertragen mussten." (S. Fischer)
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