Udo Weigelt, Julia Gukova: "Das sagenhafte Einhorn"

Bleibe deinen Träumen treu ... erwarte das Unerwartete!


Eines Tages kommt der Igel auf dem Nachhauseweg an einem Bach vorbei. Dort sieht er ein gar merkwürdiges Tier: Ein Einhorn! Niemals zuvor hat solch sagenhaftes Wesen den Pfad des stacheligen Wanderers gekreuzt. Eilig läuft er los, um den anderen Tieren des Waldes davon zu erzählen. Allein, niemand schenkt ihm Glauben. Der Hase beharrt, dass es Einhörner nur in der Legende gäbe, der Bär spricht von Blättern und Schatten, die das Auge irreführen.

Am abendlichen Rückweg sieht der Igel das Einhorn nochmals. Geschwind holt er seine Kumpels an den Ort der wundersamen Erscheinung. Trotzig verneint der Hase, was vor seinen Augen steht, und der Bär schreibt den Anblick einer Sinnestäuschung durch den Mond zu. Fast hat es den Anschein, als dürfe einfach nicht sein, was nicht sein darf.

Tags darauf treffen sich Igel, Hase, Bär, Fuchs, Waschbär und Eule, um wie gewohnt miteinander Geschichten zu fabulieren. Aber so sehr sie sich müht, nichts kommt der illustren Runde in den Sinn; selbst die altbekannten Märchen sind entfallen. Plötzlich nehmen die Tiere auch den Wald sonderbar wahr - irgendwie trostlos. Kälte kriecht ihnen in die Knochen; selbst das sonst so beruhigende Plätschern des Flusses scheint verstummt. Da machen sich die bekümmerten Gefährten auf den Weg, um das Einhorn zu suchen. Sofern es tatsächlich existiert, weiß es vielleicht Rat. Aber es ist weder aufzuspüren noch mit Futter anzulocken. Eines wird bald klar: Seine Gunst ist nicht käuflich.

Da hat der schlaue Fuchs hat eine zündende Idee: Wenn das Einhorn fern bleibt, und alle Tiere ihre tollen Geschichten vergessen haben, warum nicht ganz einfach neue Abenteuer entstehen lassen?. Gesagt, getan. Ob Hase oder Eule, jeder der Anwesenden muss einen Satz sagen, einer nach dem anderen - bis durch gemeinsame Fabulierkunst ein neues Märchen gesponnen ist. Und so erzählen sie und erzählen, fröhlich, ohne zu merken, wie die Zeit vergeht. Ganz spät, als der Mond schon hoch am Sternenhimmel steht, löst die Gruppe sich auf. Der Hase begleitet den Igel noch ein Stück des Weges - und siehe da, das Unerwartete wird plötzlich wahr ...

Udo Weigelt hat mit "Das sagenhafte Einhorn" eine wunderschöne Parabel geschrieben. In einfachen Sinnbildern hält sie ein Plädoyer für die Fantasie. Der Autor fordert auf, seinen Träumen treu zu bleiben, auch wenn das Umfeld sie nicht verstehen oder teilen mag. Mehr noch, Weigelt zeigt, wie sagenhaft schön eine Idee sein kann, wenn viele gemeinsam ihr Gestalt verleihen. Pädagogisch geradezu genial einfach ist der zwischen den Zeilen verborgene Hintergedanke, jedes Kind einen Satz der Geschichte erzählen zu lassen - wie die Tiere des Waldes es vormachen. So hat am Ende jedes Mädchen und jeder Junge ein Stück zum Wahrwerden des Ganzen beigetragen.

Mehr zauberhaft als sagenhaft sind die Illustrationen der Moskauer Künstlerin Julia Gukova. Ihr Einhorn hält sich geschickt im Hintergrund, einmal verschmilzt es mit Blättern, dann mit Ästen und Zweigen oder fließt über in den Lichtkegel des Mondes. Erst ganz am Ende - wenn die Lektion verstanden ist - lässt das scheue Wesen einen Blick auf seine volle Gestalt zu.

Als Draufgabe für Erwachsene - man möchte meinen zur Sicherheit, um vor allzu wissbegierigen Kindern nicht unbedarft dazustehen - steht auf der Schlussseite eine kurze Zusammenfassung über den Ursprung der Einhornsage im Orient sowie über die Geschichte des bei den alten Griechen monokeros genannten Fabelwesens als Wappen- und Apothekertier.

(lostlobo; 08/2004)


Udo Weigelt (Text), Julia Gukova (Illustrationen): "Das sagenhafte Einhorn"
Nord-Süd Verlag, 2004. 32 Seiten. (Ab 3 J.)
ISBN 3-314-01308-6.
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