Erik Orsenna: "Die Zukunft des Wassers"
Eine Reise um unsere Welt
Der
virtuelle Bedarf
Das Wasser ist die Grundlage allen Lebens. Aber werden wir in Zukunft
genügend Wasser haben? Um diese beiden Kerngedanken kreist das
Buch, welches uns "Eine Reise um unsere Welt" (Untertitel) der
speziellen Art offeriert: der Schriftsteller und Ökonom Erik
Orsenna führt uns an verschiedene Orte auf der ganzen Welt und
erläutert uns, welchen Bedrohungen die Wasservorräte
der Erde ausgesetzt sind. Und er erklärt uns
überhaupt erst einmal, welche Bedeutung das Wasser
für alle Lebewesen hat und warum.
Der Mann besteht zu 55 Prozent aus Wasser, die Frau zu Prozent - der
Körper braucht das Wasser jeweils einmal, dann scheidet er es
wieder aus (Urin, Schweiß etc.). Pflanzen bestehen zu
über 90 Prozent aus Wasser. Alles Leben auf der Erde kommt aus
dem Wasser. Orsenna beginnt seine Weltreise ausgerechnet auf einem
Kontinent, wo Wasser Mangelware ist: in Australien. Ein Australier
verbraucht täglich 260 Liter Wasser - nur die Kanadier (330)
und die US-Amerikaner (300) verbrauchen mehr. Die Trockenheit droht die
Landwirtschaft zu ruinieren, die Selbstmordrate der Landwirte steigt.
In Singapur gibt es vergleichsweise viel Regen (2,5 Meter pro Jahr),
dennoch ist es nicht genug, und man ist auf Malaysia angewiesen. Der
tägliche Wasserverbrauch ist hier 155 Liter pro Person. Sein
"Kalkutta"-Kapitel überschreibt Orsenna mit "Das
Wasser ist auch der Tod". Der Taxifahrer, den er erwischt,
ist Kommunist und hat eine sehr eigene Meinung: "Wie kann die
Brüderlichkeit unter den Menschen überleben, wenn der
Wasserverbrauch gemessen wird?" Orsenna interessiert hier
aber mehr der medizinische Aspekt, indem er feststellt, dass die
Cholera in Indien "die Krankheit des Wassers", aber
das Wasser auch das einzige wirksame Heilmittel dagegen sei. Die
Bakterien haben sich sozusagen auch globalisiert, da v.a. in den
Großstädten der Erde die Trinkwasserversorgung und
die Abwasserbeseitigung im Argen liegen und die Behörden die
Fakten über die Erkrankungen eher verheimlichen. Und so
fürchtet Orsenna, wird "die Cholera zur Zukunft
unseres Planeten gehören."
Das Buch droht apokalyptisch zu werden, wenn der Autor im Kapitel zu
Bangladesch schließlich "Alle Übel der
Welt" versammelt sieht. Die Überschwemmungen
rauben den Ärmsten der Armen immer wieder alles, was sie auf-
oder angebaut haben. Überdies ist das Trinkwasser
arsenverseucht. Wir erfahren auch, dass es in Cherrapunjee, der "Welthauptstadt
des Regens" über zwölf Meter in drei
Monaten regnet. China dagegen leidet sowohl unter
Überschwemmungen als auch unter Trockenperioden. In der
Präambel des 11. Fünfjahresplans für die
Jahre 2006 bis 2010 stehen u.a. die Leitgedanken: "Sparsamer
Umgang mit unseren Ressourcen und Schutz der Umwelt" bzw. "Aufbau
einer Gesellschaft, die die Ressourcen erhält und die
Freundschaft zur Umwelt pflegt." Auch wenn dies eher nach
Propaganda klingt, wird dem riesigen chinesischen Volk nichts Anderes
übrig bleiben, als sich an solche Verhaltenvorgaben zu
gewöhnen. Bemerkenswert ist doch, dass die staatliche
Umweltbehörde "SEPA" mit "Greenpeace" zusammenarbeitet, um
jährlich eine nationale Umweltbilanz zu erstellen.
In einer Art Zwischenbilanz stellt Orsenna fest, dass die Gletscher "unersetzliche
Indikatoren der Klimaentwicklung" sind. Und wenn zu viele
Gletscher zu schnell abschmelzen, wird in vielen Regionen der Erde das
Wasser fehlen. Als Regulierungsmaßnahme hat man
überall auf der Welt Stauseen angelegt. Davon gibt es ca.
45.000 auf der Welt, fast die Hälfte davon allein in China. Zu
Stauseen hat Orsenna ein sehr zwiespältiges
Verhältnis: abgesehen davon, dass sie die Trinkwasser- und
Stromversorgung einer Region sicherstellen können, wird die
Umwelt zerstört, indem riesige Gebiete unter Wasser gesetzt
werden, große Bevölkerungsteile müssen oft
ohne echte Entschädigung umgesiedelt werden, die gewaltigen
Investitionen ruinieren die öffentlichen Finanzen, das
stehende Wasser führt zu schweren Krankheiten, und bei
Dammbrüchen gibt es Tausende von Toten. Im Übrigen
werden täglich 47 Millionen Kubikmeter Trinkwasser weltweit
aus dem Meer gewonnen - was aber nur etwa ein halbes Prozent des
Süßwasserbedarfs auf dem Planeten deckt.
Aus seiner von vielen Reisen gespeisten Erfahrung weiß
Orsenna zu schließen: "Ein Land offenbart seine
Kräfte, seine Legenden, seine Ängste, seine
Widersprüche, sobald es um das Wasser geht, um sein
Verhältnis zum Wasser." Was wir
grundsätzlich begreifen müssen: Wasser ist zwar eine
erneuerbare Ressource, wir dürfen aber seinen Kreislauf nicht
stören - was durch die Rodung zu vieler Wälder z.B.
geschieht. Die globale Erwärmung wird die Verdunstung
verstärken, und mehr Feuchtigkeit in der Luft führt
zu mehr Niederschlägen. Wahrscheinlich wird aber die
durchschnittliche Regenmenge sinken, und dafür wird es
extremere Niederschläge geben. In Algier lernt Orsenna
endgültig eines zu begreifen: Wasserknappheit resultiert
öfter aus politischer Inkompetenz als aus
tatsächlichem Ressourcenmangel. Und noch eine vielleicht
überraschende Erkenntnis hat sich ergeben: unsere
Atmosphäre enthält in etwa genauso viel Wasser wie
die Wasserressourcen in der bewohnten Welt: ca. 12.500 Kubikkilometer.
Wenn es also gelänge, der Luft das Wasser zu entziehen,
müsste niemand mehr auf der Welt Durst leiden. Aber dazu gibt
es noch keine rentablen Vorrichtungen. Ebenso ist es bisher ein kleiner
größenwahnsinniger Traum, Kumuluswolken mit Jodid zu
"impfen", um sie zum Abregnen zu bringen. Vor allem wäre es
ein größerer Albtraum zu bestimmten, wer die
Verfügungsgewalt über den Regen hätte.
Es gibt eine in Frankreich initiierte Bewegung aus
Nichtregierungsorganisationen und Privatpersonen - "Mouvement des
porteurs d'eau" - die in ihrer Charta formuliert: "Wasser ist
keine Ware, Wasser ist ein Gut, das allen gehört, nicht nur
den Menschen, sondern allem, was lebt." An diesen
allgemeingültigen Aspekt haben wir bisher noch gar nicht zur
Genüge gedacht, wenn überhaupt. In den verschiedenen
Ländern gibt es auch unterschiedliche Strukturen (staatlich,
privatwirtschaftlich) bei der Wasserversorgung und Wasserentsorgung.
Und generell steht zu befürchten, dass es zu kriegerischen
Auseinandersetzungen um das Wasser kommen wird.
Anlässlich des "Weltwassertages" am 22. März hat der
"Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland"
("BUND") darauf hingewiesen, dass in vielen Produkten des
täglichen Bedarfs "unsichtbares" Wasser steckt bzw.
"virtuelles" Wasser verschwendet wird. Für eine Jeans werden
über 5.000 Liter und für ein Kilo Rindfleisch mehr
als 10.000 Liter sogenannten "virtuellen" Wassers vergeudet.
Für Anbau, Verarbeitung und Lagerung von einem Kilo Kaffee
sind insgesamt rund 20.000 Liter Süßwasser
erforderlich. Ein Fleischesser verbraucht täglich 5.400 Liter
"virtuelles" Wasser, ein Vegetarier nur 2.600 Liter.
Nach zweijähriger Recherche auf dem gesamten Planeten kommt
Orsenna zu der Erkenntnis, dass am Anfang aller Humanität das
Wasser steht. Das Wasser ist ein natürliches und ein
gemeinschaftliches Gut, welches sehr ungleichmäßig
über unseren Planeten verteilt ist. Die Verwaltung des Wassers
ist eine politische Aufgabe, generell müssen wir lernen, mehr
zu teilen. Orsenna fordert Solidarität, jede Kommune
müsse dafür sorgen, dass jeder Mensch die
fünfzig Liter Wasser, die er zum täglichen Leben
braucht, kostenlos und zuverlässig erhält. Das sind
mehr als fromme Wünsche, die es gilt, organisatorisch ins
Visier zu nehmen. Virtuell denken und real handeln, wird die Devise der
Zukunft sein. Und unter dem Aspekt der zunehmenden
Weltbevölkerung entlässt uns der Autor nicht sehr
optimistisch in unsere jeweilige Realität. So plauderhaft
unterhaltsam der Stil des vorliegenden Buches wirkt, der Inhalt liegt
schwer im Magen.
(KS; 02/2010)
Erik
Orsenna: "Die Zukunft des Wassers. Eine Reise um unsere Welt"
Aus dem Französischen von Caroline Vollmann.
C.H. Beck, 2010. 319 Seiten.
Buch
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Ein
weiteres Buch des Autors:
"Lied für eine geliebte Frau"
"Welches Bild von ihr kann ich für immer in mir
bewahren, welches
Bild, das niemand mir stehlen kann, nicht einmal das Leben, das
weitergeht?"
Nur vier gemeinsame Jahre waren dem Erzähler dieses Romans und
seiner einzigen
wahren Liebe vergönnt, bevor sie an einer Krankheit starb.
Alleingelassen, will
er einen Weg finden, wie er mit der Geliebten weiterleben und die
Verbindung mit
ihr aufrechterhalten kann. Dazu begibt er sich auf die Suche nach
seinen
Erinnerungen - und nach dem Ort, an dem die Toten sind. Er befragt die
Menschen
in seiner Umgebung, er wendet sich an Experten, an fremde Religionen
und
Kulturen. Und während er sich weigert, seinen Verlust
hinzunehmen, wird die
Geliebte erneut zur Begleiterin für sein Leben, das gleichwohl
nicht in der
Vergangenheit stehenbleibt. Orsennas Buch, diese postume
Liebeserklärung, ist
ein Stück erzählter Autobiografie, das
Märchen einer großen Liebe und der
Bericht von einer philosophischen Wanderung. Es spricht von der
Verzweiflung,
aus der den Erzähler am Ende nur dreierlei rettet: Sein
stiller Humor, seine
unaufdringliche Weisheit und die Entschlossenheit, seine Suche nach der
Toten
nicht aufzugeben. (C.H. Beck)
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Weitere
Buchtipps:
Gerhard
Berz: "Wie aus heiterem Himmel? Naturkatastrophen
und Klimawandel:
Was uns erwartet und wie wir uns darauf einstellen
sollten"
In den 1980er-Jahren
gab es durchschnittlich zehn
Großkatastrophen im Jahr,
heute sind es drei Mal so viele:
Stürme,
Überschwemmungen, Flutwellen,
Unwetter- und Dürrekatastrophen. Kaum ein Gebiet der Erde ist
davon
ausgenommen. Da muss es gar nicht erst der spektakuläre
Meteoriteneinschlag
sein. Neben Naturschützern reagierten die großen
internationalen Rückversicherungsgesellschaften
am sensibelsten auf diese Veränderung, denn sie
müssen die Schadenspotenziale
möglichst rasch realistisch einschätzen und durch
Reserven abdecken.
Der Autor hat sehr viele Risikogebiete rund um den Erdball bereist und
oft abenteuerliche Untersuchungen in akuten Katastrophengebieten
unternommen. Die meisten Naturkatastrophen kommen nicht aus heiterem
Himmel. Wer die
Ursachen und Hintergründe kennt, kann Vorsorge treffen und
auch den
individuellen Schutz für sich verbessern. Solche Kenntnisse,
gewonnen aus der Summe seiner
Erfahrungen, will Gerhard Berz vermitteln. (dtv)
Buch
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Petra
Dobner: "Wasserpolitik"
Sauberes Wasser ist die Grundvoraussetzung irdischer Existenz, und
nichts
verdeutlicht die Bedeutung einer öffentlichen
Gemeinwohlsicherung stärker als
die Frage der Wasserversorgung. Im Zuge der neoliberalen
Privatisierungs- und Globalisierungsideologie fiel jedoch Anfang der
1990er-Jahre auch diese
Bastion öffentlicher Alleinverantwortung. Seither wird die
Privatisierung der Trinkwasserressourcen und der damit verbundenen
Dienstleistungen
einerseits als Königsweg propagiert, andererseits vehement
bekämpft.
Das Buch macht die komplexen Dimensionen der globalen Wasserkrise
sichtbar und verfolgt
die Entwicklung von der öffentlichen Daseinsfürsorge
zu
Strukturen globaler Maßnahmen
- eine Entwicklung, die eng mit theoretischen Auffassungen
über die Bedeutung der Allmende, die beste Art der
Gemeinwohlsicherung und die
Möglichkeiten politischer Steuerung verknüpft ist.
Die empirische
Untersuchung der Strukturen des globalen Wasserpolitiknetzwerkes macht
dabei exemplarisch deutlich,
dass es gute effizienz- und demokratietheoretische Gründe
gibt, den
generellen Vertrauensvorschuss für globale Bestimmungen einer
kritischen
Überprüfung zu unterziehen. (Suhrkamp)
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Taras
Grescoe: "Der
letzte Fisch im Netz. Wie wir die wichtigste Nahrungsquelle der Welt
retten können - die Meere"
Eine Reise um die
sieben Weltmeere auf der Suche nach dem
ökologisch vertretbaren Fischteller.
Wir ruinieren die wertvollste Nahrungsquelle des Planeten - die Meere -
in selbst für Experten erstaunlichem Tempo, nicht zuletzt mit
gnadenloser Überfischung. Ob Tunfisch,
Hai
oder Schwertfisch, bis zu 80
Prozent des weltweiten Bestands an Speisefisch sind heute verschwunden,
für Kabeljau hat sich ein lukrativer Schwarzmarkt etabliert,
viele Küstenregionen erleben ihren ökologischen und
finanziellen Niedergang. Taras Grescoe berichtet in "Der letzte Fisch
im Netz" aus dem Spannungsfeld zwischen Marktwirtschaft, Konsum und
Umwelt. Er hat sich auf eine Reise um die sieben Weltmeere auf der
Suche nach dem ethisch vertretbaren Fischteller gemacht. Von
portugiesischen Sardinen über Marsailler Bouillabaisse zu
Alaskaseelachs und Fischstäbchen, indischem Shrimp-Curry und
Tunfisch-Sushi;
ob Gourmettempel, Großmarkthalle oder
Schnellkostfiliale - Grescoe legt dar, wie der Fisch vom Wasser auf
unseren Tisch kommt und was dabei falsch läuft.
Neben Staunen machenden Schilderungen von den - noch erlebbaren -
Wundern der Ozeane als Lebensraum liefert er eine dringend notwendige
Reportage über die Zerstörung ganzer
Ökosysteme wie auch über nachhaltig bewirtschaftete
Bestände, sinnvolle Fangmethoden und andere
Maßnahmen, die dabei helfen können, die
Meere
zu retten.
"Fisch
ist aus!" An diese Ansage, so Taras Grescoe, werden wir uns
gewöhnen müssen, wenn wir unsere Gewohnheiten nicht
sehr bald ändern. (Karl Blessing)
Buch
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