(...) Als der
Abend
dieses Tages gekommen war, sah man eine Schar von Reitern von dem
rechten Burgflecken über die Brücke eilen. Sie hatten
Friedensfähnlein auf den Lanzen. Als sie in dem linken
Burgflecken angekommen waren, hielten sie stille.
Diepold sagte zu Sezima: »Nimm zwanzig Reiter, reitet mit
Friedensfähnlein hinaus, und frage um ihr Begehren.«
Sezima ritt mit zwanzig Reitern gegen das Brückentor, man
ließ ihn hinaus, er näherte sich den Feinden, und
von den Zinnen aus konnten sie ihn eine Zeit bei ihnen verweilen sehen.
Dann kehrte er wieder zurück.
Als er vor Diepold gekommen war, berichtete er: »Sie sagen,
daß ein Mann unter ihnen sei, der die Macht habe, im Namen
Konrads, den sie ihren Herzog nennen, mit dir, wenn du der Befehler der
Stadt bist, weil du Boten sendest, zu sprechen. Konrad will
Blutvergießen meiden. Wratislaw von Brünn, Otto von
Olmütz, Spitihnew, Leopold und Wladislaw lassen dir Gutes
sagen.«
Diepold antwortete: »Reite wieder hinaus, und sprich:
›Diepold redet nur mit denen, die sich unterwerfen, und er
wird es daran erkennen, daß sie mit zwei
Friedensfähnlein auf einer Lanze kommen. Ein anderes
Fähnlein wird er nicht mehr anerkennen, und die jetzt da sind,
sollen sich entfernen, so sie Schaden meiden wollen. Mit den Nachkommen
Premysls, Wratislaw von Brünn, Konrad von Znaim, Otto von
Olmütz, Spitihnew, Leopold und Wladislaw wird er sprechen,
wenn sie mit Säcken auf dem Haupte und Stricken und Steinen um
den Hals vor ihm knien.‹«
Sezima ritt wieder hinaus, und da er zurückgekommen war, sagte
er: »Sie verlangen mit Wladislaw zu sprechen, und wenn
dieser, wie es heißt, entflohen sei, mit Gertrud.«
Gertrud sprach: »Diepold, lasse Kugeln in sie
werfen.«
Diepold sagte: »Sezima, du gehst jetzt nicht mehr
hinaus.«
Dann schwieg er.
Die feindlichen Reiter blieben auf ihrem Platze stehen.
Nach einer Weile sagte er: »Legt auf.«
Die Männer legten einen Stein auf die Schaufel einer
Schleuder.
Wieder nach einer Weile sagte Diepold: »Richtet, und dreht
ab.«
Die Männer gaben der Schleuder eine Richtung, dann drehten sie
an kurzen Speichen, die Schaufel fuhr in die Höhe, und in dem
Augenblicke fiel eine große Steinkugel im Bogen gegen die
Reiter nieder.
Diese wendeten sich um, und ritten über die Brücke
davon.
Ein Geschrei des Jubels folgte ihnen von den Mauern der Stadt.
Es kam der Abend, und als es finster geworden war, konnte man den
Schein der Feuer der Feinde von den Burgflecken und von den Feldern her
sehen.
Nach dem Frühgottesdienste des nächsten Morgens sahen
die Männer, daß Feinde am unteren Ende des rechten
Burgfleckens mit Schiffen, Flößen und
Brettergerüsten über
die
Moldau und auf das hohe Feld Letne gingen, in welchem die
Dörfer Owenec, Holišowic und Buben waren. Der
andere Teil stand in Ordnung am Wasser.
Es wurde an diesem Tage keine Botschaft an Diepold gerichtet.
An dem folgenden Tage und an dem nächsten waren alle Feinde
herüber gegangen, und errichteten ein Lager. Diepold
störte sie nicht, und wenn es in der Stadt stille war, und die
Luft von dem Felde daher ging, konnte man die Hammerschläge
und den Schall der Arbeiten vernehmen.
Endlich erhob sich eine großes weißes Banner bei
den Feinden, und mehrere kleine weiße Banner wurden sichtbar.
Sofort entfaltete sich auch auf der Kirche des heiligen Veit das
große rosenrote seidene Banner Wladislaws, und es wehten auf
dem Herzogshofe und auf anderen Bauwerken und an Stellen der Zinnen
kleinere rosenrote Banner.
Das große weiße Banner auf dem Felde war das
Konrads von Znaim, den sie zum Herzoge erwählt hatten,
weiterhin war das weiße grüngeränderte
Banner Wratislaws von Brünn, dann war das Banner Ottos von
Olmütz, dann Spitihnews und Leopolds, dann waren die Zeichen
der andern Männer, Bogdans, Domaslaws, des alten Mikul, und
mehrerer. Weit hinter den Feinden war Kochan, und man sagte,
daß er gekommen sei, zu sehen, wie sich beide Herzoge
vernichten, worauf dann die übrigen Lechen herrschen
würden.
Da der sechste Tag gekommen war, seit sich die Feinde vor der Stadt
gelagert hatten, näherten sich am Morgen dieses Tages
verschiedene Geräte der leichten Art den Mauern. Auf
Wägen wurden allerlei Dinge geführt. Die
Männer der Feinde rückten auch heran. Da sie nahe
waren, hielten sie an, und von den Geräten flogen nun Pfeile,
Pflockbolzen, Steine, Wurflanzen und Eisenstücke auf die
Zinnen. Die Männer Diepolds rührten sich nicht. Auf
seinen Befehl hatten sie sich hinter die Bergen begeben
müssen. Da endete das Werfen der Dinge, und von den Feinden
sonderte sich ein Haufen Krieger ab, und ging gegen die Mauern
vorwärts, dies tat auch ein zweiter, ein dritter und mehrere.
Da sie nahe an der Mauer waren, begannen sie zu rennen, indem sie
Leitern, Stangen, Haken, Schilde, Stricke und Kletterdinge trugen. Sie
befestigten Werkzeuge an den Mauern, und suchten, empor zu klimmen.
Hinter ihnen standen viele Bogenschützen, welche
unaufhörlich Pfeile gegen den oberen Rand der Zinnen sendeten.
Jetzt gab Diepold ein Zeichen in die Luft, und auf dieses Zeichen
ertönte die größte Glocke des Turmes des
heiligen Veit, und da der erste Klang erscholl, stürzten die
Männer Diepolds heran, und warfen Ziegel, Steine,
Blöcke, Bäume, eisengezackte Balken, siedendes Wasser
und brennendes Pech auf die Emporklimmenden nieder. Ein Teil der
Krieger war in Bereitschaft, dort, wo sich zwischen den Schirmen, die
die Feinde über sich emporschoben, menschliche Glieder
zeigten, Pfeile und Lanzen hinein zu schicken. Ein anderer Teil suchte
insbesondere diese Bergeschirme der Feinde durch schwere Wurfdinge oder
Feuer zu zerstören, oder auf die Feinde selber zu schleudern.
Viele Krieger sendeten beständig aus Geräten Steine
und Wurflanzen und von Bögen Pfeile gegen die
Schützen der Feinde.
Die Glocke des heiligen Veit tönte fort.
Zuweilen erscholl ein geller Ruf zum Zeichen einer schweren Verwundung,
oft rann an einem Manne Blut hinunter, ohne daß er es
wußte, man sah manchen Krieger taumeln, ohne daß
man erkennen konnte, ob die Schauer des Todes ihn stürzen
wollten, oder eine Verwundung. Er wurde zurückgetragen, wo die
Pfleger versammelt waren. Auch Feinde sah man fallen, oft wurden
mehrere zugleich samt ihren Geräten von den Leitern
gestürzt, und man sah, wie Männer von den Mauern weg
getragen wurden. Aber neue drangen nach, und die Leitern
füllten sich immer wieder. Der Bogenschützen, welche
die Verteidiger zu schädigen suchten, wurden immer mehr.
Diepold vermehrte auch die seinigen. Er sah, daß die Bergen,
die von jenen Männern hinaus geschoben wurden, welche die
Dinge auf die Felder hinunter zu werfen hatten, zu schwach seien, und
suchte sie durch stärkere zu ersetzen. Auf der ganzen Strecke,
an der die Feinde empor drangen, waren die Verteidiger versammelt, und
die ermüdet wurden, ließ Diepold mit frischeren
wechseln. Die Waldleute fanden sich in die Sache, und arbeiteten
stetig, wie sie mit den Baumstämmen ihrer Felsen oder gegen
die Tiere ihres Waldes arbeiteten. Tom Johannes saß hinter
einer Berge, und schrie Worte, die niemand vernahm, und machte mit den
Händen Zeichen, auf die niemand achtete.
Da dieses geschah, ritt die Herzogin an die Zinnen. Sie war von
mehreren Hofherren begleitet, aber von keiner ihrer Frauen. Nur Dimut
ritt in ihrem Waffenkleide neben ihr. Die Herzogin ermunterte die
Männer, und belobte sie. Als sie zu den Waldleuten kam,
erhoben diese einen so wilden Ruf, daß die Glocke des
heiligen Veit dagegen nicht zu vernehmen war.
Von den Feinden lösete sich jetzt eine Schar ab, welche
größer war als alle, die bis zu der Zeit an die
Mauern gekommen waren. Sie eilte gegen eine Stelle, welche weniger
Krieger enthielt, und strebte in Schnelligkeit empor zu klimmen, indes
andere unter ihnen durch Sandsäcke Rasen Reisig und
dergleichen schleunig den Boden an den Mauern zu erhöhen
versuchten; aber die Männer Diepolds kamen wie eine Wolke,
welche den Hagel birgt, herbei, und sie erhoben ein Freudengeschrei,
weil sie die Absicht der Feinde erkannten, und die Mittel hatten, sie
zu vereiteln. Das Hinabwerfen der Verteidigungsdinge wurde dichter, als
es bisher gewesen war, es wurde ein Schütten, und wenn man
meinte, das Schütten sei am heftigsten, wurde es noch
heftiger. Das Hinaussenden der Lanzen, Pfeile, Steine, und anderer
Wurfsachen auf die Bogenschützen wurde ein stetiger Strom. Der
Kampf war sehr kurz. Die Feinde glitten zurück,
verließen ihre Geräte, und wichen gegen die Ihrigen.
So taten sie an allen Stellen. Da sie in Unordnung
zurückgingen, öffnete Diepold das Tor, und drang mit
einer Schar Männer, die er bereit gehalten hatte, hinaus,
indem er auf seinem schwarzen Pferde
unter ihnen ritt. Er eilte den Feinden nach, und was durch Lanze und
Schwert zu erreichen war, wurde durch Lanze und Schwert geschlagen. Als
sie gegen das ganze Heer der Feinde kamen, wendeten sie um, ritten in
Schnelligkeit zurück, und wurden durch das Tor aufgenommen.
Jetzt war Ruhe auf den Mauern, und die Glocke des heiligen Veit
tönte nicht mehr.
Diepold, die Herzogin, der Bischof, Äbte, Priester und
Führer gingen jetzt auf den Kampfplatz. Da waren die
Rüstzeuge des Krieges, die man gebraucht hatte, da waren die
ermatteten Krieger, es waren Verwundete und Tote. Die Ärzte
und die Pflegediener waren da, Leute aus der Stadt, Frauen, Jungfrauen,
Priester
und andere waren gekommen, und spendeten Labung. Manche Männer
gingen herum, und bluteten an diesem oder jenem Teile ihres
Körpers. Andere saßen oder lagen. Der Priester von
Daudleb wusch Moyslaw die Wunde eines Lanzenstiches, die er an der
Achsel erhalten hatte, und verband sie ihm. Dann schnitt er Zwest die
Spitze eines Pfeiles aus dem Arme, und verband ihn, Jurik, der Sohn
Juriks, dem ein Stein das Knie gestreift hatte, und Zdeslaw, der Sohn
Diwiš', der einen Lanzenstich hatte, wurden verbunden.
Andere wurden von den Ärzten in Sorge genommen, und jeden,
wenn es sein konnte, trug man in die Verpflegungsorte. Diepold und
seine Begleiter gaben überall Trost. Diepold verlangte, die
Toten zu kennen. Man wußte sie noch nicht alle. Budilow, ein
reicher Wladyk aus den Fluren von Gradec, hatte sein Leben verloren, so
auch Wat, ein Leche aus den Gebirgen an Polen, der mit seinen Leuten
unter Jurik gestanden war, so der Wladyk Kuneš aus dem
Abende des Landes, so Izzo von Tynec, Welich von Suchomast, Radoslaw
von Bezno, Welkaun von Jesenic, und andere Männer, die auf
ihrem Eigen mit Sippen gesessen waren. Diepold verordnete,
daß von allen ein genaues Verzeichnis gemacht werde, wenn
etwa Verhandlungen mit ihren Angehörigen würden.
Dann ging er mit allen, die um ihn waren, zu den Verwundeten und
Kranken in die Verpflegungshäuser. Dann ordnete er an,
daß Erquickung an Speise und Trank, reichlicher und besser
als zu anderen Zeiten, an die Krieger komme.
Nach einer Zeit ritt eine Schar von Feinden gegen die Mauern, mit
schwarzen Fahnen, welche die Bitte anzeigten, daß ihnen
gestattet werde, ihre Toten und Verwundeten weg zu bringen. Diepold
ließ eine schwarze Fahne der Gewährung errichten.
Sogleich gingen die Feinde daran, die Ihrigen zu bergen. Die
Männer auf den Mauern sahen auf sie, und konnten die
Gewänder erkennen, wie sie in dem einen oder in dem andern
Striche des Landes getragen wurden, und wenn einer Verwandte unter
ihnen gehabt, und auf sie hinab gesehen hätte, so
hätte er ihre Angesichter zu erkennen vermocht.
Am Abende des Tages wurde ein ernster Lobgesang in der Kirche des
heiligen Veit gehalten. Diepold, die Herzogin, und alle Führer
wohnten bei, und so viele Krieger, als die Kirche zu fassen vermochte.
(...)
(aus
"Witiko"
von Adalbert
Stifter)
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