Géza Hegedüs: "Das Vermächtnis eines Lebenskünstlers"


Satirischer Roman um eine skrupellose Jagd nach scheinbarer Erfüllung

Lajos Csiszár wartet auf seinen Prozess. Während der Untersuchungshaft schreibt er für seinen Pflichtverteidiger sein gesamtes Leben auf und gesteht gleich zu Anfang, dass er aufgrund einer anonymen Anzeige "einsitzt", die er als perfekter Fälscher selbst verfasst hat.

Csiszár stammt aus einer kleinbürgerlichen, verschrobenen Familie, deren Zweige untereinander zerstritten sind. Es kann nicht ausbleiben, dass der intelligente und lebenshungrige junge Mann sich nach der Matura mit seinen engstirnigen Eltern überwirft. Nach einer kurzen Phase als Automechaniker wird Csiszár Groschenromanautor und verdient gut damit. Der Krieg und die Einberufung bereiten dieser Karriere ein Ende. Im Krieg lernt Csiszar, wie leicht es ist, alle Skrupel aufzugeben und aus der Not anderer, seien es nun internierte Juden oder Angehörige, die auf ein Lebenszeichen Verschollener warten, sowie aus seinen Fähigkeiten zur Imitation fremder Schriften und aus dem Kriegschaos allgemein reichlich Kapital zu schlagen. Diese im Krieg erworbenen beziehungsweise vertieften Fähigkeiten weiß Csiszár auch nach dem Krieg bestens einzusetzen: Es lohnt sich, die unter dem Terrorregime des Generalsekretärs Rákosi grassierende Angst jedes Staatsbürgers vor jedem auszunützen. Daher gewöhnt sich Csiszár einen üppigen Lebensstil an, wozu auch das Aushalten finanziell anspruchsvoller Frauen gehört.

Sein Vorbild ist das schwarze Schaf der Familie, Onkel Dezsö, der, von den Verwandten ausgestoßen, Kunstmaler werden wollte und schließlich umständehalber zum "Lebenskünstler" wurde, einem schwerreichen Kunstsammler, der seinen Reichtum durch alle politischen Krisen zu mehren vermag. Onkel Dezsö wehrt sich gegen Annäherungsversuche des am Erbe interessierten Neffen. Umso überraschter ist der jüngere Csiszár, als Onkel Dezsö ihn, seinen Bruder, Cousin und Cousine zusammenruft und ihnen anbietet, sich das exorbitante Erbe an Kunstwerken zu "verdienen", das er andernfalls dem Staat vermachen will. Csiszár ist besessen von der Idee, die anderen auszubooten - und muss am Ende feststellen, dass Onkel Dezsö der wahrhaft meisterliche Lebenskünstler gewesen ist und er selbst im Grunde nur ein lächerlicher, armseliger Dilettant im schlimmsten Wortsinn.

Mit viel bitterem Sarkasmus zeigt der Autor auf, wie leicht es für einen im Grunde "gut" erzogenen Menschen sein kann, jeden Anflug von Skrupel und moralischem Bewusstsein über Bord zu werfen und nur für den eigenen Vorteil zu leben, ohne dass dieser - rein materielle - Vorteil tatsächlich zwingend zu einem erfüllten, angenehmen Leben führt. Denn Csiszárs Streben nach Geld, schönen Frauen und schließlich Onkel Dezsös Erbe erhält eine zunehmend zwanghafte, suchtartige Komponente. Im Rückblick erkennt der Ich-Erzähler, dass er sein Leben verpfuscht hat, und er bedauert das; kein Mitleid empfindet er für die Menschen, die er wissentlich ruiniert hat, weil sie seinem Drang nach 
Geld im Weg standen.

Auch wenn die politischen Gegebenheiten sich immer wieder sprunghaft ändern - vom rechtsgerichteten Horthy-Regime über den Krieg unter Nazi-Führung, Rákosis stalinistischen Terror, den Aufstand 1956 bis hin zum gemäßigteren Kurs unter Kádár findet ein "Lebenskünstler" immer vorzügliche Möglichkeiten, sich zu bereichern und dabei vor sich selbst zu rechtfertigen.

Géza Hegedüs hat Lajos Csiszárs Geschichte packend und trotz des eher schlichten Stils in sehr schöner Sprache erzählt; der Leser ist hin- und hergerissen zwischen einer etwas mitleidsvollen Sympathie für den am Ende seiner Hoffnungen angelangten Protagonisten und spontanem Widerwillen. Viel tiefe Lebensweisheit findet sich in und zwischen den Zeilen, hat doch der Autor die wenigen Höhen und zahlreichen Tiefen des dargestellten Zeitabschnitts miterlebt. Der überraschende Schluss kann nur als meisterlich bezeichnet werden.

Dieser scharfsinnig verfasste, analytische Roman, der viele satirische Elemente enthält, orientiert sich zwar eng an der ungarischen Geschichte der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, doch das stark anrührende Thema ist - bedauerlicherweise - zeitlos und an keinen Ort und kein politisches System gebunden.

(Regina Károlyi; 12/2006)


Géza Hegedüs: "Das Vermächtnis eines Lebenskünstlers"
Aus dem Ungarischen von Clemens Prinz.
Kortina Verlag, 2006. 318 Seiten.

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Géza Hegedüs (1912-1999) hat zahlreiche historische Romane und literaturgeschichtliche Werke verfasst, schuf Dramen, Gedichte, Hörspiele. Er war ein Meister der kulturhistorischen Darstellung. Jahrzehnte lang unterrichtete er Dramengeschichte an der Ungarischen Schauspielhochschule in Budapest. Seinen Roman "Das Vermächtnis eines Lebenskünstlers" schrieb er im Jahre 1964.