Annette Diekmann-Müller: "Vertraute Exoten"
Gartenblumen aus aller Welt
Fremde
im Garten
Über die Lust am Gärtnern und dem Interesse an
Geschichte
Stellen Sie sich vor, der
Frühling
zieht ins Land, der Himmel
ist blau, und die
Sonne wärmt. Aber wo sind die Blumen und Blüten,
werden Sie sich vielleicht
erschrocken fragen, wenn Sie statt der gewohnten leuchtenden Farben nur
zaghaftes Grün und bescheidenes Weiß sehen.
Vielleicht beruhigt es Sie, wenn
Sie das fröhlich leuchtende Gelb der Märzenbecher und
Narzissen
erblicken,
aber wo ist das Gelb der Forsythien und wo die prachtvolle
Farbenvielfalt der Tulpen?
Später im Jahr mögen Sie sich wundern, dass weder
Pfingstrosen noch
Hortensien
zu finden sind, Balkone und Terrassen sind auffallend leer, so ganz
ohne
Pelargonien und Fleißige Lieschen. Die Folgen einer Klimaveränderung?
Mitnichten.
Sie wären aber in eine Zeit zurückversetzt, in der es
in den Gärten noch
keine "Ausländer" gab und der vor-neuzeitliche
mitteleuropäische
ursprüngliche Zustand wieder hergestellt ist. Sozusagen
befreit von den
Bio-Invasoren.
Dass viele unserer Gartenblumen nicht immer hier heimisch waren,
erstaunt
vielleicht weniger als die Tatsache, dass wir gerade viele dieser
importierten
Pflanzen als bodenständig und heimisch ansehen. Sie sind uns
so vertraut, dass
wir sie ganz selbstverständlich als Teil unserer Kultur
betrachten. Gehen wir
jedoch der Geschichte ihrer Herkunft und Verbreitung nach, landen wir
unversehens in einer Zeitreise rund um die Welt und quer durch die
Kontinente.
Eigentlich sollte uns schon beim Erwerb von Pflanzen die Unterscheidung
von
"winterhart" und "nicht winterhart" stutzig machen. "Nicht
winterhart" kann wohl nur ein Gewächs sein, das nicht aus
Mitteleuropa
stammt und seine Wurzeln in wärmeren Klimazonen hat, oder?
"Vertraute Exoten" nennt sie Annette Diekmann-Müller und
führt uns
unter diesem Titel in ihrem Buch mit leichter Feder durch deren
botanische und
unsere menschliche Geschichte.
Die botanische Reise in die Vergangenheit verweist auf ein
verblüffendes
historisches Muster: die Importierung von Pflanzen als scharfes
Spiegelbild der
Eroberung der Welt durch Europa. Vor 2000 Jahren waren es die Pflanzen
des
Mittelmeerraumes, die sich mit den Römern nach Norden
ausbreiteten, vor 450
Jahren kamen jene aus Vorderasien hinzu, die von den Handelsreisenden
und
Diplomaten mitgebracht wurden. Beinahe zeitgleich, also Mitte des 16.
Jahrhunderts, kamen im Zuge der großen Entdeckungs- und
Eroberungsreisen die
ersten mittelamerikanischen Pflanzen hinzu. Im weiteren Verlauf der
Kolonialisierung wurden dann sukzessive nordamerikanische, dann
afrikanische und
südamerikanische und schließlich ostasiatische sowie
australische Pflanzen
entdeckt und nach Europa als Schatz und Trophäe
eingeführt.
Die Zeittafel ihres Heimischwerdens ist praktisch ident mit der
Eroberung der
Welt durch Europa.
In diesem Sinne lädt Diekmann-Müller ihre Leser zu
einer botanischen
Entdeckungsreise ein, die in Vorderasien beginnt und über die
Teile Amerikas
nach Afrika und Asien führt und vom 16. bis ins 19.
Jahrhundert reicht, und bei
der eine kleine, aber feine Auswahl aus der Fülle der
"heimischen"
exotischen Pflanzen präsentiert wird. Tulpen und
Hyazinthen,
Sonnenhut und Phlox, Sonnenblume und Fuchsie, Gladiolen, Chrysanthemen
und Tränendes
Herz, um nur ein paar zu nennen, aber sie alle sind unverzichtbarer
Bestandteil
unserer Gärten. Es liest sich wie ein Register der Pflanzen,
garniert mit
Aha-Erlebnissen. Denn wer weiß schon, dass die
Gärten der
Azteken
jenen in Oberbayern gleichen?
Dahlie, Zinnie, Kosmee und Sonnenblume waren das Herzstück
aztekischer
Gartenkultur, als die spanischen Eroberer ins Land einfielen. In Europa
verlief
ihre Verbreitung unterschiedlich schnell, aber immer sozial gestaffelt,
also von
oben nach unten, von königlichen und adligen Park- und
Gartenanlagen über die
Gärten des wohlhabenden Bürgertums, bis sie
schließlich und mit großer
Zeitverspätung im ländlichen Bauerngarten und im
städtischen Schrebergarten
landeten. Erst dann waren sie endgültig zu "einheimischen"
Pflanzen
geworden.
Annette Diekmann-Müller, einer promovierten
Botanik-Historikerin, gelingt mit
diesem Buch ein besonderes Stück Gartenliteratur: Geschrieben
nicht für die
Fachwelt, sondern für Pflanzenliebhaber, Gartenliebhaber,
Gärtner und Gärtnerinnen,
aber trotzdem informativ und lehrreich im besten Sinn, dabei angenehm
und
interessant zu lesen und gleichzeitig auch eine Augenfreude. Es ist,
einfach
gesagt, ein schönes Buch.
Es könnte beinahe zu den bibliophilen Büchern
zählen, die nicht nur den
Inhalt übersichtlich gestalten, sondern ihn auch anschaulich
mit Zeittafeln und
geografischen Skizzen unterstützen und mit Fotos sowie
historischen
Illustrationen verfeinern. Es ist ein Buch, das sich wohl bestens
für eine Lektüre
unter idyllischen Umständen eignet - vor dem Kaminfeuer, neben
dem blühenden
Fliederbusch oder im kühlen Schatten eines Nussbaumes.
Jedenfalls legt man dann
das Buch mit dem behaglichen Gefühl beiseite, nun etwas mehr
über das
Geworden-Sein unserer Welt zu wissen.
(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 04/2009)
Annette
Diekmann-Müller: "Vertraute
Exoten. Gartenblumen aus aller Welt"
Jan Thorbecke Verlag, 2009. 144 Seiten.
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Noch
ein Buchtipp:
Eva Demski: "Gartengeschichten"
Mit farbigen Bildern von Michael Sowa.
Das Paradies ist in vielen Religionen ein Garten.
Unzählige Menschen wollen
schon im Diesseits so etwas haben. Von diesem Moment an stellt sich
jeden Tag
aufs neue die Frage: Hat der Garten uns, oder haben wir ihn? Seit Adam
und Eva
ist diese Frage von nicht geringer Bedeutung für das
menschliche Geschick. Auf
vielerlei Pfaden geht Eva Demski in ihrem Buch dem
Garten-Mensch-Verhältnis
nach, der kulturellen, sozialen, persönlichen Bedeutung von
Gärten, sie erzählt
vom Scheitern ebenso wie vom Glück des Gelingens, der
Erschaffung eines Stücks
Himmel auf Erden.
Was macht ein Garten im Krieg, wie rettet oder beendet er Ehen, was
sind
Gartenterroristen? Wie benimmt sich bildende Kunst im Garten, was
pflanzen
Menschenfeinde am liebsten an, und wie könnte Epikurs Garten
ausgesehen haben?
"Er hat mich mehr als einmal gerettet, der Garten: die Dinge
zurechtgerückt,
mich zum Lachen gebracht, wenn mir zum Heulen war. Er bereitet mir
Niederlagen,
aber er tröstet mich, wenn die Welt mir welche bereitet."
(Insel)
Buch
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