Einleitung
»Gott gebe Glück und Segen herein.« Mit diesem frommen Spruch haben Brauer seit Jahrhunderten ihre Arbeit aufgenommen – und Gottes Segen sowie eine Portion Glück haben sie auch gebraucht, wenn sie ein gutes Bier brauen wollten. Während nämlich der heutigen Wissenschaft keines der Geheimnisse von Keimung und Gärung, vom genetischen Potenzial der Rohstoffe über die Optimierung der Bierflasche bis hin zum weiten Feld von Geruch und Geschmack fremd ist, so hatten Bierbrauer noch vor eineinhalb Jahrhunderten bestenfalls eine Ahnung davon, was in ihren Kesseln und Bottichen, Fässern und Flaschen, letzlich im Krug oder Glas wirklich vor sich geht.
Und doch haben sie, wenn die alten Chroniken nicht trügen, ausgezeichnet schmeckende Biere gebraut, die unseren Ur-ur-Großvätern (und wohl auch den Ur-ur-Großmüttern) recht gemundet haben.
Würden diese Biere uns heute noch schmecken? Vielleicht – vielleicht aber auch nicht: Meinen nicht die Bayern, dass die Preussen »kein richtiges Bier« brauen könnten, denken nicht beide dasselbe von den Engländern und hegen nicht alle drei gemeinsam das Vorurteil, dass amerikanisches Bier insgesamt ungenießbar sei? Und doch kommen einige der besten Biere der Welt aus den USA, einige der traditionsreichsten Bierstile aus England. Und der »preussische« Pils-Stil ist überhaupt zum gängigsten Biertypus Deutschlands geworden – dabei stammt er eigentlich aus dem böhmischen Pilsen.
Glauben nicht die Österreicher, einer der ihren hätte das untergärige Bier erfunden, wundern sich nicht alle deutschen Österreich-Urlauber darüber, dass österreichische Märzenbiere etwas so ganz anderes sind als das, was man im Rest der Welt unter Märzen versteht? Jeder Österreicher wird darauf beharren, dass »sein« Märzenbier das einzig Wahre wäre, jeder Bayer wird widersprechen.
Aber vor 150 Jahren? Da bevorzugte man in Preussen »bayerisch Bier« – das war ein dunkles Lagerbier mit kräftigem Röstmalzaroma, wie man es heute selbst in München kaum finden kann (es sei denn, man bestellt das König Ludwig Dunkel aus der Schlossbrauerei Kaltenberg). Das Pils – genauer: das Pilsner – kam damals über die Grenzen Böhmens noch nicht weit hinaus; und es schmeckte auch anders als wir es heute von einem Pilsbier gewohnt sind, wahrscheinlich aber so ähnlich wie das seit 1842 gebraute Pilsner Urquell noch heute schmeckt. In England löste zu Mitte des 19. Jahrhunderts das helle Pale Ale die angestammten Porter Biere ab – von denen gleichzeitig die intensiver schmeckenden als Stout Porter und später nur mehr unter dem Begriff Stout neue Freunde fanden.
Man muss all das nicht unbedingt wissen, um sich ein Bier schmecken zu lassen – aber dieser im Frage-Antwort-Stil verfasste Katechismus soll eine kleine Anregung dazu sein, mit dem Bier kritischer, sachkundiger und (weil die meisten Biere das ja verdienen) auch liebevoller umzugehen. Und mit der Liebe zum Bier kommt die Liebe zum Bier-Wissen: Ja, es hat sich herumgesprochen, dass Krombacher derzeit die meistverkaufte Biermarke Deutschlands mit rund 5,1 Millionen Hektolitern ist. Aber die zweitmeist verkaufte? Das ist die Billigmarke Oettinger – hätten Sie’s gewusst? Haben Sie mitbekommen, dass sich Bitburger an den dritten Platz der deutschen Bierstatistik geschoben hat?
Wie gesagt: Man kann sein Bier auch genießen, ohne sich mit solchen Details zu befassen. Aber Freude macht es eben doch, im Kreis von Bierfreunden an der Bierbar über diese oder jene Besonderheit der Biergeschichte zu fachsimpeln. Dieses Buch sollte eine anregende Grundlage dafür sein.
Jawohl, es will belehren. Es will Sie ermutigen, sich durchzukosten: Wenn Sie in einem Lokal »ein Bier« bestellen, dann sollten Sie wissen, was Sie zu erwarten haben: Wenn Sie in Deutschland leben, dann wird es wahrscheinlich ein Pils sein: hell und mit schönem Schaum. Erfrischend und bitter. Bitter? Ja, natürlich: Pils ist ein Bitterbier. Aber es kommt natürlich darauf an, ob Sie Ihr Pils in Hamburg bestellen oder in Paderborn. In Hamburg ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie ein Ratsherren oder ein Jever bekommen – also ausgeprägt hopfenbetonte Biere. In Paderborn sind Sie im Heimatland des Warsteiner – das Bier, das man Ihnen servieren wird, wird wahrscheinlich viel milder gehopft sein als das, was Sie in Hamburg zu erwarten haben.
Der Pilsgeschmack variiert erheblich von einem Winkel der Republik zum anderen. Und nicht nur der Pilsgeschmack. Bestellen Sie in Bayern »ein Bier«, so ist es wahrscheinlich ein bayrisches Helles. Oder eines der kohlensäurearmen, aber stark gehopften »ungespundeten« Biere Frankens. Oder natürlich ein Weißbier. Oder, selten, aber doch zu finden: ein bayrisches Pils – das aber dann oft einen ganz anderen Eindruck macht als das, was wir in Dresden oder Dortmund zu finden gewohnt sind.
Können die Bayern kein anständiges Pils brauen? Natürlich können sie. Schließlich hat einer der Ihren das Pilsbier sogar erfunden. Aber da gibt es lokale Brautraditionen und lokale Geschmacksgewohnheiten. Und Trinkgewohnheiten: Ein »großes Bier« ist in München oft eine Maß – in Frankfurt gelegentlich nur 0,3 Liter.
Man kann dieses Buch natürlich auch von vorne nach hinten lesen – als eine Art Lehrbuch zur Vertiefung des Bierwissens. Denn gerade bei uns im deutschen Sprachraum ist das Bierwissen nur sehr oberflächlich. Man weiß: Es gibt ja genug gutes Bier – und wenn das eine nicht schmeckt, dann gibt es allein in Deutschland noch ein paar Tausend andere Biere, auf die man ausweichen könnte.
Braucht man mehr Bierwissen? Ja, man braucht es. Denn richtige Biertrinker sind immer auch Besserwisser: Leute, die steif und fest behaupten, dass sie den butterartigen Ton des Bieres so lieben – obwohl das in den meisten Bieren ein Geschmacksfehler ist. Leute, die sich als Pilstrinker bezeichnen – und gleichzeitig darauf beharren, dass Pils aber nicht bitter sein dürfe. Aus einer Umfrage des österreichischen market-Instituts geht hervor, dass 35 Prozent der Pilstrinker bitteres Bier absolut ablehnen. Die Werte für Deutschland dürften nicht viel anders aussehen, wie eine Untersuchung der Marketing-Gesellschaft CMA nahe legt: Auf die Frage woraus Malz entsteht, antworteten 79 Prozent der Befragten richtig. Beim Hopfen wussten gar 93 Prozent der Befragten, dass er unverzichtbar in ein Bier gehört – aber nur 59 Prozent konnten sagen, dass Hopfen Bier bitter macht. Brauwasser nannten nur 83 Prozent der Verbraucher als Bierbestandteil. Und dass Bierhefe zur Vergärung des Malzzuckers nötig ist, gaben nur 70 Prozent der Biertrinker an.
Besserwisserei ist nicht unbedingt etwas Negatives. Wenn man es wirklich besser, also: richtig weiß.
Daher noch ein Wort zur Unfehlbarkeit: Als Bierpapst beanspruche ich keinesfalls Allwissenheit – die ist Gott alleine vorbehalten. Dieser Katechismus gibt bloß den bestmöglichen Wissensstand aus der Sicht des Jahres 2005 wieder. Auch Päpste können sich irren, können von der Geschichte oder einem Konzil eines Besseren belehrt werden. Bei Gefahr im Verzug gilt in einem schwer wiegenden Glaubensstreit aber die Lehrmeinung des Papstes.
Ich habe sie niedergeschrieben, um eine möglichst große Zahl von Biertrinkern zu möglichst großem irdischem Glück zu führen.
Prosit – es möge nützen!
Conrad Seidl
aus Conrad
Seidl: "Bier-Katechismus. Was Sie schon immer über Bier wissen wollten"
In seinem neu überarbeiteten "Bier-Katechismus" erläutert der
"Bierpapst" alle Fragenrund um das beliebteste Getränk im deutschen
Sprachraum und entlarvt dabei Irrlehren über das Alter von Altbier
ebenso wie über die Sieben-Minuten-Regel für die Zapfkultur. Voll
Insiderwissen, mit großer Sachkenntnis und Liebe zu skurrilen Details
geschrieben, ist Seidls "Bier-Katechismus" ein Muß für Stammtischrunden
und andere Bierliebhaber. (Deuticke)
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