Eileen Chang: "Das Reispflanzerlied"
Zerstörte
Hoffnungen im ländlichen
China der 1950er-Jahre
In einem tristen chinesischen Bauerndorf findet während des
Krieges gegen Korea
eine Hochzeit statt. Alle traditionell Beteiligten haben sich
Mühe gegeben,
Ehre einzulegen, was angesichts der fatalen wirtschaftlichen Lage nicht
einfach
ist.
Der Bruder der Braut, Jin'gen, erwartet seine Frau Yuexiang aus
Schanghai zurück,
wo sie drei Jahre lang gearbeitet hat. Jin'gen und Yuexiang lieben
einander sehr
und haben eine kleine Tochter, die während der
zwangsläufigen Trennung bei Jin'gen
gelebt hat. Dieser hat bei der Bodenreform Grundbesitz erhalten und
wurde von
der regierenden Kommunistischen Partei für seine Arbeit
ausgezeichnet. Als
Yuexiang mit etwas Erspartem zurückkehrt, um, ganz im Sinne
Maos, in der
Landwirtschaft mitzuarbeiten, sollte das Glück der kleinen
Familie eigentlich
perfekt sein.
Doch Yuexiang sind wichtige Entwicklungen verborgen geblieben. So
versteht sie
nicht, warum es kaum Reis für den täglichen Bedarf
der Bauern gibt, wenn doch
eine gute Ernte erzielt wurde. Sie muss mit dem wenigen Reis streng
haushalten
und kann der Familie somit stets nur dünne Reissuppe bieten,
wie es sie auch in
allen anderen Familien gibt. Beklagt sich Jin'gen bitter, er wolle
dicken, körnigen
Reis statt der Suppe, führt dies unweigerlich zum Streit, und
als die kleine,
wie die Eltern hungernde Tochter sie ständig um Essen
anbettelt, beginnt
Yuexiang, sie zu schlagen. Die Stimmung im Dorf wird nicht besser, als
ein
Drehbuchautor bei Jin'gens Familie einquartiert wird, der das Leben der
Bauern
teilen und dokumentieren möchte. Yuexiang beobachtet, wie er
heimlich in der
Stadt gekaufte Köstlichkeiten verzehrt.
Es kommt zum Eklat, als die Not leidenden Bauern ihre letzten Schweine
für die
im Koreakrieg aktiven Soldaten und deren Familien opfern sollen. Obwohl
die
Reisspeicher voll sind, erhalten sie, die immer hungrig sind, keinen
Ersatz für
die diesmal nicht einmal mehr mit vorgeblicher Freude gespendeten
Fleischlieferanten. Der daraus resultierende blutige Aufstand ist eine
Bankrotterklärung für das neue System, vermag dem
Drehbuchautor jedoch
interessante Anregungen zu liefern, wenngleich eine Verdrehung der
Motivation im
Sinne Maos unumgänglich ist.
Anschaulich, mit klaren Worten, beschreibt die 1920 geborene und 1995
verstorbene, nach kurzer Zeit unter dem kommunistischen Regime nach
Hongkong
ausgewichene Autorin die Situation in einem gewöhnlichen
chinesischen Dorf
Anfang der 1950er-Jahre. Ohne je explizit Gegenpropaganda gegen die
Kommunisten
zu betreiben, weist sie auf die bereits zur Frühzeit von Maos
Regierung
auftretenden Missstände hin, insbesondere das Problem der
hungernden Landbevölkerung.
Es ist vor allem der ständige Hunger, der die Ehe von Jin'gen
und Yuexiang
zerstört, und auch die kaum weniger permanente Bespitzelung
durch Funktionäre
tut ein Übriges, um dem Leben der beiden die wenigen
angenehmen Seiten zu
nehmen, die vor allem auf der zunächst noch vorhandenen Liebe
beruhen.
Die Figuren werden mit wenigen Strichen und scharfer Beobachtungsgabe
gezeichnet; sie charakterisieren sich selbst durch ihr Tun und ihre
Dialoge.
Eine ausgefeilte, differenzierte Handlung im eigentlichen Sinne gibt es
nicht,
wenig geschieht, wenn man von einer Rückblende des
Dorffunktionärs absieht,
die dessen Auftreten und Rolle erklärt und ein Stück
weit entschuldigt.
Eine besondere Figur stellt der Drehbuchautor dar. Man ist versucht, in
ihn eine
pauschale Verkörperung der Käuflichkeit der Kunst
hineinzuinterpretieren,
betrachtet man seine schalen Versuche, das Leben der Bauern ohne
Abstriche zu
teilen, die zur reinen Farce geraten, als er beginnt, heimlich zu
essen, und
seine Überlegungen, wie er das Beobachtete, im Grunde eine
himmelschreiende
Ungerechtigkeit den Bauern gegenüber, regimekonform zu Stoff
für ein Drehbuch
umzugestalten.
Selten wagten es chinesische Autoren, dieses Thema zur Grundlage eines
Romans zu
machen. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass sich mit Eileen Chang
eine
ausgezeichnete Erzählerin zeitnah damit auseinandergesetzt hat.
Von "Das Reispflanzerlied" hat es bereits eine Übersetzung
gegeben,
die, in veraltetem Deutsch gehalten, offensichtlich nicht als
sonderlich glücklich
bezeichnet werden kann. Die im Verlag Claassen erschienene
Neuübersetzung liest
sich angenehm und zeitgemäß und vermag es, die
düstere Stimmung und die unter
der ruhigen Fassade brodelnden starken destruktiven Gefühle
sehr intensiv
darzustellen.
Ein Buch, dessen Stil auf den ersten Blick kühl und dessen
Inhalte zunächst
banal wirken - bis der Leser das erwähnte Brodeln zum ersten
Mal erfasst. Ein
solches Zeitzeugnis ist keine leichte Lektüre, definitiv
jedoch eine wertvolle.
(Regina Károlyi; 08/2009)
Eileen
Chang: "Das Reispflanzerlied"
(Originaltitel "The Rice Sprout Song")
Übersetzt
von Susanne Hornfeck.
Claassen, 2009. 222 Seiten.
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Eileen
Chang, eigentlich Zhang
Ailing, 1920 geboren, ist eine der wichtigsten Erzählerinnen
der Moderne. Ihr
literarischer Ruhm begann im von Japan besetzten Shanghai. 1952 zog sie
nach
Hongkong, da ihre Texte nicht dem kommunistischen
Literaturverständnis
entsprachen. 1955 wanderte sie in die USA aus und
veröffentlichte "Das
Reispflanzerlied". Sie starb 1995 in Los Angeles.
Ein weiteres Buch der Autorin:
"Gefahr und Begierde. Erzählungen"
Eileen Chang, Berühmtheit der Shanghaier Literaturszene der
1940er-Jahre, war
im kommunistischen China jahrzehntelang verfemt. Heute wird sie
weltweit als
literarische Wiederentdeckung gefeiert. Ihre Erzählungen
halten den
verzweifelten Lebenswillen der chinesischen Metropole fest und bewahren
eine
versunkene Welt vor dem Vergessen.
Shanghai ist von den Japanern eingenommen. In einem Café
wartet nervös eine
junge Frau auf den Mann, mit dem sie ein Verhältnis hat: Lao
Yi, der mächtige
Geheimdienstchef der japanischen Marionettenregierung, soll in dieser
Nacht
sterben. Die junge Frau soll ihn verraten. Als er vor ihr steht,
erkennt sie,
dass sie ihn liebt. Sie warnt ihn, und er flieht rechtzeitig. Sie wird
verhaftet
und hingerichtet. Die von Ang Lee verfilmte Erzählung Gefahr
und Begierde fängt
das Leben in einer besetzten Stadt ein - wie auch Eileen Changs andere
Geschichten aus dem Shanghai der 1940er-Jahre. (List)
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Weitere
Buchtipps:
Petra Kolonko: "Maos Enkel. Innenansichten aus dem neuen China"
China ist im Aufbruch. Doch in welche Richtung geht der Wandel? Wie
fühlt es
sich an, heute im Reich der Mitte zu leben? Petra Kolonko zeichnet in
diesem
Buch ein einfühlsames und lebensnahes Porträt des
neuen China, wie es nur
jemand tun kann, der das Land seit Jahrzehnten von innen kennt. Maos
Enkel sind
konsumorientiert, surfen im Internet und treffen sich in
Cafés. Gleichzeitig müssen
sich viele als Wanderarbeiter verdingen, leiden unter korrupten
Managern und
Parteifunktionären. Widersprüchlichkeit ist das
Kennzeichen des Landes. Während
die Städte blühen, die Superreichen im Luxus
schwelgen und die Mittelschichten
bescheidenen Wohlstand anhäufen, sind die Bauern die Verlierer
der
Modernisierung.
Die Wachstumsraten sind durch schwere Umweltschäden erkauft,
die
Ein-Kind-Politik stoppt die Bevölkerungsexplosion,
führt aber auch zu einer
zunehmenden Überalterung der Gesellschaft. Ansätzen
einer Zivilgesellschaft
stehen das ungebrochene Machtmonopol der kommunistischen Partei und
zahlreiche
Menschenrechtsverletzungen gegenüber. Wer sich nicht mit den
gängigen
Stereotypen über China zufrieden geben will, für den
blickt Petra Kolonko in
diesem Buch hinter die Kulissen und beschreibt die
Lebensrealität des neuen
China. (C.H. Beck)
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Sabine
Dabringhaus:
"Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert"
Die Schwelle zum dritten Jahrtausend ist durch den dramatischen
Aufstieg Chinas
zur Supermacht gekennzeichnet.
Sabine Dabringhaus erzählt die Geschichte eines Landes, das
zwischen Tradition
und Moderne, Freiheit und Unterdrückung, Staatskommunismus und
Raubtierkapitalismus einen einzigartigen Weg durch das 20. Jahrhundert
gesucht
hat.
Vom Untergang der letzten Dynastie im Jahr 1911, dem
überschäumenden
Nationalismus der zwanziger und dreißiger Jahre, bis hin zu
Mao Zedongs
Kulturrevolution und der wirtschaftlichen Liberalisierung haben sich in
China
tiefgreifende kulturelle und gesellschaftliche Umbrüche
vollzogen. China im 20.
Jahrhundert war ein Land der Gegensätze im Zeitalter der
Extreme.
Auch die aktuellen Probleme - Umweltverschmutzung, Korruption und
Zensur -
lassen sich nur vor dem Hintergrund des letzten Jahrhunderts verstehen.
Sabine Dabringhaus spürt den grundlegenden Kräften
der chinesischen Geschichte
nach und zeichnet das Porträt einer unruhigen Epoche, deren
Verständnis auch
ein Schlüssel für die Gegenwart und Zukunft der neuen
Weltmacht ist. (C.H.
Beck)
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Ferdinand
von Richthofen:
"Entdeckungsreisen in China. Die Ersterforschung des Reiches der
Mitte"
China ist im Gespräch. In zahlreichen Publikationen wird und
wurde immer wieder
der Versuch unternommen, für den Abendländer
schwerbegreifliche Entwicklungen
aufzuhellen oder gar die Zukunft zu deuten. Als Ferdinand von
Richthofen 1872
nach insgesamt zwölf Jahren ausgedehnter Forschungsreisen im
ostasiatischen
Raum wieder nach Deutschland zurückkehrte, entstand in der
Folge der Veröffentlichung
seiner Forschungsergebnisse in der westlichen Welt ein neues und
differenziertes
Bild von China. Zwischen 1868 und 1872 bereiste Richthofen auf sieben
Reisen 13
der damals 18 Provinzen Chinas. Er durchwanderte Gebiete, die bis dahin
kaum ein
Europäer betreten, geschweige denn wissenschaftlich erforscht
hatte. Wegen der
politischen Unruhen im Lande musste Richthofen verschiedene Gebiete
meiden und
sich außerdem eine zeitlang nach Japan zurückziehen.
Was könnte indes mehr
zum Verständnis des modernen Chinas beitragen als der erste
wissenschaftlich
fundierte Originalbericht über dieses Land und sein Volk - zu
einer Zeit
verfasst, als China und besonders sein Landesinneres noch im wahrsten
Sinne des
Wortes "chinesisch" waren. Richthofen legte mit seinem Bericht einen
wichtigen Grundstein zur wissenschaftlichen Erschließung
Chinas und zeigte
Richtungen für die Entwicklung von Wirtschaft, Handel und
Verkehr auf.
Richthofens Stellung als angesehener Hochschullehrer an den
Universitäten Bonn,
Leipzig und vor allem Berlin und als einflussreicher Wissenschaftler
haben seine
Chinaforschungen weiten Kreisen nahegebracht. Die vorliegenden Berichte
des
bedeutendsten China-Forschers des 19. Jahrhunderts und "Nachfahren"
Marco Polos, Ferdinand von Richthofen, sind vor allem deshalb von
besonderem
Interesse, da sie China in seiner unverfälschten und
ursprünglichen Gestalt
einfangen. (marixverlag)
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Peter
Hessler: "Über
Land. Begegnungen im neuen China"
Im Sommer 2001 legt Peter Hessler, langjähriger
Peking-Korrespondent des
"New Yorker", die chinesische Führerscheinprüfung ab
- als einer von
täglich über 1000 Fahranfängern allein in
der Hauptstadt. Dank der neu
gewonnenen Mobilität wird er in den folgenden Jahren
unmittelbar Zeuge der
enormen Veränderungen, welche die einsetzende
Autohochblüte und der rasante
Ausbau der Verkehrsinfrastruktur für das Land und für
seine Menschen bedeuten.
So folgt er zunächst mit dem Auto über Tausende
Kilometer dem Verlauf der
mythenumwobenen Großen Mauer westwärts,
häufig auf einfachen Landstraßen und
weit und breit der einzige Ausländer. So abgelegen, karg und
dünn besiedelt
die Provinzen im Nordwesten sind, ganz allmählich
eröffnen neue Straßen neue
Perspektiven. Dann richtet Hessler den Blick auf Sancha, ein
abgelegenes Dorf im
Dunstkreis Pekings, in das er jahrelang regelmäßig
pendelt. Es wird ihm zu
einer zweiten Heimat, und aus nächster Nähe erlebt er
mit, was die beginnende
touristische Erschließung des Ortes an Problemen und
Möglichkeiten für die
Bewohner dieses Mikrokosmos mit sich bringt. Am Beispiel einer Fabrik
im südöstlichen
China schildert er schließlich nicht nur, wie der Bau einer
Autobahn eine ganze
Region in kürzester Zeit buchstäblich umkrempelt. Wie
in einem Brennglas
werden hier auch all die Hoffnungen und Enttäuschungen, der
Aufbruch und der
gnadenlose Konkurrenzkampf sichtbar, die mit dem chinesischen
"Wirtschaftswunder" einhergehen.
Selten wohl hat man einen so unmittelbaren, atmosphärisch
dichten Einblick in
das heutige China gewinnen können wie in diesem Buch. Mit
einem
bewundernswerten Gespür für Gesten und
Zwischentöne, für die Komik und
Dramatik des Alltags erzählt Hessler von seinen Begegnungen
mit höchst
unterschiedlichen Menschen. (Berlin Verlag)
Buch
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