Wolfgang Milan: "Die schönsten Dörfer Österreichs"

Die Elemente bäuerlicher Dorfkultur zu erleben - noch heute bodenständige Traditionen wahrzunehmen - die Vielfältigkeit österreichischer Dorf- und Hauslandschaften kennen zu lernen, dazu will dieses Buch seinen Beitrag leisten.


Wenn Wolfgang Milan im Zusammenhang mit ländlichen Siedlungsweisen von "schönsten Dörfern" schreibt, also den Begriff des "Schönen" tangiert, so spricht aus seinen Worten ein Gestus der Bescheidenheit, weil - denkt man "das Schöne" im herkömmlichen Sinne als kokettes Gehaben - die von ihm zur Anschauung gebrachten Objekte in aller Regel nicht wirklich immer nur schlechthin schön sind. Suggeriert der Begriff des Schönen doch allemal noch ein gewisses Maß an Unzweckmäßigkeit und Opulenz, wie sie der bäuerlichen Dorfkultur, als einer Kultur der Selbstbehauptung im Kampf mit Naturkräften, die also dem Primat des Zweckhaften verpflichtet war, jedoch keineswegs per se zu eigen ist. Besser gewählt wäre es deswegen vielleicht, im Zusammenhang mit gegenständlichen Dorf- und Hauslandschaften von faszinierenden Eigentümlichkeiten zu sprechen, oder auch von trüben Wesenhaftigkeiten, die, eingebettet in das Naturschöne, Ausdruck eines zur Symbiose gelangten schlichten Zweck- und Geschmacksempfindens sind. Doch handelt es sich hierbei nur um eine im Grunde doch rein semantische Irritation, die nicht an der hehren Absicht der Betrachtung einer wie immer gearteten dörflichen Schönheit zu rütteln vermag. Schön ist ja letztlich, was im Auge des Betrachters zur Schönheit wird.

Milan geleitet den Leser anhand seines prachtvoll illustrierten Bildbandes durch die Kulturlandschaften österreichischer Siedlungsart, wobei sich seine Betrachtungsweise eher konventionell anmutet und zuweilen, dieser Vorwurf kann an dieser Stelle nicht ausgespart bleiben, an Werbeprospekte der Tourismuswirtschaft gemahnt, was jedoch gegenständlich keinesfalls mit dem Vorwurf gleichgesetzt werden dürfte, das Buch sei primär im Geiste strategischer Opportunitätserwägungen verfasst worden. Die fruchtbringende Zusammenarbeit mit der Zentrale der "Österreich Werbung" wird auch gar nicht geleugnet, sondern im nachgefügten Dankeswort dem Leser eingestanden. Wie denn auch spätestens die Kritik an den unschicklichen Überbauungen in den Stammersdorfer Kellergassen bei Wien den allemal argwöhnischen Rezensenten eines Besseren belehrt haben sollte. Eine Beeinträchtigung des Kritikvermögens lässt sich jedenfalls nicht so einfach konstatieren; die eventuell gegebene Anlehnung an dem durch die "Österreich Werbung" zur Verfügung gestellten speziellen Prospektmaterial ist für sich betrachtet noch nichts Verwerfliches und im Einzelfall wohl auch als zweckdienlich angeraten. Jeder Autor arbeitet schlussendlich mit Quellenmaterial der unterschiedlichsten Art. Keine Erkenntnis fällt vom Himmel.
 
Beginnend im äußersten Westen der Alpenrepublik, im Bregenzerwald, streift der Ästhet und Freund volkstümlicher Kleinodien, Wolfgang Milan, also dann von Ort zu Ort durch die Bundesländer hindurch in Richtung Osten, beschreibend, informierend, hin und wieder vor kleinen Schönheiten in kontemplativer Anschauung verharrend. Eine Reise, die ihn schlussendlich in die Dorfidyllen der Stadtrandgebiete Wiens führt, wo der Spaziergang durch die Welt österreichischer Volksarchitektur im leider partiell schon ziemlich verschandelten Stammersdorf endet. Bitter beklagt Milan dann auch an dieser Stelle die Anlage fantasieloser Gastgärten in den beiden Kellergassen, die von Stammersdorf in Richtung Bisamberg führen. Bauliche Verfehlungen, die des Betrachters Schönheitsempfinden quälen und ausgelassene Gesellschaften dazu einladen, mit lautem Gejohle und Gekreisch den optischen Verunstaltungen auch noch akustische hinzuzufügen. Milan beschließt somit sein Buch mit der zornigen Feststellung: "Von Ensembleschutz ist hier, im Gegensatz zu Grinzing oder Sievering, keine Rede mehr". Das Buch sei folglich insbesondere den Heurigenwirten in Wien Stammersdorf auf das Wärmste empfohlen. Es möge sie läutern und zur Umkehr bewegen.  

Wie man sieht, und Milan verdeutlicht dieses - wenn auch unausgesprochen - an wiederholten Beispielen, umfasst eine gediegene Ethik des Umweltschutzes nicht nur Natur- sondern auch Kulturräume. Diesem Bewusstsein eine Förderung angedeihen zu lassen, ist zwar nicht Milans vorgebliche Absicht, sein Buch ist einfach nur beschreibend verfasst und gleicht keineswegs einem lebensraumökologisch motivierten Strafgericht, doch scheint auch die Deutung, über die bloße Darlegung des Reizvollen den Sinn dafür zu schärfen, nicht ganz verfehlt. Wird doch gerade an der Beschreibung ländlicher Siedlungsstrukturen die Wechselwirkung zwischen Natur und Kultur nur zu deutlich. Ursprüngliche Haus- und Siedlungsformen, die verschiedenen Typen davon (Haufenweiler, Kirchweiler, Streusiedlung, u.a.m.)  werden von Milan auf einer der letzten Seiten dargestellt, sind in die Natur wie auch in Muster sozialen Lebens harmonisch eingepasst und fallen nicht unangenehm als Fremdkörper auf. Eine Eingepasstheit, die wohl insgesamt zur Stabilisierung von sozialen Lebensformen beitragen kann. Und wer gelernt hat, das Einzigartige in seinem ästhetischen Wert zu erkennen, wird es zu erhalten trachten, mitsamt seinem korrespondierenden Umfeld.

Wiederholt stimmt Milan ein Loblied dem Willen zur Tradition an, womit er das Bemühen um Erhaltung regionstypischer Dorfbilder meint, wie auch den bewussten Verzicht auf stillose Überbauungen und Verunzierungen gewachsener Bausubstanz. Ensembleschutz heißt in diesem Zusammenhang das Zauberwort. Die Errichtung von ungetümlichen Touristenkasernen ist jedenfalls in diesem Zusammenhang unstatthaft, da der historisch gewachsenen Eintracht verschiedener architektonischer Elemente noch allemal schädlich. Eine Problematik, derer man sich in Österreich offenbar im Großen und Ganzen doch schon bewusst ist, und zwar nicht nur in Regionen, in welchen sich die Errichtung teurer Beherbergungsburgen sowieso nicht rechnen würde, sondern auch an malerischen Orten und Tourismusmagneten wie Hallstatt im Salzkammergut, wo jede unmäßige Kommerzialisierung nur zu rentabel wäre; eine Enthaltung von dieser Versuchung der Ausbeutung von Volkstum und Naturschönheit bekundet sich also geradezu als eine über die Abwesenheit des Hässlichen und Bombastischen anschaulich werdende Tugend. Milan preist folglich auch den Traditionswillen der Hallstätter, die ihr Ortsbild nicht einer willkürlichen Zerstörung im Namen einer uneingeschränkten Vermarktung anheimfallen lassen. Eine Standhaftigkeit, die von der UNESCO im Jahre 1997 mit der Aufnahme Hallstatts in die "Liste des Weltkulturerbes" honoriert wurde.

Keine Frage, Hallstatt ist nicht nur ein Ort von alter Kultur (eine ganze prähistorische Menschheitsepoche, die Hallstattzeit, leitet von Hallstatt ihre Bezeichnung ab), sondern eben auch von berauschender Schönheit, doch nicht alle von Milan vorgestellten Ortschaften sind von so eindeutig gefälliger Beschaffenheit wie Hallstatt. Der Leser sollte sich vielleicht selbst ein Bild darüber machen. So manche der von Milan zur Ansicht gebrachten schönsten Siedlungen wirkt doch viel mehr gar öde und bedrückend trübe, was wieder einmal an die Fragwürdigkeit des ästhetischen Vokabulars vom Schönen gemahnen sollte. Und das wohl insbesondere in Zusammenhang mit dem spröden Charme volkstümlicher Architektur, dessen mit seiner Errichtung verbundenes vorzüglichstes Bestreben seltenst dem Zweck des Schönen geweiht war. Wie eingangs schon klargestellt, kommt hier ein nicht alltäglicher Schönheitsbegriff zur Anwendung, der sich viel mehr an der Anmut einer schlichten Wesenhaftigkeit, denn an platter Gefälligkeit orientiert. Eine Ortschaft wie Kohfidisch, im südlichen Burgenland, wirkt eigentlich auf den ersten Blick hin armselig und schmucklos, und doch ist es dann wohl insbesondere dieses gänzlich eigenständige Erscheinungsbild, jenes erst in der stillhaltenden Betrachtung zutage tretende Element einer gleichermaßen gedrückten wie unaufdringlichen Grazie, das, auch nach dem Dafürhalten des Autors, diese Kulturlandschaft des jüngsten Bundeslands Österreichs zu einer wertvollen Bereicherung werden lässt. Das Burgenland, mit seiner anspruchslosen Volksarchitektur, unterscheidet sich in dieser Hinsicht übrigens fundamental von westlichen Bundesländern, wo man mehr einem blumigen Frohsinn frönt und das barocke Gemüt den zierenden Schnörkel liebt. Auffallend ist dieser sinnfällige Kontrast zwischen der barocken Sinnenfreude westösterreichischer Bau- und Lebensstile im Vergleich mit der umfassenden Kargheit ostösterreichischer Selbstgenügsamkeit. Blumenpracht hier, blanke Öde dort, was wohl auch eine Frage der Ökonomie sein dürfte. Die touristische Vermarktung der Alpen und ihrer Seenlandschaften brachte den Bewohnern jener Regionen Reichtum ein. Wobei sich, bei Betrachtung des Bildmaterials, der Reichtum nicht immer unbedingt zur ästhetischen Wohltat entfaltete. So birgt die Ortschaft Bramberg am Wildkogel, im Pinzgau, zwar so manches Juwel in sich, z. B. reizvolle Gehöftgruppen, hingegen der Gesamtanblick infolge unübersehbarer Bausünden schlicht und ergreifend trostlos ist. Und auch im Salzkammergut hat der Massentourismus gelegentliche Spuren der Verwüstung hinterlassen, woran auch das beeindruckende hochalpine Ambiente nichts ändern kann. Eine Kritik, der sich Wolfgang Milan nur sporadisch anschließt, etwa wenn er beklagt, dass mitten durch die Beschaulichkeit des Ortskerns von Traunkirchen eine stark befahrene und äußerst störende Bundesstraße führt. Vorwiegend, und auch diesmal beschränkt sich Milan auf die Betrachtung des Reizvollen wie Sehenswerten, im konkreten Fall Traunkirchens, auf die Erwähnung der Denkmäler einer verflochtenen Zeit, in der "die Reichen, die Adligen und Künstler" Bauten in die Ortsbilder des Salzkammerguts einflechten ließen. Hierin leisteten diese Angehörigen der gesellschaftlichen Eliten ihrem Kaiser Franz Joseph Gefolgschaft, welcher in Ischl seine Sommerresidenz eingerichtet hatte und solcherart eine Entwicklung einleitete, die den dörflichen Charakter des Salzkammerguts über die Errichtung von Villen nachhaltig veränderte. Mittels der dem Text beigefügten Fotografien zeigt Milan jedoch nicht etwa die von Theophil Hansen errichtete und in der Kulturlandschaft sehr eigenwillig anmutende "Russenvilla" oder irgendwelche der anderen Villen (das alte Holzknechthaus wird schon einmal der prunkvollen Villa vorgezogen), sondern ein Haus volkstümlicher Bauart aus dem nahe bei Traunkirchen gelegenen Ort Viechtau, das dort als Heimatmuseum dient, weiters die berühmte "Fischerkanzel" aus der renovierten Klosteranlage Traunkirchens, und natürlich mehrere Aufnahmen von der malerischen Schönheit der Seenlandschaft des Salzkammerguts, die, wie Dietmar Grieser mit seinem Buch "Nachsommertraum" ausführte, seit dem beginnenden 19. Jahrhundert alle möglichen Klassiker des Geistesschaffens in ihren Bann zog, was den Volkscharakter und das Volkstum leider nachhaltig verfremdet hat. Eine Selbstentfremdung, die dem kulturellen Charakter des Südburgenlands oder auch des niederösterreichischen Waldviertels zum Glück erspart blieb, weshalb der Liebhaber unverfälschten Volkstums in diesen Regionen wohl eher noch Spuren autochthoner Kulturelemente antreffen wird, was in Milans Buch vermittels eines reichlichen Bildmaterials eindrücklich zur Anschauung gebracht ist.

Wer nun also einen Sinn für den Zauber bäuerlich geprägter Kulturlandschaften bei sich zu entdecken vermeint und es liebt, sein Augenmerk den "unscheinbaren Dingen", wie Zäunen, Heuständern, Balkonen und Dachreitern, zu schenken, dem sei diese Hommage an ein traditionsverwurzeltes Landleben wärmstens empfohlen. Abschließend bleibt noch zu vermerken, dass das Buch reichliche Informationen über Museen, Ausflugsmöglichkeiten und sonstige touristische Attraktionen rund um die vorgestellten Dörfer enthält. Eine Vielzahl von Website-Adressen ermöglichen es dem Leser, sich über das Internet weitergehend in den Gegenstand zu vertiefen, und sollte ihn dann die Reisewut gepackt haben, finden sich auch gleich zu jeder Ortschaft die entsprechenden Telefon- und Faxnummern, sowie E-Mailadressen der örtlichen Tourismusverbände, Gemeindeämter oder sonstiger Informationsstellen. Was gegebenenfalls doch recht nützlich sein kann, deswegen auch keineswegs in reflexhafter Manier mit Geringschätzung geächtet werden sollte. Denn man bedenke, dass es sich bei den wenigsten der literarisch besuchten Dörfer um typische Tourismuszentren handelt, weshalb etwaige Reisen dorthin gewissenhaft vorbereitet werden sollten. So bleibt nun nur noch, dem Leser viel Spaß bei seiner Reise durch die schönsten Dörfer Österreichs zu wünschen.

(Harald Schulz; 11/2003)


Wolfgang Milan: "Die schönsten Dörfer Österreichs"
Leopold Stocker Verlag, 2003. 312 Seiten, 450 Fotos.
ISBN 3-7020-0983-3.
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