Birgit Lahann, Ute Mahler (Fotos): "Schiller"
Rebell aus Arkadien
"Das
Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte
Fäuste, heisere Aufschreie im Zuschauerraum. Fremde Menschen
fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht
nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie
im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht."
So lautet ein Augenzeugenbericht über die denkwürdige
Uraufführung Schillers Erstlings "Die Räuber"
in Mannheim, die den Dichter über Nacht berühmt - und
berüchtigt - machte. Lange hatte Schiller dagegen zu
kämpfen, ausschließlich mit diesem Jugendwerk in
Verbindung gebracht zu werden.
"Wunderliche Ausgeburten applaudieren ihm", und gelesen wird er "von
wilden Studenten" wie "von der gebildeten Hofdame". An despektierlichen
Aussagen Goethes über den "Räuber-Dichter" mangelt es
nicht. "Schiller
war mir verhasst", schrieb Goethe in seinen Erinnerungen.
Jahre sollten nach dem ersten äußerst unergiebigen
Aufeinandertreffen
vergehen, bis zwischen beiden Männern die berühmteste
Dichterfreundschaft aller Zeiten entstand, bis Goethe und Schiller als
Dioskurenpaar von Weimar nicht nur in die Literaturgeschichte eingingen.
Aus Sicht der Nachwelt erscheint es eher umgekehrt, nämlich
dass der
"klassische", im Banne des älteren und berühmteren
Zeitgenossen, des
Dichterfürsten stehende Schiller den frühen, wilden
und ungezügelten
Sturm-und-Drang-Dichter weitestgehend verdrängt hat, sehr zum
rezeptionsgeschichtlichen Nachteil des Gesamtwerkes. Was blieb an Seite
Goethes viel zu erwarten, als die Rolle des kleineren Bruders, als
Anhängsel, bestenfalls als selbstloser Erwecker des Denkmal
Goethes?
Diese Anschauung gipfelt etwa in der Herablassung Nietzsches, der
Schiller als für nicht würdig erachtete, mit Goethe
in einem Atemzug
und nur durch das Wörtchen "und" getrennt genannt zu werden.
"Goethe
und Schiller" sei also Goethen unwürdig.
Dass dies blanker Unsinn ist, steht glücklicherweise nicht
erst seit dem Schiller-Gedenkjahr fest, in welchem der Jubilar ohnehin
gegen die übermächtige Konkurrenz eines
Kernwaffenbefürworters schwer zu kämpfen hat.
Idealismus scheint heute weniger denn je gefragt zu sein. Immerhin
verdanken wir diesem Anlass Birgit Lahanns Buch, in welchem sie das
Leben des Dichters "spannend, sinnlich, szenisch und detailgetreu"
(Umschlagklappentext) erzählt, gleichzeitig ein wenig
konzentriert und mitunter atemlos wirkend, vor allem durch die
Verwendung des sehr journalistisch anmutenden Präsens und
durch knappe, mitunter unvollständige Sätze. Und
tatsächlich handelt es sich bei der Autorin, nebenbei einer
ausgebildeten Germanistin und Theaterwissenschafterin, um eine seit 25
Jahren beim "Stern" tätige Journalistin. Ich muss eingestehen,
dass dieser ihr Stil mich anfangs ein wenig störte, was sich
jedoch nach eingehender Lektüre rasch gegeben hat: Zum einen
ist ein derart sprachlich zeitgemäßer Zugang zu
Schiller schon aufgrund dieses ungewöhnlichen Ansatzes
erfrischend, zum anderen passt er gut zum Inhalt des
Erzählten, also zu Schillers Leben, das ja wirklich
ereignisreich und gehetzt verlief, geprägt von Schaffensrausch
und einer überaus katastrophalen Gesundheit, die den Dichter
niemals völlig zur Ruhe kommen ließ. So verschlug
noch Schillers Obduktion
den Ärzten die Sprache: "Dass ein Mensch so überhaupt
noch hat leben können! Der linke Lungenflügel ist
völlig zerstört, Galle und Milz
vergrößert, der Darm deformiert, die Nieren fast
aufgelöst, das Herz zu einem muskellosen Rest geschrumpft."
Nun ja, Schiller lebte ungesund. "Sitzt Tage nur über seinen
Manuskripten, oft vierzehn Stund hintereinander, keine Bewegung, keine
frische Luft", und holt dann zwölf intensive Tage alle
versäumten Vergnügungen nach, "mit essen, trinken,
und 'Blindekuhspielen'". "Wird viel Schach gespielt und sind die
Tarock-hombre Tische parat? Ich habe im Sinn, recht lüderlich
zu werden." Das konnte man von Schiller wahrlich behaupten: Sein Leben
hatte er sich künstlich in Rauschzustände versetzt,
mit Kaffee, Wein,
Champagner, Likör, Tabak, aber auch mit Opium und Morphium.
Und hatte er keinen Tabak, dann "kitzelte er seine Geruchsnerven mit
Staub", überlieferte ein Freund aus frühen Jahren.
Und so "entstehen die schönsten Verse der Weltliteratur -
rhythmisch,
leidenschaftlich, unübertroffen. ... Alle Lust, alles
Verlangen, alle
Sehnsucht, Qual, Begierde, Wollust entlädt sich nun in
Schillers Lyrik
für Laura, in wüsten, wilden, wütenden
Gedichten ... Und weiter geht es
Vers auf Vers mit Anmut und Würde, Geist und Pflicht, mit
Trieb und
Sittlichkeit, Tugend und Laster, Titanen und
Löwentötern, Göttern und
Barbaren und dem Tempel von Olympia."
Trotz der aus den vorangegangenen Zeilen ersichtlichen
Leidenschaftlichkeit des Stils hält sich die Autorin das ganze
Buch
hindurch an die einmal gewählte Form des Reports, in welchem
nur
verbürgte Quellen sowie Selbstzeugnisse verarbeitet werden.
Für Spekulationen oder philosophische Betrachtungen
lässt dies keinen
Raum, ebenso wenig wie für neue, sensationelle
wissenschaftliche
Erkenntnisse. Wohl wird jedoch jeder Schillerfreund aus der
Fülle des
dargelegten Materials zweifellos in vielen Fällen Nutzen
ziehen und
Belehrung erfahren, egal, ob der das Buch als ganzes, also von vorne
bis hinten liest, oder ob er es als Nachschlagewerk betrachtet, wozu es
aufgrund des stets beibehaltenen strengen chronologischen Ablaufs auch
sehr geeignet erscheint.
Nicht unerwähnt bleiben darf die prächtige
Ausstattung auf
Hochglanzpapier, durch welche die überaus reiche, beinahe dem
Text
ebenbürtige Bebilderung vollends zur Entfaltung kommt. Hier
ragen
natürlich die meisterhaften Fotografien von Ute Mahler heraus,
die
stimmungsvoll und informativ verschiedene Schauplätze des
Schillerschen
Lebens wiedererstehen lassen.
Die Bildauswahl ist sehr klug getroffen: Nebst Allbekanntem, wie etwa
der Dresdner Silhouette (obwohl diese mit der neuen alten Kuppel der
Frauenkirche doch erst seit allerjüngster Zeit besteht!), dem
Weimarer
Gartenhaus Goethes werden viele unbekannte, auch an und für
sich höchst
anonyme Motive gezeigt, jedoch nicht zuletzt durch meisterliches
Können
stets beseelt durch die Nähe Schillerschen Geistes.
(Franz Lechner; 07/2005)
Birgit Lahann, Ute Mahler: "Schiller.
Rebell aus Arkadien"
DVA, 2005. 240 Seiten mit 54 farbigen und 73 s/w-Abbildungen.
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Weitere Buchtipps:
Rüdiger
Safranski: "Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft"
Ihre Freundschaft ist eine Sternstunde des deutschen Geistes: Friedrich Schiller
bringt seine Dramen mit Goethes Hilfe auf die Bühne.
Johann
Wolfgang von Goethe erlebt durch Schiller in Weimar seine zweite Jugend.
Dennoch ist ihre gemeinsame Geschichte nicht frei von Konflikten: etwa Schillers
Neid auf den bewunderten Goethe oder Goethes Angst vor dem Aufstieg Schillers.
Trotz aller Gegensätze lernte Schiller in der Freundschaft, "dass es
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jeder der beiden sagte vom anderen: er sei ihm der wichtigste Mensch gewesen. Rüdiger
Safranskis Buch ist die spannend erzählte Biografie dieser für die Dichtung in
Deutschland so wichtigen Begegnung. (Hanser)
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Walter Müller-Seidel: "Friedrich Schiller und die Politik. Nicht das Große,
nur das Menschliche geschehe" Dieter Hildebrandt: "Schillers erste Heldin. Das
Leben der Christophine Reinwald, geb. Schiller"
Schillers Ästhetik ist von Anfang an politische Ästhetik. In allen seinen
Dramen wird um Herrschaft und um Freiheit gerungen. Um diese These zu belegen,
fasst Walter Müller-Seidel Schillers Dramen neu ins Auge und befragt sie im
Hinblick auf Herrschaftsformen, Widerstandsrecht und Tyrannenmord. Während
tyrannische Herrschaftsformen nach Schillers Auffassung zu beseitigen sind,
redet er dem Tyrannenmord lange Zeit keineswegs das Wort. Erst in seinem letzten
abgeschlossenen Drama, in "Wilhelm Tell", wird die Ermordung des
Tyrannen bejaht. Müller-Seidel plädiert dafür, das Geschichtsdrama als
zeitgeschichtliches Drama zu lesen - mit Napoleon als Hintergrundfigur.
Der Legende, wonach die Wortführer der Weimarer Klassik die Forderungen des
Tages ignoriert hätten, wird in diesem Buch entschieden widersprochen.
Schillers Denken ist auf Politik gerichtet, auf Veränderungen durch Ästhetik,
die von Anfang an politische Ästhetik ist und es auch bleibt. Staatliche Themen
- Verschwörung, Widerstandsrecht und
Tyrannenmord - gewinnen in Schillers
Dramen Vorrang vor individuellen Charakteren. Dabei wird ein Dilemma erkennbar:
zwar gilt es, Tyrannei zu beseitigen, doch ist das Recht auf Leben zu achten.
Die Dramen Schillers sind daher gegen Tyrannen, aber gegen Tyrannenmord
gleichermaßen. In der "Jungfrau von Orleans" und vollends in "Wilhelm
Tell" ändert sich das Bild. Es drängt sich die Erklärung auf, Schillers
politische Positionen stünden im Zusammenhang mit dieser Wandlung. Im Zentrum
der Argumentation steht Schillers Auseinandersetzung mit Napoleon, den Schiller
niemals beim Namen nennt, der aber die erschließende Hintergrundfigur in den
Dramen seit Wallenstein bildet. Anders als Goethe,
Hegel
oder Heine sieht Schiller in
Napoleon nicht den "großen Menschen",
sondern befindet sich zu ihm in dezidierter Gegnerschaft. Was er den jungen
Piccolomini sagen lässt, ist aus der Sicht eines neuen Begriffs von Humanität
ganz in Schillers Sinne gesagt: "Nicht das Große, das Menschliche
geschehe ..." (C.H. Beck)
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Als Schwester war sie Friedrich Schiller so nahe wie nur wenige Menschen. Heute
imponiert uns Christophine Reinwald (1757-1847) als eine Frau, die ihr Leben
selbst in die Hand genommen hat. Schiller nannte die ältere Schwester seine früheste
Heldin. Ihr langes Leben war zunächst bestimmt von der Sorge um die jüngeren
Geschwister inmitten einer strengen Familie, dann von der Vernunftehe mit dem
Bibliothekar Reinwald aus Meiningen. Erst als Witwe lernt sie, was ihrem Bruder
über Nacht gelungen war: die Freiheit, ein eigenes Leben zu führen. Dieter
Hildebrandt macht den Leser mit der Biografie einer Frau bekannt, wie wir sie
viel eher in der Gegenwart als im 18. und 19. Jahrhundert vermuten würden. (Hanser)
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