(...) So verging ihr eine Woche nach der andern, bis sie in einer Nacht ganz ermüdet auf eine ausführliche Nachricht traf, wie Alraunen zu bekommen, und wie diese dienstbar Geld und was ein weltliches Herz sonst begehre, mit stehlender, untrüglicher Listigkeit zuführten. Aber welche Schwierigkeit, sie zu gewinnen, und doch war es die leichteste von allen Zaubereien; die Zauberei braucht die härteste Schule; wer sie aushalten kann, möchte auch wohl in den gewöhnlichsten Geschäften ohne alles Geheimnis zu zaubern scheinen. Wer kennt jetzt nicht die Bedingungen, einen Alraun zu gewinnen, und wer möchte sich ihnen noch unterziehen, wer könnte sie erfüllen? Es wird ein Mädchen gefordert, das mit ganzer Seele liebt, ohne Begierde zur Lust ihres Geschlechtes, der die Nähe des Geliebten ganz genügt: eine erste, unerläßliche Bedingung, die vielleicht in Bella zum erstenmal wahrgeworden war, weil sie von den Zigeunern, die sie bisher kennen gelernt, immer als ein Wesen höherer Art behandelt worden und sich dafür anerkannt hatte; die Erscheinung des Prinzen war ihr aber so heilig rein, wie der Körper des Allerheiligsten in der Messe, vorübergegangen, zu schnell, um ihre Betrachtung zu wecken. In solchem Mädchen, das so mächtig von der Phantasie in allen Segeln angehaucht wird, soll gleichzeitig der übermännliche Mut wohnen, nachts in der eilften Stunde mit einem schwarzen Hunde unter den Galgen zu gehen, wo ein unschuldig Gehenkter seine Tränen aufs Gras hat fallen lassen; da soll sie ihre Ohren mit Baumwolle wohl verstopfen und mit den Händen suchen, bis sie die Wurzel erreicht, und trotz allem Geschrei dieser Wurzel, die keineswegs natürlicher Art, sondern ein Kind der unschuldigen Tränen des Erhenkten ist, ihr das Haupt entblößen, einen Strick aus ihren eignen Haaren umlegen, den schwarzen Hund daran spannen, dann fortlaufen, so daß der Hund, im Wunsche ihr zu folgen, die Wurzel aus der Erde zieht, wobei er von einer erblitzenden Erschütterung des Bodens unfehlbar erschlagen wird. Wer in diesem Augenblicke, dem entscheidendsten, seine Ohren nicht wohl verstopft hat, kann von dem Geschrei auf der Stelle unsinnig werden. Bella war wiederum die einzige seit Jahrtausenden, bei der sich alle diese Erfordernisse vereinigten; wer war unschuldiger, als das teure Haupt ihres Vaters Michael, der in rastloser Tat für sein armes Volk, in steter Mühe und Not für die Seinen, um das Unbedeutendste einem Reichen zu entfremden, allzu ehrlich und stolz gewesen war. Welches Mädchen hätte Mut gehabt, in der Mitternacht einen solchen Weg mit Überlegung zu machen, als Bella, die nun schon seit vier Jahren, wo ihre Mutter gestorben, ein verstecktes, nächtliches Leben geführt hatte und mit dem Laufe des Mondes, mit den Sternen zu vertraulich bekannt war, um in der Nacht noch eine besondre Einsamkeit und Traurigkeit wahrzunehmen. Welches Mädchen hatte wie sie einen schwarzen Hund, aus dessen Augen mehr blickte, als sein Mund ausbellen konnte, und wiederum welchem Mädchen war dieser einzige Gesellschafter so verhaßt, wie ihr, die ihn seit früher Zeit, wo er sie gebissen, nicht leiden konnte und ihn jetzt noch mehr verachtete, nun er ihr mit einer widrigen Demut diente und sie doch auf allen Wegen belauerte und, wenn sie recht zärtlich mit einer Puppe aus alten Kleidern wie mit dem Prinzen sprach, sie auslachte; auch hatte der Vater immer behauptet, es stecke der böse Feind in dem Hunde. Welches Mädchen hatte endlich so langes Haar, wie Bella, um es zu Stricken flechten zu können, und welche mochte es, wie sie, ruhig zu dem Versuche hingeben; sie aber wußte nichts von ihren Schönheiten, es war ihr lieb, daß sie künftig nicht so lange an ihren Haaren zu kämmen hätte, und so sank ihr Haar, in dessen glatten Locken sich oft die Sterne wie im Haupthaar der Berenize gespiegelt hatten, im raschen Schnitt einer Schere wie ein schwarzer Schleier auf den Boden rings um sie her, ihrem Hund Simson eine Kette daraus zu flechten, die ihm den Tod brächte. Sie merkte bald, daß er alles, was sie gesprochen, vernommen habe, denn statt daß er sich sonst kleine Vorräte an Knochen und Brot im Garten vergrub, so öffnete er jetzt nach und nach alle diese vergrabenen Schätze und fraß unersättlich. Hätte jenes sie rühren können, so empörte sie dies noch mehr; übrigens schien er nicht traurig, aber er sah sie spöttisch an, und als der erste Freitag kam, denn ein Freitag wird zur Ausführung gefordert, durchkroch er das ganze Haus noch einmal, beroch alle Winkel und führte sich in seinem Lager gegen seine Art unreinlich auf, welches sie ihm aber diesmal lieber verzieh als ihrer Alten die Langweiligkeit, mit der sie in unendlichen Erzählungen von "hat er gesagt", "hab ich gesagt", ihre ganze verfluchte erste Liebschaft erzählte, die Bella leicht um eine der Hauptbedingungen bei der Aufsuchung der Alraunenwurzel hätte bringen können, wenn diese nicht aus Ungeduld über ihre lange Anwesenheit im Zählen der Minuten sie und die Stunden überzählt hätte, bis es zwölfe geschlagen: da sprang endlich Bella aus Ungeduld auf und fing mit der Alten aus Ärger, daß sie alles noch eine Woche aufschieben müsse, den Kranichtanz der Zigeuner an, daß diese endlich ohne Atem in einen Sessel fiel und hustete und schwur, so lustig habe sie auf ihrem Hochzeittage nicht einmal getanzt; dabei nahm sie ein Stück Lakritzensaft in den Mund, um den Husten zu dämpfen, und trabte endlich mit großem Bedauern fort, daß sie schon weggehen müsse. Etwas Angst hatte Bella doch gespürt; nun die Woche versäumt war, schien es ihr doch besser, daß sie sich noch vorbereiten könne, und der schwarze Hund schien nicht minder diese Frist zu wünschen, um noch recht essen zu können; sie gewährte ihm gerne die leckersten Bissen, weil sie wußte, was er für sie tun müsse, ja zuweilen, ungeachtet ihres Widerwillens gegen das Tier, kamen ihr bei seinem Anblicke Tränen in die Augen, doch tröstete sie sich immer mit dem Zusatze im Zauberbuche, daß treue Hundeseelen, die in solchem Geschäfte blieben, zur Seele ihrer Herren gelangen, und sie war gewiß, daß sich der Hund beim Vater Michael besser als bei ihr gefallen müsse.

Endlich kam der zweite Freitag, es war schon kalt geworden, die ruhigen Gewässer waren dünn befroren, und die Alte hatte sich bei ihr entschuldigt, daß sie in den nächsten Tagen nicht herauskommen könne: ihr Husten sei aber so stark, sie müsse sich heimhalten. Alles schien erwünscht, die Nachbarn waren alle nach der Stadt gezogen, die Nacht war dunkel, und der Wind führte die ersten Schneeflocken über die trockene Erde. Bella durchlief noch einmal das Zauberbuch, ihr Herz schlug heftig, als es langsam eilf schlug, der schwarze Hund schleppte ihre Puppe, in der sie ihren Prinzen sah und verehrte, herbei, zerrte und biß darin: das brachte sie zum Entschluß; diesen Schimpf, den er ihrem Liebling angetan, mußte er büßen; schnell nahm sie die Stricke, die sie aus ihren Haaren geflochten und die sie bisher, um der Alten keinen Argwohn zu geben, auf ihrem Kopf getragen, und schlug auf ihn. Er wollte zur Türe hinaus, sie öffnete die Türe, und beide waren in die zauberhafte Winterwelt hinausversetzt und gingen dem Winde nach ihren Weg, ohne ihn zu kennen, bloß nach der Richtung, um den Berg zu erreichen, auf welchem das Hochgericht gehalten wurde. Diese Straße war leer von Menschen, aber mehrere Hunde kamen mit großem Lärmen unter den Gartentüren hervorgesprungen, liefen auf den schwarzen Simson los, aber im Augenblicke, wo sich diese Philister ihm naheten, sah er sie an, zeigte seine Zähne, und die größten wie die kleinsten Hunde flüchteten mit einer Angst, den Schwanz zwischen den Beinen, in die Gärten zurück, daß sie sich selbst unter den Türen einklemmten und erbärmlich schrien. Gleiche Angst zeigten ein paar Stachelschweine, die ihre Stacheln voll Äpfel und Birnen, die sie sich in den Gärten angewälzt und angestachelt hatten, quer über den Weg zogen, sich aber bei dem Anblicke des Hundes zusammenkugelten, daß dieser ihnen ihre Beute sehr behaglich abnahm und verzehrte. Bella hatte sich dabei ausgeruht, nun war es ihr aber sonderbar, daß, wie sie jetzt aufstand und sich dem Berge näherte, ein anderer immer in ihre Fußtapfen zu schreiten schien, und zwar mit solcher Sorgfalt, daß er mit der Spitze seines Fußes jedesmal die Ferse des ihren anrührte, sie wagte nicht umzusehen und lief immer hastiger zu, bis ein Schlag vor den Kopf sie niederstreckte. Der Schlag war indessen nur wenig betäubend, sie faßte Mut, als alles umher still war; sie faßte um sich, als niemand sie anfaßte, und fühlte, daß sie gegen einen herabgelassenen Schlagbaum angerannt war; was aber in ihre Schritte so eilfertig getreten, war ein Dornstrauch, der sich an ihr Kleid gehängt hatte. Sie mußte sich über ihre Furcht verwundern und nahm sich vor, jetzt aufmerksamer und besonnener zu sein, und vergaß es doch bald wieder, als eine Zahl von Pferden, die in einer Koppel lagen, bei ihrer Annäherung aufsprangen und über Busch und Hecken fortjagten. Jetzt war sie oben, und sie sah über die reiche Stadt hin, wo noch manches Licht brannte ein Haus war aber hell erleuchtet, und da, meinte sie, müsse der Prinz wohnen: so hatte ihr die Alte sein Haus beschrieben, und sie wußte, daß sein Geburtstag gefeiert wurde. Sie hätte alles bei dem Anblicke vergessen, selbst die trocknen Gehenkten über sich, die einander fragend anzustoßen schienen, hätte nicht der schwarze Hund aus eigener Lust unter dem Dreifuße gegraben. Sie fühlte, was er gefunden, und hatte eine kleine, menschliche Gestalt in Händen, die aber mit beiden Beinen noch in der Erde wurzelte; sie war's, sie war's, die geheimnisvolle Mandragora, das Galgenmännlein, sie hatte es gefunden ohne Mühe, und in einem Halsumdrehen war der Strick ihrer Haare umgelegt und um den Hals des schwarzen Hundes angeschirrt; dann lief sie in Angst wegen des Geschreis der Wurzel fort. Sie hatte vergessen, ihre Ohren zu verstopfen, lief nun, so schnell sie vermochte, und der Hund ihr nach; er riß die Wurzel aus dem Boden, und ein erschrecklicher Donnerschlag stürzte ihn und Bella nieder; doch hatte ihr sichrer, schnellfüßiger Lauf sie schon funfzig Schritte entfernt.

Das hatte Bellas Leben errettet; doch blieb sie lange ohnmächtig und erwachte erst, als schon die beglückten Liebhaber von ihrem Glücke lässig heimkehrten, einer von diesen sang ein jauchzendes Lied von seinem feinen Liebchen und von den falschen Zungen, die heimliche Liebe ausschwätzen; halb hatte er dabei Schlummer in den Augen, und so kam es, daß er sie übersah. Als sie davon erwachte, wußte sie nicht, wie sie an diesen Ort gekommen, den sie nicht mehr erkannte; schwach richtete sie sich auf und sah im ersten Morgenschimmer ihren toten Simson. Sie erkannte ihn, erinnerte sich auch allmählich, warum sie hergekommen, und fand an den Haarflechten, die sie jetzt dem Hunde abnahm, ein menschenähnliches Wesen, gleichsam einen beweglichen Umriß, aus welchem die edlen Sinne noch nicht hervorgetreten sind, ähnlich einer Schmetterlingslarve: so war der Alraun, und wunderbar ist es zu nennen, wie sie auf der einen Seite des Prinzen gar nicht mehr denken konnte, der eigentlichen Ursache, warum sie den Alraun aufgesucht, ganz vergessen hatte, so liebte sie diesen auf der andern Seite mit jener ersten Zärtlichkeit, welche zart durchdringend seit jener Nacht, wo sie den Prinzen gesehen, in ihr zur Erscheinung gelangt war. Zärtlicher kann eine Mutter ihr Kind, das sie bei einem Erdbeben verschüttet glaubt, nicht wieder begrüßen, nicht vertrauter, nicht bekannter, als Bella den kleinen Alraun aus dem letzten Erdenstaube an ihre Brust hob und ihn von allem Anflug reinigte. Er schien von dem allen nichts zu wissen, sein Atem strömte aus kaum bemerkbaren Öffnungen des Kopfes, nur als sie ihn eine Zeitlang auf ihren Armen gewiegt hatte, bemerkte sie an einem ungeduldigen Stoß seines Armes gegen ihre Brust, daß er diese Bewegung liebe; auch beruhigte er Arme und Beine nicht eher, bis sie ihn wieder mit schaukelnder Bewegung erfreulich einschläferte. So eilte sie mit ihm in ihre Wohnung zurück; sie achtete nicht des Hundegebells, nicht einzelner Marktleute, die sich früh vor den Toren der Stadt sammelten, um die ersten bei der Eröffnung der Tore zu sein; sie sah nur auf den Kleinen, den sie sorgsam in ihren Überrock eingeschlagen hatte. Endlich war sie in ihrem Zimmer, hatte ihr Licht angezündet und besah das kleine Ungeheuer. Es tat ihr leid, daß er nicht einen Mund zum Küssen, nicht eine Nase habe, die ein göttlicher Atem herrschend und sanft geformt, daß keine Augen sein Inneres kund machten und daß keine Haare den zarten Sitz seiner Gedanken umsicherten; aber ihre Liebe minderte das nicht. Sie ging sorgsam zu ihrem Zauberbuche, um sich wieder zu erinnern, was mit dieser gegliederten und beweglichen Rübe anzufangen sei, um ihre Kräfte, ihre Bildung zu entfalten, und sie fand es bald. Zuerst sollte sie den Alraun waschen, das vollbrachte sie, dann sollte sie ihm Hirse auf den rauhen Kopf säen, und wie diese aufginge in Haaren, so würden sich seine übrigen Gliedmaßen von selbst entwickeln, nur müsse sie an jede Stelle, wo ein Auge entstehen sollte, ein Wacholderkorn eindrücken, wo aber der Mund werden sollte, eine Hagebutte. Zum Glück konnte sie diese Sämereien alle herbeischaffen, die Alte hatte ihr neulich einige gestohlne Hirse gebracht, Wacholderbeeren brauchte ihr Vater häufig zum Räuchern in seinem Zimmer; sie hatte den Geruch nie leiden können, jetzt war er ihr lieb, denn es war noch eine Handvoll übriggeblieben; eine Hagebuttenstrauch hing im Garten noch voll roter Früchte als die letzte Pracht des Jahres. Alles wurde herbeigeschafft, zuerst die Hagebutte an den rechten Ort eingedrückt, sie merkte aber nicht, daß sie ihm diese bald aus Liebe schief küßte; dann drückte sie ihm zwei Wacholderbeerkerne ein, es schien ihr, als sähe der Kleine sie an, das gefiel ihr so wohl, daß sie ihm gerne ein Dutzend eingesetzt hätte, wenn sie nur einen schicklichen Platz dazu hätte ausfinden können; aber wo sie ihm am liebsten Augen eingesetzt hätte, hinten, da fürchtete sie, möchte er sich oft wehe daran tun; zuletzt brachte sie noch ein Paar Augen in seinem Nacken an, und wir müssen ihr eingestehn, daß diese Erfindung nicht ganz zu verachten gewesen sei. So fröhlich und ernstlich zugleich begann sie dies Werk, ein Wesen zu schaffen, das, wie der Mensch seinen Schöpfer, bis an sein Ende sie betrüben sollte; selbstzufrieden wie ein junger Künstler, dem alles über Erwartung glückt, besah sie ihr kleines, unförmliches Ungeheuer und verbarg es in einer zierlichen Wiege, die sie im Hause vorgefunden, wohlbedeckt mit Betten, entschlossen, selbst gegen die alte Braka dies als das erste Geheimnis ihres Lebens zu bewahren. (...)


(Aus " Isabella von Ägypten. Kaiser Karl des Fünften erste Jugendliebe" von Achim von Arnim.)
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