Marguerite Yourcenar: "Die schwarze Flamme"


Flandern im 16. Jahrhundert: Ein Freidenker geht seinen Weg.

Historische Romane verpacken Personen und Ereignisse vergangener Zeitalter in spannende, philosophische oder auch gefühlsbetonte literarische Gewänder und zerreißen solcherart die Nebel des Vergessens, welche entschwundene Jahrhunderte umhüllen, bis zu einem gewissen Grad. Sehr gute historische Romane lassen alte Zeiten spürbar, greifbar werden, hauchen ihnen Leben ein und lassen sie vor den Augen des Lesers Gestalt annehmen. Sie machen längst Verklungenes wieder hörbar und gestatten Einblicke in untergegangene Gesellschaftsstrukturen; und sei es nur für die Dauer der Lektüre.
"Die schwarze Flamme" gehört eindeutig zu den sehr guten historischen Romanen.


Das unausweichliche Ende ahnend oder auch herbeifürchtend, verschlingt man Seite um Seite und geht Seite an Seite mit einem hochintelligenten (und starrköpfigen) Mann auf mitunter steinigen Wegen durch seine (Gedanken-)Welten, wo übliche Grenzen keinerlei Bedeutung haben.

Vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse des 16. Jahrhunderts erzählt Marguerite Yourcenar die (fiktive) Lebensgeschichte des Alchemisten, Arztes, Freidenkers und Philosophen Zenon, einer Romanfigur, welche die grundlegenden Eigenschaften der bedeutendsten Gelehrten und Künstler der Renaissance in sich vereint (die da wären: Erasmus von Rotterdam, Leonardo da Vinci und Paracelsus). Eine erwartungsgemäß hochexplosive Mischung, in der Tat.
Übrigens, um etwaigen Gelehrten den möglicherweise auffrischenden Einspruchswind aus den Segeln zu nehmen: Marguerite Yourcenar erläutert höchstpersönlich in ihrem Nachwort die zum Vorteil des Romans in Kauf genommenen historischen Unschärfen ihrer Geschichte und begründet die Abweichungen gegenüber den tatsächlichen Ereignissen jener Zeit.

Zenons für die damaligen Verhältnisse gewagte naturwissenschaftliche Experimente (beispielsweise, um seine Kenntnisse der menschlichen Anatomie zu erweitern) und Methoden, seine Schriften, denen der Ruch der Ketzerei anhaftet, seine spitzfindigen Ausführungen zu (nicht nur zu jener Zeit) brisanten Themen, bringen ihn wiederholt in Konflikt mit Kirche und Staat. So lebt er lange Jahre als "Doktor Sebastian Theus", dennoch nicht von allen unerkannt, in Brüssel als Armenarzt, nachdem er viel in der Welt herumgekommen ist und anderer Länder Sitten und Lehren studiert hat, immer vom Drang getrieben, das Wesen der Dinge zu ergründen und zur Wahrheit vorzudringen. Doch gerät er in seiner Heimat letztendlich wieder ins Visier der Obrigkeit, als er einem Mörder, Rebellen und Bilderstürmer ärztliche Hilfe leistet und zu unzüchtigen Vorgängen hinter Klostermauern schweigt, weil ihn diese Irrungen und Wirrungen der Mitmenschen nur am Rande beschäftigen.

Der Roman beginnt mit einem Aufeinandertreffen der Vettern Zenon und Heinrich-Maximilian Ligre. Letzterer ist der sechzehnjährige, "aus der Art geschlagene" Spross einer Bankiersfamilie, der mit der Absicht, Ruhm und Ehre auf den Schlachtfeldern zu erwerben, in die Fremde zieht, Ersterer der zwanzigjährige Geistliche und uneheliche Sohn aus einer flüchtigen Begegnung von Hilzonde und Alberico de'Numi, einem jungen Prälaten aus florentinischem Geschlecht, der später in Rom ermordet wird.
Alles Kommende bereits andeutend die Abschiedsszene, als Heinrich-Maximilian fragt, wer Zenon denn andernorts erwarte, worauf dieser antwortet: "Hic Zeno. Ich selber."

Anschließend werden Zenons Kinderjahre beschrieben; sein bereits früh ausgebildeter Wissensdurst, sein unbeirrbar-unabhängiges Denken; dass sein Stiefvater ihn nicht zu zähmen vermochte; dass sein Onkel Heinrich-Justus Zenon der Obhut seines Schwagers, des Domherrn Bartholomäus Campanus (einer Art Vaterfigur, die übrigens im Verlauf der Geschichte wieder auftaucht), welcher dem Knaben Latein sowie Grundkenntnisse des Griechischen und der Alchemie beibringt, anvertraut. Zenon, der vielseitig talentierte junge Mann, konstruiert z. B. Webstühle, woran sich der Zorn der Arbeiterschaft entzündet, und er fällt schon zu jener Zeit auf: "Man lud ihn zu Gelagen ein, bei denen er nur klares Wasser trank, und die Mädchen im Bordell gefielen ihm so gut, wie einem Feinschmecker eine Schüssel mit verdorbenem Fleisch. Man war sich über seine Schönheit einig, aber seine schneidende Stimme jagte Angst ein, das Feuer seiner dunklen Augen faszinierte und stieß zugleich ab. Fantastische Gerüchte über seine Geburt waren in Umlauf; er widerlegte sie nicht." (Allerdings kennt Zenon die Freuden des Fleisches sehr wohl, er misst ihnen lediglich keine nennenswerte Bedeutung zu. Und sollte es die Situation erfordern, sind ihm auch Handgreiflichkeiten unter Männern nicht fremd.)

Zenons Lehr- und Wanderjahre führen ihn bis in den Orient. Über diesen Lebensabschnitt erfährt der Leser allerlei im Kapitel "Das öffentliche Gerede": Gerüchten zufolge soll Zenon in entlegenen Gegenden als Magier, Frauenverführer und Erfinder des "flüssigen Feuers" erkannt worden sein. Zenons Mutter, Hilzonde, die inzwischen mit dem wohlhabenden alten Simon Adriansen aus religiösen Beweggründen nach Münster übersiedelt ist, wird ebendort nach Tumulten und alles Andere als sittlichen Ereignissen enthauptet, nachdem die Truppen des Bischofs die Stadt erobert haben. Der mittlerweile über 40 Jahre alte Alchemist, der auch als Chirurg und Pestarzt tätig ist, und Heinrich-Maximilian treffen erneut in Innsbruck aufeinander, jeder der Männer berichtet von seinen Erlebnissen und Erfahrungen. Zenon befindet sich auf der Flucht vor seinen Verfolgern, denen seine Schriften ein Dorn im Auge sind; Heinrich-Maximilian ist als Spion unterwegs.
Sodann steht Heinrich-Maximilians Laufbahn, die damit endet, dass er von einer Kugel tödlich getroffen von seinem Pferd stürzt, für die Dauer eines Kapitels im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Zenons Weg führt, nach seiner Flucht aus Innsbruck, über Würzburg, Thüringen, Polen, Schweden (seine Dienste beim Schwedischen König sollen Zenon - gemeinsam mit anderen Anklagepunkten - später zum Verhängnis werden), zurück nach Deutschland, und von dort nach Paris. Im Verlauf all seiner Reisen verkehrt der sprachbegabte Zenon stets auch mit den Reichen und Mächtigen der jeweiligen Landstriche. Seine veröffentlichten Schriften werden beschlagnahmt, und Zenon muss wieder einmal schleunigst abreisen; auch weil er es nicht über sich bringt, ein Widmungsschreiben an die Königinmutter zu verfassen, auf dass diese helfend eingreifen möge.
Jedenfalls beschließt Zenon, nach Brügge zurückzukehren, wo er sich zuletzt vor etwa 35 Jahren aufgehalten hat. Er trifft den Bader Johannes Myers wieder, mit dem er seinerzeit die Biografie des Doktor Sebastian Theus erfunden hat. Doch die gleichermaßen lüsterne wie arglistige Dienerin Myers', Kathrin, vergiftet ihren Dienstgeber mit einer Substanz aus Zenons Besitz, um den Alchemisten zum Erben Myers' zu machen. Zenon, inzwischen über 50 Jahre alt, gibt sein gesamtes Erbe an das Sankt-Cosmas-Hospiz, wo er sich auch als Arzt niederlässt und Gefallen an den höflichen, anspruchsvollen Wortwechseln mit dem Prior, den er schließlich pflegt, und der ihn längst als Zenon erkannt hat, wie sich kurz vor dem Tod des Priors herausstellt, findet. Bevor er stirbt, rät der Prior Zenon dringend zur Flucht.

Im Oktober 1517 veröffentlicht der Augustinermönch Martinus Luther seine 95 Thesen gegen das Ablassunwesen. Es ist die Zeit des Glaubensstreits, die Zeit der Expansion des Calvinismus (evangelisch-reformierte Glaubenslehre des Genfer Reformators J. Calvin, welche die nur geistige Präsenz Christi beim Abendmahl und die [sich auch im irdischen Glück offenbarende] Prädestination der von Gott Auserwählten vertritt. *), des sich ausbreitenden Protestantismus (aus der kirchlichen Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangene Glaubensbewegung, die die verschiedenen evangelischen Kirchengemeinschaften umfasst. *), die Zeit der Ketzerverfolgung, der lodernden Scheiterhaufen, der Enthauptungen in großer Zahl.
Das Jahrhundert, in welchem sich der sogenannte "Bildersturm" gegen die katholische Kirche ereignet, (in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde in den Niederlanden der sakrale Bilderschmuck in den Kirchen von religiösen Fanatikern des Calvinismus blindwütig zerstört), und in welchem die von den spanischen Herrschern betriebene Inquisition ihre Spinnenfinger bis nach Flandern ausstreckt, ist eine Zeit bedeutender Umwälzungen: Nicht länger gilt die Glaubensdoktrin, dass Erde und Mensch im Mittelpunkt des Kosmos stehen, Seefahrer haben einen neuen Kontinent entdeckt; Welt- und Selbstbild des Menschen geraten ins Wanken. Jene Zeit wird beispielsweise von Goethe in seinem Trauerspiel "Egmont" dargestellt, wenngleich es sich bei Goethe nicht um den authentisch-historischen Grafen von Egmont handelt, den Friedrich Schiller in seinem Werk "Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung" beschreibt.

Nach dem Tod des Priors lässt Zenon mehr als eine Gelegenheit zur Flucht ungenützt verstreichen, während sich die Schlinge um seine Person immer enger zusammenzieht. Er ist nicht bereit, seine stets der Wahrheit verpflichteten Aussagen und Schriften zu widerrufen, um sein Leben nach der Verurteilung noch zu retten, die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen resultieren zum Großteil aus Gerüchten und Vorurteilen. Der Zeit seines Lebens unabhängige, unbestechliche Geist gerät ein letztes Mal in Konflikt mit Kirche und Gesetz. Zenon kommt seinen Henkern jedoch zuvor: In einem endgültigen Akt der Befreiung wählt er den Freitod und entzieht sich der irdischen Gerichtsbarkeit für immer.

Die Suche nach Gott, Kirchengeschichte, Intrigen, Politik, Geldgeber, Philosophie, Charakterstudien, Lebensumstände der Reichen wie auch der Armen im 16. Jahrhundert, familiäre Verflechtungen, Geschlechterrollen, Identitätsfindung, Schicksal - "Die schwarze Flamme" ist reich an Themen und Schattierungen, ohne zu Lasten der sich zügig entwickelnden Geschichte in Beschreibungen um ihrer selbst willen zu verfallen. Insofern gleichen Marguerite Yourcenar und ihre Figur Zenon einander: Beider Geradlinigkeit verabscheut alles Oberflächliche; das Eigentliche wird ohne Umschweife thematisiert, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es Zeiten gab und gibt, in denen in Unterhaltungen Umschreibungen und indirekte Aussagen sowie die Fähigkeit, sozusagen zwischen den Zeilen zu lesen, schon aus Sicherheitsgründen unverzichtbar waren/sind.

"Die schwarze Flamme" wurde 1968 erstmals in Frankreich veröffentlicht. Der Roman basiert auf der 1934 verfassten Novelle "La Mort conduit l'attelage". Marguerite Yourcenars Geschichte einer Identitätssuche vermittelt die männliche Perspektive eines Renaissancegelehrten überaus glaubwürdig und intensiv.
"L'Oeuvre au Noir", wie der historische Roman im Original betitelt ist, wurde 1988 von André Delvaux verfilmt.

Angemerkt sei, dass der deutsche Titel nicht glücklich gewählt wurde, denn "opus nigrum" (franz. "l'Oeuvre au Noir") bezeichnet das alchemische Werk (im Zusammenhang mit dem "Stein der Weisen"), welches im Schrifttum nicht als "schwarze Flamme" beschrieben wird.

Marguerite de Crayencour (ihr Künstlername "Yourcenar" ist ein Anagramm) wurde am 8. Juni 1903 als Tochter einer belgischen Mutter (Fernande de Cartier de Marchienne), die zehn Tage nach Marguerites Geburt an Kindbettfieber verstarb, und eines französischen Vaters (Michel Cleenewerck de Crayencour), der übrigens ihre literarischen Ambitionen von Anfang an nach Kräften unterstützte und anno 1929 das Zeitliche segnete, in Brüssel geboren.
Die Männern wie Frauen gleichermaßen leidenschaftlich Zugetane studierte in Frankreich, England und in der Schweiz und ließ sich, nach zahlreichen Reisen durch Europa, Amerika und den Vorderen Orient, ab 1937 bei ihrer Lebensgefährtin Grace Frick (gestorben am 18. November 1979 infolge einer Krebserkrankung) in den USA nieder, wo sie - wenn sie nicht gerade auf Reisen war - als Professorin für französische Literatur in New York lehrte. Nachdem sie 1963 den "Prix Combat" und 1968 den "Prix Fémina" erhalten hatte, wurde sie 1971 in die "Académie Royale Belge" und am 22. Jänner 1981 als erste Frau in die "Académie française" aufgenommen.
Von 1980 bis zu seinem Tod (infolge AIDS) im Jahr 1986 war der erheblich jüngere US-Amerikaner Jerry Wilson Marguerite Yourcenars Begleiter; die beiden unternahmen gemeinsam ausgedehnte Reisen.
Die außergewöhnliche Schriftstellerin starb am 17. Dezember 1987 in Maine/USA.

(kre)


Marguerite Yourcenar: "Die schwarze Flamme"
(Originaltitel: "L'Oeuvre au Noir")
Fischer.
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"Zeno"

Name: nach dem Göttervater Zeus (griech.)

Bischof von Verona
* 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts, in Mauretanien, dem heutigen Marokko (?)
+ 12. April 371 oder 372 in Verona

Der Afrikaner Zeno wurde 362 zum Bischof von Verona gewählt. Seine Legende rühmt an ihm die Fürsorge für Arme und Kranke sowie seine unerschrockene Tatkraft gegen das aufflackernde Heidentum und gegen die Anhänger des Arianismus (Arianismus war eine frühe christliche Lehre aus dem 4. Jahrhundert, benannt nach dem Priester Arius. Nach arianischer Lehre ist Jesus Christus nicht wesensgleich mit Gott, aber dessen vornehmstes Geschöpf). Als einer der ersten in der abendländischen Kirche setzte er sich nachdrücklich für die Lehre von der Jungfräulichkeit der Gottesmutter Maria ein. Zeno gilt als großer Gelehrter und Prediger.
Zeno bestritt nach der Legende seinen Unterhalt durch Fischfang aus der Etsch. So fanden ihn auch die Boten des Kaisers Gallienus, die ihn um Gebetsheilung für die besessene Tochter des Kaisers baten.
Über Zenos Grab entstand schon bald eine Kirche; sie soll einst auf wunderbare Weise von Überflutung verschont geblieben sein, weshalb Zeno Patron gegen Wasserschäden wurde. Nach einem Erdbeben wurde die Kirche zerstört, an derselben Stelle entstand zwischen 1118 und 1135 die prächtige heutige Kirche San Zeno. Schon zu Lebzeiten wurde Zeno wie ein Heiliger verehrt, Schwerpunkt der Verehrung ist noch heute Mais bei Meran. Korbinian brachte den Kult auch nach Bayern, Hrabanus Maurus überführte Reliquien nach Ulm und Fulda, Zenos Haupt wurde 830 nach Radolfzell gebracht.

(Quelle: https://www.heiligenlexikon.de/)

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Quelle: "Großer Duden"
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