CINEMA MUSIC VIDEO
KUNSTHALLE wien
28.5. bis 12.9.1999
Brief an Rodney Graham
Fast eine Stunde lang sitze ich mit Kopfhörern in deiner Klanginstallation, in das amöbenhafte, weiche Sitzkissen gesunken, und höre deine Lieder. Währenddessen lese ich die "Anmerkungen des Künstlers", also deine. Ich starre zwischendurch an die Decke der Kunsthalle, wo über einer transparenten Zwischendecke Neonröhren hängen. Von der Überwachungskamera überschwenkt, liege ich schon mehr als ich sitze. Über mir durchquert ein Steg in einer Röhre den Raum. Erinnert an den James Bond-Film "Moonraker". Die Wände sind so überaus weiß. Wie im Krankenhaus. Mir schräg gegenüber steht ein armseliger Baum, der noch nicht ganz tot ist, aber bestimmt seinen letzten Frühling erlebt. Er gehört, zusammen mit einigen runden Farbbildern hinter Glas an einer Wand und einer antiken Postkutsche, zum Objekt "Camera Obscura Mobile". Als eine Frau aus dem Gefährt ausstieg, schwankte dieses drohend, und ich beschloss, nicht hineinzuklettern.
Ich schicke meine Gedanken noch einmal durch die Halle, über allem deine Musik: "Halcion Sleep" im Fernseher, davor einige karge Plastikstühle, wenig einladend und doch zwanghaft in Anspruch genommen. Ich gestehe, ich ertrage das Video nicht in voller Länge, aber die Idee an sich gefällt mir. Friedlich sahst du aus, auf dem Rücksitz irgendeines Autos ausgestreckt, betäubt von irgendwelchen Medikamenten. Wer war der Fahrer? Möchte ich dich fragen. Muss an meine Nachtfahrten durch das trübe Wien denken, an die lähmende Müdigkeit dabei. Dann die Kammer mit dem Film "Coruscating Cinnamon Granules"! Wie kann jemand wissen, dass ich selbst oft genug die Herdplatten heiß werden ließ, nur um das Leuchten der Spiralen unter dem Kochfeld zu erleben. Allerdings ohne Zimtglühen...
Finster war es, der Projektor summte gleichmäßig; es gab keine anderen Zuschauer. Ich war hingerissen von der Schlichtheit des Konzepts. Wie ich dich um deinen unverkrampften Zugang beneide! Draußen, vor der Kammer stand eine Frau, in ihre eigene Dumpfheit versunken: Sie studierte hingebungsvoll den Filmprojektor, als sei dieser das Objekt. Ich konnte mein Grinsen nicht unterdrücken. Diese Situation hätte dir auch gefallen. Der weiße Wagen mit der Treppe davor, Umleitung in die Welt des Hörens. Bin hinaufgestiegen, habe die schwerfälligen Türen aufgezogen, fand mich in einem Raum völliger Stille wieder. Setzte mich auf den filzüberzogenen Sockel in der Mitte, wartete. Wartete minutenlang. Wollte schon wieder gehen, als doch etwas geschah: Ein Klang wie von mächtigen Trommeln und klappernde Geräusche umgaben mich, waren so greifbar, überall, unmittelbar. Darf ich dir sagen, dass die Sequenz für meinen Geschmack zu kurz gedauert hat. Warum gibt es dieses Erlebnis nicht zu kaufen? Wollte gar nicht wieder hinaus und hinunter in das laute Licht.
Erst später der Film, über den ich im "Falter" merkwürdige Dinge gelesen hatte. Es ist nicht hilfreich, vorher über etwas zu lesen, was ich noch nicht kenne, kann ich dir sagen. Ich war ganz Teil der Inselwelt, gefangen im Meeresrauschen, sah dich an, wie du so anders dalagst als auf dem Autositz. Schöner, vertrauter, näher. Die Handlung ist Nebensache, gerade dieses "auf nichts warten Müssen" verstörte die anderen Besucher. Die Endlosschleife (du liebst diese Präsentationsform, oder?) fesselt doch irgendwie das Interesse, und auch die Beule auf deinem Kopf weckt eine gewisse Neugier. War es echtes Blut?
Das Meer, ja. Das Meer. Der Wind am Meer. Ich konnte das Wasser riechen, den Luftzug spüren. Ein Wunder, dass du nicht jedem von uns Zuschauern eine Kokosnuss an den Kopf geworfen hast! Dein Erwachen aus der Bewusstlosigkeit, in zäher, unendlich dickflüssiger Bewegung, deine unerwartet blauen Augen, die gedehnte Zeit und das Meer, das mächtigblaue Meer. Und die windgebogenen Palmen, der plumpe Papagei, deine Spuren im Sand, die unheilvolle Kokosnuss ... Erst die unablässige Wiederholung der banalen Vorgänge macht sie bemerkenswert oder bemerkbar - ist es das, was du meinst? Kann mich nicht entscheiden, ob ich noch einmal in den weißen Wagen gehen soll. Lasse es bleiben, liege nämlich viel zu bequem in deiner "Listening Lounge". Drehe das Gesicht zur Wand, zur weißen, sauberen Wand, forme Schlaufen mit dem Kopfhörerkabel, schließe die Augen. Höre nur deine Musik, die angeblich von Kurt Cobain beeinflusst ist. Diese Aussage drängt sich mir jedoch nicht auf, dazu kenne ich seine Lieder zu intensiv, deine zu wenig. Andere Ausstellungsbesucher hören sich nicht einmal alle Lieder an, sie erdulden mit eiligen Gesichtern ein, zwei Nummern und stürzen vom Podium hinab in die übrigen, hastig konsumierten Objekte. In den Pausen zwischen den Liedern schwappt das Meeresrauschen bis zu meinem Amöbenpolster. Warum darf ich ihn nicht mitnehmen?
Als die Überwachungskamera drohend auf mich zielt, erklingt gerade das letzte Lied. Langsam richte ich mich auf, so wie du am Strand in "Vexation Island", finde mich wieder in deiner Ausstellung, sammle meine überall in der Halle verstreuten Gedanken ein und gehe. Und hinter mir das Meeresrauschen. Und du.
(kre)
Hintergrund- oder auch
Zusatzinformationen:
"Mal stellt Graham mit Hilfe einer mobilen
Camera Obscura die Welt auf den Kopf, mal spielt er mit abstrakten Mustern, die
an Sternenkonstellationen erinnern und doch nur verglühender Zimt auf einer
elektrischen Spiralkochplatte sind (Coruscating Cinnamon Granules), dann wieder
begibt er sich auf die Spuren Kurt Cobains, des verstorbenen Masterminds der
Grunge-Gruppe 'Nirvana', um schließlich selbst eine Pop-CD zu produzieren (I'm
a Noise Man).
Rodney Graham ist ein Wanderer zwischen Fantasie
und Vernunft, zwischen Opulenz und Reduktion. Er schlüpft in die Rolle des
Entdeckers, des Forschers oder Versuchskaninchens. Präzision und Dilettantismus,
die Überlegenheit des Könners und die Frische der Begeisterung des Laien
halten sich dabei die Waage. Poetisch und spielerisch zugleich zeigt der 1949 in
Kanada geborene Künstler, wie Bilder und Dinge ihre Bedeutung ändern, wie sich
Wirklichkeit konstituiert und wie die Betrachter selbst an diesem Prozess
beteiligt sind.
Diese Einzelausstellung bietet einen Überblick
über Rodney Grahams Werk der letzten Jahre, ergänzt durch neue, erstmals in
Wien präsentierte Arbeiten. Gezeigt werden u.a. Camera Obscura Mobile (1996),
Halcion Sleep (1994), Coruscating Cinnamon Granules (1996), Vexation Island
(1997), The King's Part (1999) und I'm a Noise Man (1999)."
(Quelle: KUNSTHALLE wien)