Die
Tiere des alten Shōbee
(Auszug)
(...) Die
Schlange
öffnete ihr Maul, und ein kleiner Stein fiel heraus. Kaum war dies geschehen,
verschwand sie so plötzlich, als hätte sie der Berg geschluckt.
Der
Fischer nahm den Stein in die Hand und betrachtete ihn verwundert von allen Seiten.
Er war rund wie eine Kugel und glitzerte in den herrlichsten
Farben. Auch wenn
Shōbee noch nicht recht wusste, was er damit anfangen sollte, so freute er sich
doch sehr über das Geschenk und nahm es mit nach Hause.
Dort
zeigte er den Stein auch der Katze und sagte dann zu seinen Hausgenossen: "Na,
ihr zwei werdet wohl schon hungrig sein. Ich will uns das
Abendessen bereiten."
Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als
es in dem Kessel über der Feuerstelle auf einmal lustig zu brodeln begann
und sich ein verführerischer Duft über die Stube legte. Und auf dem Tisch
standen plötzlich allerlei Schälchen, gefüllt mit Brühe, Reis
und Nudeln
und vielen anderen gekochten und gebratenen Speisen. Es war alles da, was
das Herz begehrte, und selbst frisch zubereiteter Tee fehlte nicht. Sogar
an die Katze und den Hund war gedacht; für beide stand je ein großer Napf
bereit, der bis zum Rand mit Dingen gefüllt war, die sie am liebsten fraßen.
Fortan
hatte Shōbees Not ein Ende. Wollten er und seine Tiere ein Mahl zu sich nehmen,
brauchte er dies nur dem Stein zu sagen, und im Handumdrehen war der Tisch gedeckt.
Weil der Fischer ein gutes Herz hatte, dachte er auch an die im Dorf, die nicht
genug zu beißen hatten, und lud sie jeden Tag zu sich ein. Und ganz gleich, wie
viele auch kamen, der Wunderstein machte alle satt, und die armen Leute konnten
essen, so oft und so viel sie nur wollten.
Das
kam wieder dem Fürsten zu Ohren. Eines Tages schickte er einen Boten zur Hütte
des Fischers und ließ diesem ausrichten: "Man erzählt sich, dass du einen
überaus seltenen Stein besitzt. Den will ich mir einmal ansehen. Bringe ihn mir
noch heute in die Burg!"
Dieser
Aufforderung konnte Shōbee sich nicht widersetzen, und obgleich ihm nicht ganz
wohl bei der Sache war, tat er, wie ihm geheißen.
Den
Stein nahm man ihm gleich am Tor ab und wies ihn an, draußen vor der Burg zu
warten. Darüber verging Stunde um Stunde, bis es schließlich Abend wurde. Als
es ihm gar zu lange dauerte, fragte er die Wachen, wann er sein Eigentum denn
nun zurückbekäme. Die aber jagten ihn einfach davon.
Niedergeschlagen
kehrte der alte Mann nach Hause zurück. Er erzählte den Tieren, was vorgefallen
war, und meinte zum Schluss: "Den Stein sind wir zwar los, aber wenigstens
hat der Fürst nicht verlangt, dass ich euch beiden ein Leid antun soll. Darüber
bin ich von Herzen froh. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als euch zwei gesund
und munter zu sehen; dafür gäbe ich alle Wundersteine dieser Welt. Lasst uns
gute Kameraden bleiben und so wie bisher alles redlich miteinander teilen. Mehr
brauche ich nicht zum Glücklichsein."
Am anderen Morgen fuhr Shōbee wieder zum Fischen auf den
Fluss
hinaus. Der Hund und die Katze aber wollten sich mit dem Verlust des Steins
nicht abfinden und sie beschlossen, ihn zurückzuholen. (...)
Aus "Die Drachenprinzessin.
Japanische Märchen und Sagen"