Die Sau
Eines Tages begab es
sich, daß die Sau des Gütlers Peter Salvermoser auf die Wanderschaft ging und
durch den Zaun in das benachbarte Anwesen des hochwürdigen Herrn Pfarrers gelangte.
Sie nahm ihren Weg über die Blumenbeete, wobei sie achtlos Hyazinthen und Krokus
in die Erde trat und auch mehrere Zentifolien knickte.
Nicht weniger roh benahm sie sich auf den Gemüsebeeten. Sie zog solange Salatstauden
aus dem Boden, bis sie den Geschmack derselben als unzulänglich erkannte; hierauf
fraß sie verschiedene Sorten Monatrettiche und wollte eben untersuchen, ob in
der tiefer gelegenen Erdschicht noch etwas Genießbares gedeihe, als sie von
Fräulein Kordelia Furtwengler bemerkt wurde.
Diese war Köchin und Vorsteherin der pfarrlichen Haushaltung. Eine robuste Person
mit gut entwickelten Formen und von resolutem Gebaren. Sie griff ohne langes
Besinnen nach einem handlichen Stecken und eilte zornig hinaus, um den frechen
Eindringling zu treffen.
Da sie aber, wie alle Frauenzimmer, in den eigentlichen Kriegslisten wenig bewandert
war, hub sie zu früh das Feldgeschrei an, so daß der Feind ihr Nahen von weitem
bemerkte und rechtzeitig die Flucht ergreifen konnte.
Auf derselben richtete die Sau erhebliche Verwüstungen an, da sie das Loch im
Zaune nicht alsogleich fand, sondern erst in mehrerem Hin- und Herlaufen suchen
mußte.
Während sie ärgerlich grunzend heimkehrte, besah Fräulein Kordelia den Schaden
und jammerte in so lauten Tönen, daß der hochwürdige Herr seine Morgenandacht
unterbrach und sich nach der Ursache der frühen Störung erkundigte.
Beim Anblick des Geschädigten wurde die Köchin von Rührung übermannt, und sie
konnte nur mühsam unter verhaltenem Schluchzen das Geschehnis berichten.
Der Pfarrer vernahm es mit ersichtlichem Mißvergnügen. Zunächst, weil er selbst
ein Freund der eßbaren Gartenfrüchte
war, dann aber, weil die Missetäterin gerade dem Peter Salvermoser gehörte.
Mit diesem hatte es seine eigene Bewandtnis.
Er war im Pfarrhofe übel angeschrieben als Freigeist und lauer Christ, der im
Wirtshause nicht selten über kirchliche Einrichtungen böse Reden führte;
ja, es war ruchbar geworden, daß er über die Korpulenz des hochwürdigen Herrn
einige unflätige Witze gemacht hatte.
Auch als Nachbar benahm er sich gröblich und drohte in geringfügigen Dingen
mit Gericht und Advokaten.
Darum beschloß der Pfarrer, in diesem Falle von der christlichen Langmut abzusehen
und auf vollen Ersatz des Schadens zu dringen.
In dieser Absicht ließ er vom Bürgermeister einen Sühneversuch anstellen und
erschien selbst, um seine Beschwerde vorzutragen. Er tat es mit vielem Nachdruck
und hätte wohl auch die meisten Pfarrkinder überzeugt, allein auf Salvermoser
machten seine Worte keinen Eindruck. Peter war ein Mann von rauhen Sitten, dem
der Kampf des Lebens wenig Respekt vor der Obrigkeit belassen hatte; überdies
las er täglich die Zeitung und wußte deshalb mehr als mancher andere.
»I zahl durchaus gar nix«, sagte er, »indem daß i meiner Sau des net ang'schafft
hab'.«
»Auf diesen Einwurf war ich gefaßt«, erwiderte der Pfarrer, »allein man haftet
auch für den Schaden, den eines Haustier betätiget. Also will es das Gesetz.
«
»Wos?« schrie Peter mit gehobener Stimme, »wo schteht dös? Des gibt's gor it,
daß so was g'schrieben is. Aba i kenn mi scho aus. Der Adel und die Geischtlichkeit
ham 's Gsetz allemal no so draht, wia s' as braucht ham.«
»Du muaßt net so reden«, mischte sich der Bürgermeister ein, »mir san net do
zum Streiten, sondern zum Vergleicha.«
»I brauch koan Vergleich. I zahl durchaus gar nix. Wann der Pfarrer was will,
nacha soll er mei Sau verklag'n.«
»Salvermoser«, fiel hier der Diener Gottes ein, »deine Worte sind roh und verraten
ein böses Gemüt.«
»Soo? Do war mi schlecht, bal mi net zahlt, wos da Herr Pfarra gern möcht! Des
glaab i gar net, daß Sie dös sagen derfa. I zahl meine Steuern so guat wia der
Adel und die Geischtlichkeit! Des muaß i wissen, ob Sie des sagen derfa, Herrschaft
Sternsakrament!«
Jetzt bedeckte der Geistliche sein Haupt und sprach im Gehen zu dem Bürgermeister:
»Es sei ferne von mir, hier noch länger zu weilen! Ihr sehet selbst, daß gütige
Worte an dem FrevIer verschwendet wären.«
Dann begab er sich stehenden Fußes an die Bahn und fuhr nach München, woselbst
er den Rechtsanwalt Samuel Rosenstock aufsuchte.
Derselbe war ein vortrefflicher Jurist und mit allen Geheimnissen der Streitkunst
gar wohl vertraut. Er nahm sich des Prozesses mit Freuden an und begann ihn
sofort durch eine spitzfindige Klage, worin er ausführlich darlegte, daß der
beklagtische Gütler für das Benehmen seiner Sau voll und ganz einzustehen habe.
Allein auch Peter Salvermoser fand den Advokaten, welchen er suchte, und dieser
sagte in allem das Gegenteil von dem, was Samuel Rosenstock behauptete.
So kam es, daß sich der Prozeß in die Länge zog und die Gemüter der Streitenden
sich immer mehr erhitzten.
Sie führten auch außerhalb der Gerichtsschranken einen erbitterten Krieg gegeneinander,
und der Pfarrherr sah sich gezwungen, des öfteren von der Kanzel herunter seine
Pfarrkinder eindringlich zur Tugend und Frömmigkeit anzuhalten, auf daß sie
nicht würden wie Peter Salvermoser.
Dieser hingegen tat seinem Feinde Abbruch, wo er nur konnte. Er verminderte
heimlich die Anzahl der pfarrlichen Hühner
und Enten, er streute vergifteten Weizen in den Taubenkobel des hochwürdigen
Herrn und sorgte dafür, daß die
Forellen
in dem Fischkalter des Wassers entbehrten.
Auch die tugendsame Kordelia Furtwengler wurde in Mitleidenschaft gezogen. Ihre
Lieblingskatze verschwand auf rätselhafte Weise, und niemand im Dorfe glaubte
an den natürlichen Tod des treuen Tieres. Sie selbst wurde gröblich beschimpft
von Anna Maria Salvermoser, Ehefrau des mehrgenannten GütIers, als sie mit derselben
im Bäckerladen zusammentraf. Sie erfuhr hierbei, daß sie eine wampete Loas sei
und noch mehreres andere aus dem Sprachschatzes unseres Volkes.
So dauerte der Krieg in heftiger Weise fort, bis endlich das Gericht nach zwei
Jahren genügendes Material gesammelt hatte, um zu einem Erkenntnisse zu gelangen.
Es verkündete nunmehr, daß die Sau nicht in den Garten gekommen wäre, es hätte
denn der Zaun nicht ein Loch gehabt. Hierfür träfe niemanden das Verschulden,
als den Eigentümer des Zaunes.
Und damit hatte der Pfarrherr den Prozeß verloren. Viele wunderten sich darüber,
am meisten Samuel Rosenstock.
Als die Kunde von dem Geschehnisse in das Dorf gelangte, überkam ein tiefer
Ingrimm den hochwürdigen Herrn. Er begab sich in die Küche zu Kordelia Furtwengler
und erklärte der Erstaunten die ganze bodenlose Schlechtigkeit unseres Staatswesens.
Nicht so Peter Salvermoser. Dieser gewann Vertrauen in die Einsicht der von
Gott gesetzten Obrigkeit und freute sich in seinem schlichtem Gemüte.
(von Ludwig Thoma)
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