Der Schlangenkönig
Schlangenkönig wohnte auf einer fernen
Insel in der Ostsee, die gen Dänemark liegt, und hatte dort sein Schloss. Dieses
Schloss lag aber wieder in einer kleinen Insel, die in der großen Insel steckte,
wie der Krämer die kleinen Schachteln in die großen steckt. Dieses Inselchen
lag in einem großen Landsee. Da hatte Schlangenkönig sein Schloss unter einem
Hügel in der Erde gebaut, und es war sehr schön darinnen und schimmerte und
funkelte von Silber und Gold und Edelsteinen und hatte die allerprächtigsten
Gemächer. Darinnen saß Schlangenkönig ein armer verwandelter Prinz und wartete
auf seine Erlösung. Er war aber verwandelt wegen seiner Eitelkeit. Denn er war
ein wunderschöner Prinz gewesen und hatte viele schöne Prinzessinnen und Königinnen
und Kaiserinnen mit seiner Schönheit gelockt, aber keine geliebt sondern alle
mit wankelmütigem Herzen verlassen. Deswegen war er zur Strafe verwandelt worden,
damit er auch versuchte, was es heißt keine Liebe finden, und er mag nun wohl
als der Schlangenkönig kriechen müssen bis an den jüngsten Tag. Weil er nämlich
so viele arme Prinzessinnen betrogen hat, die er sitzen ließ und weiter ging,
so hat ihn die Strafe getroffen, und das Wort ist zu ihm gesprochen: "Sei der
Schlangenkönig und krieche als der Schlangenkönig und iss Erde und sauge Gift
aus Wurzeln und Kräutern und sei den Menschen ein Abscheu und den Tieren ein
Grauen, bis ein unschuldiges junges Blut sich über dich erbarmt und mit dir
zu Bett geht und dich ohne Grausen küsst. Das merke dir aber: wirst du dieser
wieder ungetreu, dann wirst du auf ewig in das tiefste höllische Feuer hinabgestoßen.
Schlangenkönig hatte bei seiner Verwandlung ganz die Farbe des Kleides behalten,
das er trug, weil er noch Prinz war. Er trug nämlich einen grün und gelb gestreiften
seidenen Rock, und jetzt schleicht er als eine schöne grün und gelb gestreifte
Schlange umher mit einer goldenen Krone auf
dem Kopf, und pfeift und zischelt wie eine Schlange, aber sprechen kann er nicht.
Nur sind gewisse Tage im Jahre, wo er singen darf, und da singt er mit so wunderschöner
und süßer Stimme, dass er schon manches arme Kind verlockt hat, mit ihm zu gehen
in sein Schloss, aber noch hat er keine einzige gefunden, die ihn hat küssen
wollen. Die aber mit ihm gegangen sind, müssen in seinem Schlosse sitzen, bis
er eine findet, die es über das Herz bringen kann, ihn in Liebe zu küssen. Die
das tut, das wird die Königin und alle die andern, die er hineingelockt hat,
werden ihre Dienerinnen. Und auf diese Weise allein können sie aus dem Schlosse
erlöset werden.
Nicht weit von dem See, wo Schlangenkönigs Schloss auf der Insel
war, lag ein Dorf, das hieß Thorstorp. Die Wiesen und Weiden dieses Dorfes
liefen bis an den See hinab, und da trieben die Kinder des Dorfs ihre Kühe hin
und hüteten sie daselbst. Unter diesen Hirtenkindern waren zwei, die hatten
einander sehr lieb und trieben ihre Herden fast immer zusammen. Es war eine
kleine Dirne, die hieß Margarethe, und ein Knabe, der hieß Jakob. Margarethe war
vierzehn Jahre alt und Jakob sechzehn. Sie waren beide beinahe erwachsen aber
unschuldig wie die kleinen Kinder und wussten nicht, warum sie einander so lieb
hatten. Aber dass sie sich über alles liebten, das ist wahr. Diese und die
andern Knaben und Mädchen, welche dort das Vieh hüteten, hatten Schlangenkönig
oft laufen sehen und mochten ihn gern leiden, denn er war sehr bunt und schön
und seine Krone funkelte auf das allerschönste. Der Schelm kam oft durch den See
geschwommen und ringelte sich im Grase herum und wand seinen schönen schlanken
Leib um die Bäume und Büsche, dass die Kinder seinen Spielen zusahen und ihre
Freude daran hatten. Aber ganz nah kamen sie ihm nicht, denn sie hatten doch ein
Grauen vor ihm, weil er Schlangengestalt trug, obgleich sie wussten, dass er
nicht biss und keinem was zu Leide tat. Die Kinder hatten noch nie einen Gesang
von ihm gehört, obgleich die Rede ging, der Schlangenkönig könne singen und habe
schon manche schöne Dirne verlockt, die nun in seinem Schlosse sitzen und weinen
müsse, sondern vor ihnen hatte er immer nur gezischelt, wie andere Schlangen
tun. Er durfte ja auch nicht alle Tage singen und außerdem war er viel zu klug,
als dass er sichs in Gesellschaft hätte merken lassen, dass er singen konnte;
denn da konnte es ihm ja zu nichts helfen. Nein, wann seine Singetage waren und
wenn er dann ein hübsches Kind allein belauschen konnte, dann ließ er seine
Stimme ertönen und brachte es gewöhnlich mit weg.
Eines Tages saß Jakob
mit seiner Margarethe hinter einem grünen Busche und die beiden Kinder erzählten
sich Geschichten und ihre Kühe grasten vor ihnen, die andern Hirten aber hatten
weiter abwärts getrieben. Da kam Botschaft, dass Jakob geschwinde zu Hause
musste. Er küsste seine liebe Margarethe und sagte: Margarethe, gib derweil auch
auf meine Kühe Acht, bis ich wiederkomme, und kommt der Schlangenkönig etwa, so
bleibe bei Leibe nicht allein, sondern treibe nur geschwinde zu den andern
Hirten hin. Er könnte dich wegsingen, denn der Schelm soll es in der Stimme
haben. Sie versprach es, aber rief dem weglaufenden Burschen lachend nach:
O das ist nur eine Fabel mit dem Singen des Schlangenkönigs, er kann ja
nicht einmal sprechen: der soll mich nicht wegsingen.
Jakob war kaum
hundert Schritt fort, so kam der Schlangenkönig über den See geschwommen und
ringelte sich dann in den allerlustigsten Kreisen über die Wiesen hin und machte
so viele niedliche Schlingungen und Windungen und richtete sein Köpfchen mit der
goldenen Krone so lieblich lächelnd und so hell guckend auf, dass die kleine
Margarethe recht ihre Freude daran hatte und ihr Versprechen, das sie Jakob
getan, auch ganz und gar vergaß. Und Schlangenkönig ringelte sich immer näher
heran und kroch auf einen grünen Baum, der vor Margarethen stand, und schaukelte
sich einige Minuten in seinen Zweigen herum, dann sang er mit der allersüßesten
und beweglichsten Stimme, als hätten hunderttausend Frühlingsnachtigallen
zugleich geschlagen, und Margarethe konnte nun nicht mehr von der Stelle und
musste ihm zuhören: sie saß, als wenn sie festgezaubert war, wiewohl sie an
ihres Jakobs Worte dachte. Er sang ihr aber diesen Gesang, den sie des
Schlangenkönigs Brautlied nennen, und womit er schon manche zarte Jungfrau in
sein Schloss gelockt hat:
Komm, schönes Jungfräuelein,
Schlafe bei
mir!
Ich hab' ein Goldringelein,
Das schenk' ich dir,
Ich hab' ein
Goldkämmerlein,
Das ist für dich,
Ich hab' ein Goldwiegelein,
Drin
wieg' ich dich.
Komm, schönes Jungfräuelein,
Schlafe bei mir!
Süßen
und kühlen Wein
Trinkst du bei mir,
Zucker heißt hier das
Brot,
Fleisch, Marzipan,
Äpfelchen rosenrot
Beißet dein
Zahn.
Komm, schönes Jungfräuelein,
Schlafe bei mir!
Dienerinnen
hübsch und fein
Warten der Tür,
Kammerfrau'n ohne Zahl
Stehen am
Bett,
Das in dem goldnen Saal
Hochzeitlich steht.
Komm, schönes
Jungfräuelein,
Schlafe bei mir!
Zieh in mein Schloss mit ein,
Treu bin
ich dir.
Heißa! wie fliegt zum Tanz
Lustig der Strich!
Du trägst den
Hochzeitkranz,
Bräut'gam bin ich.
Schlangenkönig hatte ausgesungen, blinzelte freundlich auf das Mägdlein herab,
kam dann herunter, schlug im Grase einige Ringelein um das Kind und sang gar
leise und leidig: Komm mit! Komm mit! Und Margarethe kam mit. Aber kaum war
sie zehn Schritt mit Schlangenkönig gegangen, so bedachte sie sich und wollte
zurückfliehen. Aber es war zu spät, sie war nun in Schlangenkönigs Gewalt: er
umzingelte sie und trug sie über die Wiese hin mit weg, und umsonst schrie sie:
Jakob! Jakob! hilf! hilf! und rief den andern Hirten
zu, aber weder Jakob noch die Hirten waren da, und Schlangenkönig kehrte sich
an ihr Geschrei nicht und rollte geschwinder als der Blitz mit ihr davon und
schwamm durch den See.
Als Schlangenkönig sie
über das Wasser nach der Insel hinübergetragen hatte, war er plötzlich
verschwunden, die kleine Margarethe aber war vor Angst ohnmächtig geworden und
wusste gar nicht, wie sie über den See gekommen war. Das war aber das
Sonderbarste, dass auch kein Tröpflein Wasser sich an ihre Locken und
Kleider
gehängt hatte noch durchgedrungen war: sie war ganz trocken auf die kleine Insel
gekommen. Und als sie sich wieder besinnen konnte, da befand sie sich in einem
wunderschönen Garten voll der allerlustigsten Bäume und buntesten Blumen; und es
war alles, wie das Lied gesungen hatte, an allen Zweigen hing Zucker und
Marzipan und rosenrote Äpfel und durch den Garten floss ein tiefer Bach von
Milch und Quellen süßen Weines sprudelten aus dem Hügel. Das Schloss aber unter
dem Hügel war noch viel schöner, als Schlangenkönigs Brautgesang es beschrieben
hatte, und waren so prächtige Säle und funkelnde Kammern und Gemächer darin,
dass kein Mensch die Herrlichkeit schildern könnte; und wenn man ihm auch eine
Ewigkeit Zeit gäbe, die schönsten Worte zu suchen, womit er es beschreiben und
ausmalen wollte, er kriegte es doch nicht fertig.
Und als Margarethe vor
dem Schlosse erschien, siehe da waren flugs wohl hundert Dienerinnen zur Stelle,
welche Kerzen und Lampen trugen. Diese führten sie in einen hohen Marmorsaal,
der mit Gold und Silber und Edelsteinen verziert war, und zogen ihr goldene und
silberne Kleider an und setzten ihr eine goldene Krone auf den Kopf und nannten
sie Königin und Herrin und sprangen dienend um sie herum und brachten ihr alles,
was sie nur verlangte. Diese Dienerinnen waren alle jung und trugen schneeweiße
Kleider und grüne Kränzlein im Haar und sahen die meisten mehr traurig als
fröhlich aus.
Und als es dunkelte und gegen die Nacht ging, kamen wieder
andere Jungfrauen und führten Margarethen in ein Kämmerlein, das blitzte und
funkelte wie eitel Gold, und dann stand ein goldenes Bett, auf welchem rosenrote
und himmelblaue seidene Kissen und Decken lagen. Und sie nahten sich ihr sehr
ehrerbietig und zogen ihr die Kleider aus und die Schuhe von den Füßen und
nahmen ihr die Krone vom Kopfe und legten sie dann weich ins Bett. Als sie das
getan, löschten sie die Lampen aus bis auf eine, und verneigten sich stumm und
schweigend und gingen weg.
Und es währte nicht lange, so flüsterte es und
knisperte und wisperte an der Türe, und die Türe that sich auf, und der
Schlangenkönig kam herein und kroch an Margarethens Bett und lispelte und
zischelte ihr leise zu: Willkommen, meine auserkorene Königin! willkommen, meine
süße Braut! Nun komme ich als dein Bräutigam zu dir, mein süßes Margrethchen!
wie ich dir unter dem grünen Baume vorgesungen habe; nun wird alles wahr werden!
O komm und nimm mich in deine Arme! und drücke mich an dein warmes Herz!
und küsse mich und habe mich recht lieb! Dann bin ich erlöst und du bist eine
reiche und große Königin. Denn ach! das ist mein trauriges Schicksal, solange
muss ich als Schlangenkönig auf der Erde herumkriechen, bis ein unschuldiges
Kind mich in Liebe umhalset und wieder in den schönsten Prinzen verwandelt, der
ich gewesen bin. Und er zischelte gar lose und leise und sah sie mit funkelnden
Augen an und hob seinen Kopf zu ihr hinauf, als wolle er zu ihr ins Bett steigen
- Margaretha aber schrie gewaltig und rief: Fort du buntes Scheusal! Nein nimmer
- nimmer - nimmermehr! und wenn du so schön wärest, als du hässlich bist. Ich
will deine Königin nicht werden, ich will in meinem Leben keinen andern
Bräutigam haben, als meinen lieben Jakob. - Und Schlangenkönig musste sich
ducken und fliehen.
Und als es Tag geworden war, kamen dieselben weißen
Jungfrauen, die Margarethen ausgekleidet hatten, und zogen ihr die prächtigen
Königskleider wieder an und setzten ihr die güldene Krone wieder auf das Haupt
und die andern im Saale und vor der Türe verneigten sich nun vor ihr und
bedienten sie. Und sie ging im Schlosse und im Garten umher und besah sich allen
den Glanz und die Pracht. Aber weiter als den Garten konnte sie nicht kommen;
denn es lief eine himmelhohe kristallene Mauer rings um ihn herum und seine Tore
waren dicht verschlossen. Sie sah aber den ganzen Tag nicht das Geringste von
Schlangenkönig, und das war ihr sehr lieb. Aber an ihren Jakob hat sie viel
denken und oft bitterlich weinen müssen und sie hat gerufen mitten in der
schimmernden Herrlichkeit: O mein lieber Jakob! säße ich nur mit dir jetzt
in einem schlechten Kleide unter einem grünen Baum, wie viel glücklicher wäre
ich! Pfui der abscheuliche Schlangenkönig! wie hat er mich verlockt und verführt
durch seinen Gesang!
Und als es Nacht ward, führte man sie eben so wie
gestern in ihre Goldkammer und brachte sie ins Bett und löschte die Lampen. Und
auch der Schlangenkönig kam eben so wieder wie gestern und schlich an ihr Bett
und flehte, dass sie ihn ins Bett nehmen und lieb haben und Königin werden
sollte. Sie aber ward noch viel böser als gestern und jagte ihn mit schlimmen
Worten fort. Und Schlangenkönig musste traurig wieder aus der Kammer kriechen
und die Nacht wieder auf der kalten feuchten Erde schlafen.
So ging es
noch drei Tage und Schlangenkönig versuchte noch dreimal, ob das Kind ihn lieb
gewinnen und bei ihm schlafen wolle. Sie aber rief immer: Fort fort, du blanker
gleißender Gaukler! Jakob wird mein Mann und kein anderer in
Ewigkeit!
Mit dem fünften Male waren auch die Proben vorbei, welche
Margrethchen auszustehen hatte, und der traurige Schlangenkönig rief nun den
Frauen und Dienerinnen zu, dass sie sie des Schmuckes entkleiden und aus der
goldnen Kammer führen mögen, und sagte zu Margarethen: Nun bist du nicht mehr
Königsbraut und kannst es nimmermehr werden, wenn du auch wolltest. So ist die
Ordnung des Schicksals hier. Du bist hinfort eine schlechte Dienerin, gehe darum
zu den andern Dienerinnen und warte der hohen Frau, die da kommen und mich
erlösen soll. Er meinte aber diejenige, welche sich über ihn erbarmen und ihn
von Herzen küssen und liebhaben und Königin und Herrin aller dieser Dienerinnen
werden würde, welche seine Liebe verschmäht hatten.
Und Margarethe hatte jetzt ein weißes Kleid an und trug ein grünes Kränzlein
und musste mit den andern jungen Dirnen vor der Türe des Schlosses und in dem
großen Saale stehen und warten. Es waren lauter junge Kinder die Dienerinnen
und Kammerfrauen, keine unter dreizehn Jahren und keine über siebzehn, wohl
mehr als hundert und fünfzig an der Zahl, alle hübsch und fein. Mit einer jeden
hatte Schlangenkönig es eben so versucht, wie mit Margrethchen, aber keine einzige
von so vielen hatte sein Flehen erhören und ihn lieb haben wollen. Diese niedlichen
Kinder waren nun freilich recht fein gekleidet und hatten der Speise und des
Trankes und was sie zum Leben bedurften vollauf, auch wurden sie mit keiner
Mühe und Arbeit geplagt und konnten den Tag singen und tanzen und oft auch in
dem schönen Garten spazieren gehen und sich
Blumen pflücken und die Vögelein
in den Zweigen auf das allerlustigste singen hören; aber die Zeit ward ihnen
doch herzlich lang in aller dieser Pracht und die meisten waren voll Traurigkeit
und Sehnsucht. Die eine sehnte sich nach Vater und Mutter, die andere nach Bruder
und Schwester, die dritte nach einem Herzallerliebsten; Margarethe
sehnte sich nach nichts als nach ihrem lieben Jakob, von welchem sie sich
so jämmerlich hatte weglocken lassen.
Jakob war bald gekommen, nachdem Margarethe von Schlangenkönig
entführt worden war, und suchte seine Margarethe im Walde und auf der Weide bei
den andern Hirten. Er fand sie nirgends, aber die Hirten sagten ihm,
Schlangenkönig werde sie wohl weggefangen haben. Jakob hörte auch bald von einem
Manne, der da unten am See pflügte, er habe in der Ferne ein Gewimmer gehört und
das möge die entführte Margarethe wohl gewesen sein. Der kleine Jakob war sehr
traurig und musste jeden Tag ja jede Stunde an sein Margrethchen denken und
immer nach der Insel hinüber schauen, zu welcher sich kein Mensch wagte; denn es
ging die Sage, derjenige müsse gleich des blassen Todes sein, der sich ohne ein
sicheres Pfand in dieses Gebiet des Schlangenkönigs wage. Da schaute Jakob
traurig und sehnlich hinüber und seufzte: Ach Margrethchen! Margrethchen! warum
hast du dir die Ohren nicht zugestopft, als der lügnerische und gleißnerische
Schelm sang? und rief auch wohl zuweilen für sich: Halt dich wacker,
Margrethchen! werde keine Königin, Margrethchen! Das hatte er aber gewiss nicht
nötig; denn Margarethe war ihm treu wie Gold. Das war ihm aber das
Allertraurigste bei dieser Geschichte wenn er Schlangenkönig über die Wiesen
hinschlüpfen sah in seinem bunten Rock, dass er ihm nichts tun durfte.
So
waren Jakob zwei Jahre verflossen in Gram und Traurigkeit über seine liebe
verlorne Margarethe, da hörte er von einem alten Schäfer einen Rat, wie man
verzauberter Prinzen und Prinzessinnen und selbst der Hexen und Hexenmeister
Herr werden könnte, und wenn sie noch so schlimm wären. Und Jakob ging flugs in
den Wald und hieb sich einen großen knotigen Dornstock aus einem Dornstrauch,
welcher der Kreuzdorn heißt, und darauf schnitt er noch ein Kreuz aus. Als nun
der Schlangenkönig das nächste Mal wieder über die Wiese hinschlängelte, fasste
Jakob sich ein Herz und fuhr auf ihn zu, so dass der Schlangenkönig sich
verwunderte, was der Bauerbursche wolle; denn er war es nicht gewohnt, dass die
Leute auf ihn losgingen, sondern, dass die meisten vor ihm flohen. Und
Schlangenkönig dachte bei sich: Den Bauerjungen will ich schon jagen, dass ihm
die Haare auf dem Kopfe sausen sollen; und er richtete sich auf und sprühte
Funken aus den glänzenden Augen und streckte die zischende Zunge aus und machte
seine Krone auf dem Kopfe feuerrot vor Zorn und zuckte mit dem Rücken, als wolle
er auf Jakob springen. Aber Jakob ging ihm fest entgegen und rief: Komm nur her,
Herr Heidenkönig! komm nur her! Ich bin nicht bange vor dir, du sollst schon
Gemach lernen. Und als Schlangenkönig gegen ihn sprang, berührte er ihn nur
leise mit seinem Dornstock, und o Wunder! Schlangenkönig krümmte sich und
wand sich um den Dornstock, wie die Rebe sich um ihren Stab windet. Und Jakob
freute sich und rief voller Freude: Halt fest, mein Prinzchen! ich muss mein
Kunststück versuchen. Und er nahm den Stock und schwang ihn dreimal um den Kopf,
dass er durch die Lüfte sauste, und Schlangenkönig hielt fest, als wenn er daran
gewachsen wäre. Der Stock ist gut und der Schäfer ist nicht dumm, sprach Jakob,
und fragte Schlangenkönig: Schlangenkönig willst du mir Margrethchen
wiedergeben, so mache ich dich stracks los und du magst hingehen, wohin du
willst. Schlangenkönig aber schüttelte den Kopf. Und Jakob sprach wieder: So
fahrwohl für heute, mein Prinz! friere die Nacht hier und bedenke dich bis
morgen. Und er nahm den Dornstock und stieß ihn fest in die Erde, und
Schlangenkönig hing darum, und es sah gar lustig aus.
Den andern Morgen
kam Jakob wieder und sprach zu Schlangenkönig: Schlangenkönig willst du mir
Margrethchen wiedergeben? Schlangenkönig aber schüttelte mit dem Kopf noch
stärker als gestern. Da ward Jakob sehr böse und ging hin und schnitt sich einen
frischen Haselstock und sprach: Ich muss wohl einmal dein buntes Jäckchen
fragen, was das zu dem Scherze sagt; vielleicht gibt mir das eine gescheitere
Antwort. Und er schlug Schlangenkönig auf seinen bunten Rock, dass er sich
krümmte wie ein Ohrwurm und die Zunge laut zischelnd ausstreckte, aber er nickte
nicht mit dem Kopfe: Jakob ich will dir Margrethchen wiedergeben. Als Jakob
meinte, dass er ihn diesmal genug geschlagen habe, ging er weg und sprach: Für
heut ist's genug, bedenke dich bis morgen.
Den dritten Morgen kam Jakob
wieder und sprach zu Schlangenkönig: Schlangenkönig gestern und vorgestern
fragte ich dich: Schlangenkönig, willst du mir Margrethen wiedergeben? Heute
kommst du so wohlfeilen Kaufs nicht ab; heut heißt es: Schlangenkönig willst du
mir Margrethen wiedergeben und alle die armen Jungfrauen, die in deinem Schlosse
und Garten eingesperrt sind? Und Schlangenkönig schüttelte zweimal mit dem
Kopfe. Da nahm Jakob seinen Haselstock, und schlug ihn unbarmherzig, so viel als
er schlagen konnte, so dass der Schlangenkönig ihn fast jammerte; aber doch
nickte und kopfschüttelte Schlangenkönig ihm kein Ja zu. Da sagte Jakob: Heut
ist das letzte Mal, dass ich Geduld habe. Du magst hier an dem Dornstock
verfaulen, denn du kommst in Ewigkeit nicht los, wenn ich dich nicht löse. Also
noch einmal und das letzte Mal, bedenke dich bis morgen.
Und als Jakob
den vierten Morgen wiederkam, fragte er Schlangenkönig wieder: Schlangenkönig
willst du mir Margrethchen wiedergeben und die andern Jungfrauen, dass sie frei
aus deinem Gebiete weggehen und eine jede so viel mittragen dürfen, als sie mit
den Händen tragen können? Und Schlangenkönig war mürb geworden, denn es hatte
diese Nacht sehr gefroren, und ihn hungerte und durstete gewaltig, auch sah er,
dass Jakob einen frischen Haselstock in der Hand führte doppelt so dick als der
vorige. Und Schlangenkönig ließ es diesmal auf den Stock nicht ankommen und
nickte dreimal mit dem Kopfe Ja. Und Jakob sagte zu ihm: Schlangenkönig schwöre
mir's bei deiner Seligkeit und bei der Hoffnung, die du hegst, dieser hässlichen
bunten Haut einmal ledig zu werden - und Schlangenkönig nickte ihm den Schwur
auch dreimal zu.
Als dies geschehen war, nahm Jakob sein Messer und
schnitt das Kreuz glattweg von dem Kreuzstock, worum Schlangenkönig geschlungen
hing, und in demselben Augenblick glitt Schlangenkönig herunter und ringelte
sich im Grase und machte sich die erfrornen und zerschlagenen Glieder erst
wieder ein wenig geschmeidig. Darauf kroch er vor Jakobs Füße und richtete sich
auf und senkte sich dann wieder vor ihm, wie ein kluges und gehorsames Pferd
sich erst vor dem Reiter zu richten und wieder zu senken pflegt, dass er
aufsteige. Und Jakob verstand den Wink, denn er wusste wohl, dass zu der Insel
weder Brücke führte noch Nachen ging; und er zeichnete sich mit dem Zeichen des
heiligen Kreuzes und betete ein Gebet und rief: Nun in Gottes Namen! und so
schwang er sich auf sein buntes Pferd. Und sausend fuhr Schlangenkönig mit ihm
über die Wiese dahin und in einem Hui hatte er ihn über das Wasser
getragen.
Schlangenkönig sprang nun gegen das eiserne Gartentor, welches kein anderer
öffnen konnte als er, und das Tor tat sich sogleich auf, und sie gingen beide
hinein. Da fand Jakob seine Margarethe wieder, und wie sich die beide gefreut
haben, wer will das beschreiben? Aber unendlich ward der Jubel im Schlosse und
Garten und klang und brauste aus allen Stimmen zum Himmel, als Jakob verkündigte,
alle eingefangene Jungfrauen sollen nun wieder frei sein und mit ihm und Margrethen
aus dem verzauberten Schlosse und
Garten ziehen. Und er hieß die hübschen Kinder
sich tummeln und einpacken, was jedes mitnehmen wolle, denn in zwei Stunden
solle die Reise von der Insel vor sich gehen. Und sie liefen die eine hiehin
die andere dahin und waren sehr geschäftig, aber Schlangenkönig war sehr traurig
und sah es mit weinenden Augen an. Und als Jakob ihn so traurig sah, jammerte
ihn seines Schicksals und dass er in dem scheußlichen Schlangenrock gehen musste
wegen seiner früheren Sünden und Schulden, bis ein unschuldiges junges Blut
sich über ihn erbarmte und ihn lieb hätte. Und er tröstete ihn und sprach: Schlangenkönig
sei du nur nicht so traurig, dass diese alle von dir gehen und wieder zu den
Ihrigen reisen wollen; denn von diesen allen kann dich ja doch keine einzige
mehr erlösen. Und dass sie dir das Schloss ein bisschen leer machen, das schadet
dir ja auch nichts: du behältst immer noch Schätze und Herrlichkeiten genug.
Du jammerst mich und ich will dir darum noch einen guten Rat geben, und den
verschmähe nicht. Lass dein trotziges und herrisches Wesen fahren und sei nicht
so klug und listig. Denn mit Klugheit und List richtest du es nicht aus, das
hast du wohl lange merken können, und obgleich du der Schlangenkönig heißeste
bist du gewiss nicht verwandelt worden, dass du ein Herr sein sollst, sondern
ein Diener sollst du sein und dienen sollst du lernen in
Reue
und Buße über deine begangenen Sünden, damit derjenige sich über dich erbarme,
welcher der Herr aller Könige ist. So ist es gemeint mit dem bunten Schlangenrock,
den du tragen musst: du sollst demütig und gehorsam werden, so magst du noch
wohl Liebe und Erlösung finden. Aber ein trotziges und listiges Herz, das keine
Demut hat, kann auch keine Liebe in der Brust haben; und wie kannst du glauben,
dass ein junges unschuldiges Herz den Schlangenkönig umarmen soll, wenn es ihm
nicht anmerkt, dass Liebessehnsucht und Frömmigkeit in ihm wohnt?
So sprach Jakob ganz
beweglich zum Schlangenkönig, und als die Jungfrauen und Margarethe fertig
waren, da rief er: Tu uns auf, Schlangenkönig! Und Schlangenkönig stieß mit dem
Kopf gegen das Eisentor des Gartens und es sprang weit auf; und sie gingen alle
heraus und Schlangenkönig ging mit ihnen. Als sie nun an das Wasser kamen, war
da weder Brücke noch Nachen, und Jakob sprach. Hurtig, Schlangenkönig! mach
Anstalt! mach uns die Brücke fertig! Schlangenkönig aber konnte es nicht lassen,
er brauchte wieder eine List und spannte ein dünnes glänzendes Spinnwebchen wie
einen Bogen über das Wasser von einem Ufer zum andern und sprach lächelnd: Ich
kann euch nicht helfen, dies ist die einzige Brücke, auf welcher man von dieser
Insel über den See kommen kann. Er hoffte aber in seinem Herzen, es werde
niemand darauf treten, aus Furcht zu ersaufen, und so werde er durch diese
Feinheit alle die Jungfrauen glücklich da behalten als Dienerinnen und den Jakob
obenein als Diener. Aber Jakob hatte von solchen Kniffen der Geister schon oft
gehört, nahm sein Margrethchen an die Hand und rief: In Gottes Namen! alle mir
nach! Und so sprang er auf die dünne Spinnwebbrücke und Margrethchen mit ihm,
und in demselben Augenblicke legte sich die Spinnwebenbrücke als die schönste
und breiteste Marmorbrücke über das Wasser, und er und Margrethchen und die
andern Jungfrauen gelangten glücklich hinüber. Und als sie alle am Lande waren,
war die Brücke in der Sekunde wie versunken und man sah keine Spur mehr von ihr,
auch nicht einmal das Spinnwebenfädchen. Und sie waren alle froh aber erstaunt
und sahen und hörten nichts als ein leises Wimmern hinter sich; das war wohl der
Schlangenkönig, der über seine schönen Jungfrauen weinte.
Jakob lief nun
über die Wiese hin mit seinem Margrethchen und mit der schneeweißen
Jungfrauenschar, die er erlöst hatte, und sie zogen jubelnd und jauchzend in
Thorstorp ein. Und alle Leute sind entsetzt gewesen über diesen Geschichten und
haben lange erzählt von Jakobs Abenteuer in allen Landen und haben die
Ausführung der schönen Jungfrauen aus dem Zauberschlosse Jakobs Auszug genannt.
Und die feinen jungen Dirnen haben zu Jakob und Margrethchen freundlich Ade
gesagt und sind weggegangen und glücklich wieder zu den Ihrigen gekommen; und
weil sie sich Gold und Silber und kostbare Kleider aus Schlangenkönigs Schlosse
mitgebracht hatten, so haben sie alle gar bald junge und hübsche Bräutigame
gehabt. Und Jakob ist der Bräutigam seiner Margrethe geworden und sie haben bald
eine lustige Hochzeit gehalten.
Sie sind aber hier in Thorstorp nicht geblieben, denn die Nachbarschaft der
Insel, wo Schlangenkönig hauste, deuchte ihnen zu gefährlich, sondern sie sind
weiter zurück ins Land hinauf gezogen und haben sich da für die mitgenommenen
Schätze ein schönes Gut gekauft und in Freuden gelebt. Von dem Schlangenkönige
und ob er seitdem erlöst worden, haben sie nie wieder was gehört.
(von Ernst Moritz Arndt; 1769-1860.)