(...)
Am folgenden Morgen, da die Gesellschaft zur Jagd aufbrach, war Leontin schon
lange draußen im Walde. Er hatte sich von den Jägern im allgemeinen die Gegend
bezeichnen lassen, wo die Jagd gehalten werden sollte, und war noch vor Tagesanbruch
allein herausgeritten. Denn ihm waren alle die weitläufigen und schulgerechten
Zurüstungen, die einer solchen allgemeinen Jagd immer vorherzugehen pflegten,
in den Tod verhaßt. Er durchstrich daher an dem frischen Morgen allein die einsame
Heide, wo ihn oft plötzlich durch eine Lichtung des Waldes die herrlichsten
Aussichten überraschten und stundenlang festbannten. So folgte er dem lustigen
Jagdgewirre immer von weitem nach. Und wie unter ihm die Wälder rauschten, hin
und wieder Schüsse fielen, und zwischen dem Gebell der Hunde die Hörner von
Zeit zu Zeit ertönten, da dichtete seine frische Seele unaufhörlich seltsame
Lieder, die er sogleich sang, ohne jemals ein einziges aufzuzeichnen. Denn was
er aufschrieb, daran verlor er sogleich die freie, unbestimmte Lust. Es war,
als bräche das Wort unter seiner Hand die luftigen
Schwingen.
Er beherrschte nicht, wie der besonnene
Dichter,
das gewaltige Element der Poesie, der Glückliche wurde von ihr beherrscht.
Unterdes war die Sonne schon hoch über die Wipfel des Waldes gestiegen, nur
noch hin und her gaben die Hunde einzelne Laute, kein Schuß fiel mehr und der
Wald wurde auf einmal wieder still. Die Jäger durchstrichen das Revier und riefen
mit ihren Hifthörnern die zerstreuten
Schützen
von allen Seiten zusammen. So hatte sich nach und nach die Gesellschaft, außer
Leontin, zusammengefunden und auf einer großen, schönen Wiese gelagert, die
kühl und luftig zwischen den Waldbergen sich hinstreckte. Mehrere benachbarte
Edelleute waren schon frühmorgens mit ihren Söhnen und Töchtern im Walde zur
Jagd gestoßen und vermehrten nun den Trupp ansehnlich. Die Mädchen saßen, wie
Blumen in einen Teppich gewirkt, mit ihren bunten Tüchern lustig
im
Grünen, reinlich gedeckte Tische mit Eßwaren und Wein standen schimmernd
unter den kühlen Schatten, die Tante ging, alles fleißig und mit gutem Sinne
ordnend, umher. Julie hatte, während Friedrichs und Leontins Aufenthalte auf
dem Schlosse, den benachbarten Fräulein schon manches von den beiden Fremden
geschrieben, vielerlei seltsame Dinge hatte der Ruf, der auf dem Lande alles
Fremde um desto hungriger ergreift, je seltener es ihm kommt, zu ihnen getragen.
Friedrich hatten sie nun kennen gelernt, aber seine ruhige, einfache Sitte befriedigte
die jungen, neugierigen Seelen keineswegs. Und doch hatte ihnen Julie immer
nur von ihm mit so vieler Wärme und Ausführlichkeit geschrieben, Leontin aber
bloß mit einigen flüchtigen Worten berührt, aus denen sie niemals recht klug
werden konnten. Auf einmal trat auch dieser gegenüber auf der Höhe aus dem Walde,
und alle die jungen, schönen Augen flogen der hohen, schlanken Gestalt zu. Er
konnte sich nicht enthalten, als er unter sich das bunte Lustlager erblickte,
seinen Hut überm Kopf zu schwenken. Man erwiderte von unten seine Begrüßung,
wobei sich insbesondere Viktor wieder auszeichnete. Er warf seinen Hut mit fröhlicher
Wut hoch in die Luft, ergriff
schnell seine Büchse und schoß ihn so im Fluge, zu nicht geringem Schrecken
der sämtlichen Frauenzimmer, wieder herab.
Leontin war indes hinabgestiegen, und alles rückte sich nun um die reichbedeckten
Tische zusammen. Die Jäger lagen, ihre Weinflaschen in der Hand, hin und her
zerstreut, ihre Hunde
lechzend neben ihnen auf den Boden hingestreckt. Der freie Himmel machte alle
Herzen weit, der Wein blickte golden aus den hellgeschliffenen Gläsern, wie
die Lust aus den glänzenden Augen, und ein fröhliches Durcheinandersprechen
erfüllte bald die Luft. Unter den fremden Fräulein befand sich auch eine Braut,
ein hübsches, junges, sehr munteres Mädchen. Ihr Bräutigam war ein schöner,
schlanker Landjunker mit einem bedeutenden Gesicht voll Leben, um das es jammerschade
war, daß es durch einige rohe Züge entstellt wurde. Er mußte sich auf das tumultuarische
Andringen sämtlicher Alten feierlich neben seine Braut setzen, welches er auch
ohne weiteres tat. Könnte ich es nur ein einziges Mal in meinem Leben so weit
bringen, sagte Leontin zu Friedrich, so einen stattlichen, engelrechten Bräutigam
vorzustellen! So eine öffentliche Brautschaft ist wie ein Wirtshaus mit einem
abgeschabten Cupido am Aushängeschilde, wo jedermann aus und eingehen und sein
bißchen Witz blicken lassen darf.
Wehe der Braut, die unter lustige Trinker gerät! So wurde auch hier nach rechter
deutscher Weise dem Brautpaare bald von allen Seiten mit kernigen Anhängen zugetrunken,
wofür sich die junge Braut immer zierlich und errötend bedankte, indem sie jedesmal
ebenfalls das Glas an den Mund setzte. Auch Leontin, der sich an dem allgemeinen
Getümmel von guten und schlechten Einfällen ergötzte, und dem die feinen Lippen
der Braut rosiger vorkamen, wenn sie sie in den goldenen Rand des Weines tauchte,
setzte ihr tapfer zu und trank mehr als gewöhnlich.
Die alten Herren hatten sich indes in einen weitläufigen Diskurs über die Begebenheiten
und Heldentaten der heutigen Jagd verwickelt und konnten nicht aufhören, zu
erzählen, wie jener Hase so herrlich zu Schuß gekommen, wie jener Hund angeschlagen,
der andre die Jagd dreimal gewendet usw. Leontin, der auch mit in das Gespräch
hineingezogen wurde, sagte: Ich liebe an der Jagd nur den frischen Morgen, den
Wald, die lustigen Hörner und das gefährliche, freie, soldatische Leben. Alle
nahmen sogleich Partei gegen diesen ketzerischen Satz und überschrieen ihn heftig
mit einem verworrenen Schwall von Widersprüchen. Die eigentlichen Jäger von
Handwerk, fuhr Leontin lustig fort, sind die eigentlichen Pfuscher in der edlen
Jägerei, Narren des Waldes, Pedanten, die den Waldgeist nicht verstehen; man
sollte sie gar nicht zulassen, uns andern gehört das schöne Waldrevier! Diese
offenbare Kriegserklärung brachte nun vollends alles in Harnisch. Von allen
Seiten fiel man laut über ihn her. Leontin, den der viele Wein und die allgemeine
Fehde erst recht in seine Lustigkeit hineinversetzt hatte, wußte sich nicht
mehr anders zu retten: er ergriff die Gitarre, die Julie mitgebracht, sprang
auf seinen Stuhl hinauf und übersang die Kämpfenden mit folgendem Liede:
Was wollt ihr in dem
Walde haben,
Mag sich die arme Menschenbrust
Am Waldesgruße nicht erlaben,
Am Morgenrot und grüner Lust?
Was tragt ihr Hörner
an der Seite,
Wenn ihr des Hornes Sinn vergaßt,
Wenn's euch nicht selbst lockt in die Weite,
Wie ihr vom Berg frühmorgens blast?
Ihr werdt doch nicht
die Lust erjagen,
Ihr mögt durch alle Wälder gehn;
Nur müde Füß' und leere Magen
Mir möcht' die Jägerei vergehn!
O nehmet doch die Schneiderelle,
Guckt in der Küche in den Topf!
Sonntags dann auf des Hauses Schwelle
Krau' euch die Ehfrau auf dem Kopf!
Die Tierlein selber:
Hirsch
und Rehen,
Was lustig haust im grünen Haus,
Sie fliehn auf ihre freien Höhen,
Und lachen arme Wichte aus.
Doch, kommt ein Jäger,
wohlgeboren,
Das Horn irrt, er blitzt rosenrot,
Da ist das Hirschlein wohl verloren,
Stellt selber sich zum lust'gen Tod.
Vor allem aber die Verliebten,
Die lad ich ein zur Jägerlust,
Nur nicht die weinerlich Betrübten
Die recht von frisch und starker Brust.
Mein Schatz ist Königin
im Walde,
Ich stoß ins Horn, ins Jägerhorn!
Sie hört mich fern und naht wohl balde,
Und was ich blas, ist nicht verlorn.
Ich glaube, ich blase
gar schon aus
des
Knaben Wunderhorn, unterbrach er sich hier selber, und sprang schnell
von einem Stuhle. Die ganze Gesellschaft war durch das lustige Lied wieder mit
ihm ausgesöhnt, der Streit war vergessen, und von allen Seiten wurde auf die
Gesundheit des Sängers getrunken.
(....)
(aus "Ahnung
und Gegenwart" von Eichendorff)
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