(...) Bim brachte ihnen bei, wie man den Cocktail 'Grenzkonflikt' mixte. Das ging ziemlich einfach. Man kippte etwas Sojasauce in reinen Wodka und preßte eine halbe Zitrone hinein, dann rührte man diesen Cocktail kräftig und trank ihn auf Ex. Viktor probierte, hatte aber keine besonderen Geschmackseindrücke, vielleicht war seine Stimmung daran schuld, oder auch die Müdigkeit.
"Siehst du", sagte Eldar Iwanytsch, der dem 'Grenzkonflikt' bereits ausgiebig zugesprochen hatte. "Ich würde ja verstehen, wenn sie deinen Bruder oder deinen Sohn nach Tschetschenien geschafft hätten! Dann würde ich jetzt alles tun, daß du ihn findest, ich bin schließlich Russe. Aber du vergießt hier Tränen über einen Pinguin ... Das ist irgendwie weder männlich noch russisch ... Trinken wir lieber auf den Sieg der russischen Waffen!"
Viktor runzelte die Stirn. Er vergoß ja keineswegs Tränen, und wenn sein Gesichtsausdruck gramvoll und ernst war, dann war darin nichts, dessen er sich schämen müßte.
"Sie verstehen nicht", sagte er mit schon schwerer Zunge. "Ich habe Ihnen ja nicht gesagt, daß er operiert wurde. Um ihn zu retten, hat man ihm ein Kinderherz eingepflanzt, sonst wäre er schon gestorben! Ich habe seinen Platz im Flugzeug besetzt! Und er sollte doch in die Antarktis fliegen, damit er wenigstens in der Heimat stirbt! ..."
"Du hebst ja ganz schön ab!" nickte Eldar Iwanytsch und tauschte wieder Blicke mit Bim, die jetzt schon eindeutig vielsagend waren. "Du hängst nicht zufällig an der Nadel? ... Denkst du, Tschetschenien ist weiter weg als die Antarktis? Ich kann dich innerhalb von zwei Nächten nach Tschetschenien befördern! Willst du?"
Viktor seufzte schwer. Die Unterredung ähnelte zusehends einem betrunkenen Geschwafel. Er erkannte, daß es gar keinen Sinn hatte, weiter zu erzählen oder weiter mit diesem Liquidator über Mischa-Pinguin und überhaupt alles, was ihm, Viktor, teuer war, zu reden.
Aber Eldar Iwanytsch dachte nach. Dann zog er aus der Anzugtasche ein Handy und wählte eine Nummer.
"Artur! Hör mal, die Tour geht doch heute nacht? Komm doch mal her, ich bin im 'Peking'. Das war`s, Ende!"
Er schaltete das Handy aus und legte es auf das Tischtuch.
"Weißt du", sagte er todernst, "du hast eine Minute." Dabei fixierte er den Sekundenzeiger auf seiner Armbanduhr. "Wenn du mir dann vor dem Zeugen hier ohne wenn und aber sagst 'Ja!', dann schicke ich dich auf meine Kosten nach Tschetschenien, und du kannst da deinen Pinguin mit dem verpflanzten Herz suchen, bis sie dich abknallen oder, weiß der Teufel, bis du ihn findest!"
Ein böser Funke glomm in den Augen des gebräunten Liquidators. Viktor sah ihm ins Gesicht und begriff allmählich, daß Eldar Iwanytsch nicht scherzte. Und dieser böse Funke in seinen Augen weckte auf einmal bei Viktor eine verzweifelte Entschlossenheit. Er hörte die letzten Sekunden der verstreichenden Minute förmlich ticken und stieß hastig aus: "Ja!"
"Oh!" Eldar Iwanytsch sah Bim an und mixte sich den nächsten 'Grenzkonflikt'-Cocktail. "Und ich dachte schon, wir wären die letzten echten Männer!" Auf sein bronzefarbenes Gesicht legte sich wieder ein angespanntes Lächeln. Er sah Viktor erneut in die Augen, und jetzt war sein Blick süß wie Sirup. "Dann rate ich dir, dich in der nächsten halben Stunde bewußtlos zu saufen. Das ist natürlicher, als Schlafmittel zu nehmen oder sich irgendeinen Dreck zu spritzen. Auf die Befreiung des Pinguins aus der tschetschenischen Gefangenschaft, und auf den Sieg der russischen Waffen!"
Sie stießen an und tranken.
"Übrigens siegen die russischen Waffen in jedem Fall!" ergänzte Eldar Iwanytsch grinsend. "Damit kämpfen ja die einen wie die anderen!" (...)


(aus "Pinguine frieren nicht" von Andrej Kurkow)