Aus "Baron Hüpfenstich"
( ...
)
Der König aber fühlte einen Stich in den Arm und erwachte;
da sah er, daß ihm nur geträumt hatte, denn er lag ganz breit in seinem Bette.
Der heftige Stich,
den er am linken Arm fühlte, machte, daß er dahin faßte, und was ergriff er
da? Einen sehr großen Floh. Erzürnt rieb der König ihn zwischen den Fingern
und wollte ihn soeben mit dem Nagel totknicken, als ihm sein Versprechen, das
er der Frau im Traum gegeben, einfiel: er wolle dem Verbrecher nicht allein
verzeihen und ihn sogar mit seinem Besten ernähren. Er setzte daher den Floh
in ein leeres Medizinglas gefangen und sprach: "Dir soll verziehen sein, und
du sollst mein Blut trinken." Dieses tat er besonders, weil er seine Traumbörse
nicht mehr fand und also gewiß glaubte, er habe sie der Frau gegeben, und sie
müßte doch etwas mehr als ein leeres Traumgebilde
sein.
Er dachte einige Stunden lang über diese Sache nach und betrachtete
den Verbrecher in dem Arzneiglas; der schien zu schlafen. Er schüttelte das
Glas, da wurde der Floh wach, und das Kind Willwischen weinte in der Nebenstube.
Er wiegte das Arzneiglas, da hörte er auch die Wiege des Kindes sich bewegen,
und Floh und Kind schliefen ein, und Haltewort auch. Morgens weinte das Kind
wieder, und der Floh war sehr unruhig im Glase; der König setzte den Floh auf
seinen Arm und ließ ihn sein
Blut
trinken, da ward auch das Kind Willwischen still. Genug, der König merkte,
daß alles, was er dem Floh tat, der Prinzessin auch geschah, und deswegen ließ
er dem Floh nichts abgehen, und auch das Kind Willwischen ward groß und stark.
Der Verbrecher im Arzneiglas aber ward bald so dick und fett, daß er keinen
Platz mehr in dem Glase hatte und in eine
Flasche
mußte gesetzt werden. Der König tat dieses sehr insgeheim, und niemand hatte
den Floh bis jetzt gesehen. Bald war auch die Flasche nicht mehr groß genug,
und der König setzte ihn in seinen Stiefel, aber nun wurde es dem König unmöglich,
ihn länger zu ernähren, denn er wurde selbst ganz krank und mager darüber. Er
fing daher an, das Kind Willwischen mit Mehlbrei zu füttern, und gab dem Floh
Ochsenblut. Und so wuchs die Prinzessin und der Floh heran, ohne sich persönlich
zu kennen; der Floh war schon so groß geworden wie ein Rind, und Willwischen
sechzehn.
(...)
(
Clemens Brentano; 8. September 1778 - 28. Juli 1842 )