Die Eule

Verwirrt trat die Eule vor und sagte: "Ich habe mir ein verfallenes Haus zur Wohnstätte erwählt. Ich wurde in den Ruinen geboren, und daran ergötze ich mich - nicht am Wein. Ich kenne Hunderte bewohnter Orte, doch manche befinden sich im Zustand der Verwirrung und andere im Zustand des Hasses. Wer in Frieden leben will, der muß zu den Ruinen gehen, wie es die Trinker tun. Wenn ich trübselig in den Ruinen hocke, so tue ich es wegen der verborgenen Schätze. Die Liebe zu den Schätzen zieht mich dorthin, denn Schätze findet man in Ruinen. Doch ich kann meine begierige Suche gut verbergen und hoffe, einen Schatz zu finden, der nicht von einem Talisman beschützt wird. Sollte es mir jemals gelingen, meinen Fuß auf einen solchen Schatz zu setzen, werde ich alles haben, was mein Herz begehrt. Ich glaube durchaus, daß die Liebe zum Simurgh kein Märchen ist, denn leichtsinnige Menschen empfinden sie nicht. Aber ich bin schwach und weit davon entfernt, in meiner Liebe zu ihm beständig zu sein, denn ich liebe nur meinen Schatz und meine Ruinen."

Der Wiedehopf sagte zu ihr: "O du, trunken vor Liebe zu Reichtümern, was geschieht, wenn du tatsächlich einen Schatz findest? Du wirst auf diesem Schatz sterben, und dann ist dein Leben verstrichen, ohne daß du da hohe Ziel erreicht hast, dessen du dir doch zumindest bewußt bist. Die Liebe zum Gold ist typisch für die Ungläubigen. Wer das Gold zum Götzen erhebt, ist ein zweiter Tharé. Wirst du nicht vielleicht auch so werden wie die Samiri aus dem Volk der Israeliten, die das goldene Kalb schufen? Weißt du nicht, daß sich bei jedem Menschen, den die Liebe zum Gold verdorben hat, am Tage der Auferstehung das Aussehen verändert - wie bei einer unechten Münze -, so daß er einer Maus ähnlich sieht?"

Der Geizhals

Ein Dummkopf versteckte eine Truhe voll Gold und starb bald darauf. Ein Jahr später erschien er seinem Sohn im Traum in Gestalt einer Maus, die Augen voller Tränen. Die Maus rannte an der Stelle, wo das Gold versteckt war, hin und her. "Was machst du hier?" fragte der Sohn ihn. Da antwortete der Vater: "Ich habe Gold versteckt und bin gekommen, um nachzusehen, ob es jemand entdeckt hat." "Warum hast du die Gestalt einer Maus?" fragte der Sohn. Der Vater erwiderte: "Die Seele eines Menschen, der aus Liebe zum Geld alles andere vergessen hat, nimmt diese Gestalt an. Sieh mich an, o mein Sohn, und lerne aus meinem Beispiel. Entsage der Liebe zum Gold!"


(aus "Vogelgespräche" von Farid ud-din Attar;
Ansata Verlag)