Fledertiere (Flatterthiere)
Noch ehe bei uns an schönen Sommertagen die Sonne zur Rüste gegangen ist, beginnt eine der merkwürdigsten Ordnungen unserer Klasse ihr eigenthümliches Leben. Aus allen Ritzen, Höhlen und Löchern hervor kriecht eine düstere, nächtige Schar, welche sich bei Tage scheu zurückgezogen hatte, als dürfte sie sich im Lichte der Sonne nicht zeigen, und rüstet sich zu ihrem nächtlichen Werke. Je mehr die Dämmerung hereinbricht, um so größer wird die Anzahl dieser dunklen Gesellen, bis mit eintretender Nacht alle munter geworden sind und nun ihr Wesen treiben. Halb Säugethier, halb Vogel, stellen sie ein Bindeglied zwischen einer Klasse zur anderen dar, und dieser Halbheit entspricht auch ihr Leibesbau und ihre Lebensweise. Sie sind eben weder das eine noch das andere ganz: sie, die Fledermäuse, sind gleichsam ein Zerrbild der vollendeten Fluggestalt des Vogels, aber auch ein Zerrbild des Säugethiers.
Die geistigen Fähigkeiten der Flatterthiere sind keineswegs so gering, als man gern annehmen möchte, und strafen den auf ziemliche Geistesarmut hindeutenden Gesichtsausdruck Lügen. Ihr Gehirn ist groß und besitzt Windungen. Hierdurch ist schon angedeutet, daß ihr Verstand kein geringer sein kann. Alle Flatterthiere zeichnen sich durch einen ziemlich hohen Grad von Gedächtnis und einige sogar durch verständige Überlegung aus.
Ein Beweis für das hochentwickelte Denkvermögen ist das häufige Vorkommen individueller Gewohnheiten bei Fledermäusen. So erzählt Kolenati, daß eine Fledermaus, welche in einer Lindenallee jagte, das Weibchen eines Schmetterlings verschonte, weil sie bemerkt hatte, daß dieses viele Männchen heranlockte, welche sie nun nach und nach wegschnappen konnte. "Mein Bruder hatte eine Ohrenfledermaus so weit gezähmt, daß sie ihm durch alle Zimmer folgte und, wenn er ihr eine Fliege hinhielt, augenblicklich auf seine Hand sich setzte, um jene zu fressen. Solche und ähnliche Äußerungen der Hirnthätigkeit auf die breite Faulbrücke Instinkt schieben zu wollen, erscheint geradezu widersinnig.
Unter sich halten viele, vielleicht die meisten Flatterthiere gute Gemeinschaft. Einzelne Arten bilden zahlreiche Gesellschaften, welche gemeinschaftlich jagen und schlafen. Ganz ohne Streit und Kampf geht es dabei freilich nicht immer ab: eine gute Beute oder eine bequeme Schlafstelle ist genügend Ursache zur Zwietracht. Dafür versuchen Gesunde Kranken aber auch beizustehen und nach Kräften zu helfen, und zwar thun dies nicht allein die wehrhaften Flughunde, sondern ebenso kleinere Flatterthiere, beispielsweise Blattnasen. "Mein Diener", erzählt Hensel, "kam einst auf den klugen Gedanken, mehrere lebende brasilianische Fledermäuse in hohe offene Glasgefäße zu thun und diese abends an geeigneten Orten aufzustellen. Am nächsten Morgen fanden sich in drei Gefäßen dreihundertfünfundzwanzig Fledermäuse derselben Art vor, welche sich, durch die Stimmen der zuerst darin befindlichen Thiere angelockt, hineinbegeben hatten und nun wegen der glatten Wände der Gefäße ihr Gefängnis nicht verlassen konnten." Auch diese Fledermäuse hatten sich offenbar nur aus dem Grunde zu den übrigen gesellt, um ihnen irgendwie zu helfen. Ungeachtet aller Geselligkeit der Fledermäuse einer und derselben Art, leben die Flatterthiere doch keineswegs mit allen Mitgliedern ihrer Ordnung in Frieden. Verschiedene Arten hassen sich auch wohl, und eine frißt die andere auf. Die blutsaugenden Blattnasen z. B. greifen, wie Kolenati beobachtete, die Ohrenfledermäuse an, um ihnen Blut auszusaugen, und diese fressen ihre Feinde dafür auf, handeln also vernünftiger als Menschen, welche sich von Blutsaugern ihres Geschlechtes ruhig brandschatzen lassen, ohne sie unschädlich zu machen.
(Alfred Edmund Brehm; 02.02.1829 - 11.11.1884)