Bonobo oder Zwergschimpanse (Pari
paniscus).
Schlank und nervös schlendert Santi im Knöchelgang durch
die Räume seines Geheges. Dabei wirkt er wachsam und neugierig, als sei er auf
jede Überraschung vorbereitet. Als ihn Djamoa, die vierjährige Tochter der
Familie, von oben hinten anspringt, dreht er sich blitzschnell um, fängt sie auf
und leitet die Bewegung ins Spielerische. Beide rollen über den Boden und
greifen sich gegenseitig in die Hüften. Währenddessen liegen Yala, die
Familienmutter, und Simon, der ältere erwachsene Mann der Gruppe, entspannt
nebeneinander. Die einjährige Tochter Maringa springt auf beider Bäuche hin und
her, stolpert unsanft, protestiert, wird von der Mutter in den Arm genommen und
routiniert mit Küssen auf den Kopf beruhigt.
Die Bonobofamilie des Berliner
Zoo kann als ein gelungenes Beispiel für die Formierung einer funktionierenden
Gruppe aus in verschiedenen Zoos geborenen Tieren gelten. Es ist auch vollkommen
gleichgültig, welcher der beiden Bonobomänner der Vater der Töchter ist. Bonobos
haben ihr Sexualleben weitgehend von der Fortpflanzung entkoppelt.
Alfred Brehm,
wenn sie ihm schon bekannt gewesen wären, hätte sie zu den Tieren gezählt, die
"wegen ihrer Unanständigkeit nicht zu ertragen sind". Heutige Wissenschaftler
bezeichnen sie auch als "Kamasutra-Primaten".
Sexuelle Kontakte sind unter
Bonobos alltäglich. Ihr Sexualverhalten ist äußerst variantenreich und
ausschweifend. Homosexuelle Interaktionen unter den beiden Geschlechtern kommen
dabei ebenso regelmäßig vor wie gemischtgeschlechtliche. Heterosexuelle
Paarungen führen Bonobos in den überwiegenden Fällen in der
Bauch-zu-Bauch-Stellung beziehungsweise von Angesicht zu Angesicht aus.
Sexualität spielt im Sozialleben der Bonobos aus mehreren Gründen eine
Schlüsselrolle. Bonobos gelten zwar als besonders sinnlich, und mit Sicherheit
gehören Lust und Genuss auch zu den Motiven ihres Tuns: die meisten sexuellen
Handlungen ereignen sich allerdings in Momenten der Spannung. Rivalitäten,
aufkommende Streitereien und Konflikte lösen Bonobos in Sex auf. Er dient
ihnen als probates Mittel der Konfliktlösung, und das ist seine fundamentale
Funktion im Sozialverband. Die Erfinder der Parole "Make love, not war" hätten
hier eine Verweisquelle in der sogenannten Natur finden können.
(Aus "Bestiarium" von Cord Riechelmann.)
Der Zoo als Welt - die Welt als
Zoo
Es ist nun schon hundertvierzig Jahre her, dass der liebe Brehm sein "Illustrirtes
Thierleben" vorgelegt hat. Die moderne
Verhaltensforschung
hat mit seinen anthropomorphen Kurzschlüssen gründlich aufgeräumt. Cord Riechelmann
folgt weniger unserem Blick auf die Tiere als dem Blick der Tiere auf ihre Welt.
Das ist nicht nur lehrreich, es kann auch äußerst amüsant sein. Aber wir lachen
nicht über die Tiere; es wäre uns lieber, könnten die Tiere mit uns und über
unsere Beobachtungen lachen.
Als Versuchsgelände dient dem Autor der Berliner Zoo, ein Ambiente, das die
Illusion der Unmittelbarkeit von vornherein ausschließt. Dennoch fallen Riechelmann
immer wieder Ähnlichkeiten zwischen dem homo sapiens und anderen Arten auf.
So, wenn ein Schwarzer Panter mit seiner Pflegerin ums Zu-Bett-Gehen streitet,
oder wenn ihn der Tanz des Kranichs
an die Arbeiten von Johann Kresnik erinnert. Den rationalistischen Ton der Ethologie
konterkariert Riechelmann durch die Bildsprache der Indianer und die Mythen
der australischen Aborigines.
Über hundert Arten passieren in diesem Buch Revue;
auch mit weniger bekannten Geschöpfen wie dem Dschelada, dem Komodowaran und dem
Rennkuckuck kann der Leser Bekanntschaft schließen. Und die herrlichen
kolorierten Stiche aus dem 18. Jahrhundert verleihen, mit ihrer rührenden
Präzision, dem Band einen Hauch von historischer Tiefe.
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