Das Basiliskenhaus

Eine große Menschenmenge umstand an einem Junimorgen des Jahres 1212 das Bäckergeschäft des ebenso wohlhabenden wie habgierigen Meisters Garhibl in der Schönlaterngasse 7. Das Haustor war geschlossen, gellende Rufe und durchdringendes Geschrei erschallten im Innern des Hauses. Die Menge der Neugierigen wuchs, und einige beherzte Männer schickten sich an, das Tor einzuschlagen, um die Ursache des Lärms zu erfahren, während andere zum Stadtrichter Jakob von der Hülben liefen, um ihm zu melden, dass im Hause des Bäckermeisters etwas ganz Schreckliches vorgehen müsse und die ganze Schönlaterngasse voll aufgeregter Menschen sei.

Inzwischen hatte der Bäckermeister sein Haustor geöffnet und stand nun totenblass und nach Fassung ringend vor der neugierig sich herandrängenden Menge, die ihn mit Fragen bestürmte, was sich im Haus ereignet habe. Da kam auch schon der Stadtrichter an der Spitze der Scharwache herangeritten, während das Volk ehrfurchtsvoll zurückwich. Mit strenger Amtsmiene fragte er den noch immer vor Aufregung schlotternden Bäckermeister um den Grund dieser verbotswidrigen Ruhestörung.

"Gestrenger Herr Stadtrichter", erwiderte der Meister mit zitternder Stimme, "ein schreckliches Untier hält sich in meinem Haus auf. Als eine meiner Mägde heute früh aus dem Ziehbrunnen Wasser schöpfen wollte und dem Eimer nachblickte, bemerkte sie tief unten ein Glitzern und Leuchten, zugleich aber drang ein so scheußlicher Gestank aus dem Brunnen herauf, dass ihr vor Schrecken und Angst fast die Sinne vergingen. Laut schreiend lief sie ins Haus und berichtete uns ihre Wahrnehmung. Der Lehrjunge erklärte sich gleich bereit, die Sache näher zu untersuchen. Er ließ sich an ein Seil binden, nahm eine Pechfackel in die Hand und stieg in den Brunnen hinab. Er war aber noch gar nicht weit im Schacht unten, als er einen entsetzlichen Schrei ausstieß und die Fackel fallen ließ. Wir zogen ihn rasch aus der Tiefe herauf; der arme Bursche war mehr tot als lebendig. Als er sich wieder ein wenig aufgerappelt hatte, erzählte er mit stockender Stimme, auf dem Grund des Brunnens sitze ein scheußliches Ungeheuer, das halb wie ein Hahn, halb wie eine Kröte aussehe. Es habe einen zackigen Schuppenschweif, plumpe, warzige Füße, trage ein feuriges Krönlein auf dem Kopf und habe mit seinen eigenartig glühenden Augen giftige Blicke nach ihm geworfen und die Krallen drohend empor gestreckt, dass ihm fast das Blut im Leib erstarrt sei und er geglaubt habe, sein letztes Stündlein sei gekommen.
Er wäre sicher im Brunnen gestorben", schloss der Bäckermeister seinen Bericht, "wenn wir ihn nicht rasch in die Höhe gezogen hätten."

Während der Stadtrichter ratlos überlegte, was in dieser absonderlichen Sache zu tun sei, die so ganz aus dem Rahmen der gewöhnlichen Fälle herausfiel, über die er sonst zu entscheiden hatte, trat ein Mann aus der umstehenden Menge hervor und wandte sich an den Vertreter der Obrigkeit. Es war der Doktor Heinrich Pollitzer, ein gar gelehrter und in allen Naturerscheinungen bestens bewanderter Mann, der sich nun vom Stadtrichter die Erlaubnis erbat, zum Volk zu sprechen und den merkwürdigen Vorfall zu erklären.

"Hört, ihr Leute", begann er, "das Tier, das man im Brunnen des Hauses gesehen hat, ist ein Basilisk, ein gar schreckliches Wesen, das aus einem Ei entstanden ist, das ein Hahn gelegt und eine Kröte ausgebrütet hat. Schon der alte römische Schriftsteller Plinius hat uns ein solches Tier beschrieben. Es ist äußerst giftig, schon sein Hauch, ja sein bloßer Anblick ist todbringend. Es muss schleunigst getötet werden. Das kann aber nur auf folgende Weise geschehen: Man muss dem Basilisken einen Spiegel vorhalten. Wenn er sein eigenes scheußliches Bild im Spiegel erblickt, gerät er darüber so in Grauen und Wut, dass er zerplatzt. Wenn sich jemand findet, der dieses gefährliche Wagnis unternimmt", meinte der Gelehrte zu Garhibl gewendet, "so könnte Euer Haus von dem schrecklichen Tier befreit werden."

Lautlos hatte die Menge zugehört; der Bäckermeister aber rief: "Wer von euch, ihr Leute, getraut sich, die Tat ausführen? Er soll es nicht bereuen, ich will ihn reichlich belohnen." Aber niemand sagte ein Wort, viele wandten sich um und liefen davon; denn der Aufenthalt bei dem gefährlichen Haus dünkte ihnen nicht recht geheuer.

Plötzlich ließ sich neben Garhibl die entschlossene Stimme seines Gesellen Hans Gelbhaar vernehmen: "Meister, Ihr wisst, ich habe Eure Tochter Apollonia schon lange ins Herz geschlossen; dass Ihr mir deshalb wiederholt gram seid, ist mir nicht unbekannt Wenn Ihr nun einwilligt, mir Eure Tochter zur Frau zu geben, so will ich für mein Glück selbst das Leben aufs Spiel setzen und dem gräulichen Tier zu Leibe gehen."

Die Angst vor dem Untier war so gewaltig, dass dem Meister selbst dieser Preis nicht zu hoch erschien. Ohne Bedenken gab er seine Zusage.

Ein großer Spiegel wurde herbeigeschafft, dem kühnen Gesellen ein Seil um den Leib geschlungen, und mutig ließ er sich dann langsam in den unheimlichen Brunnen hinab. Es gelang ihm, den tödlichen Blick des Basilisken zu vermeiden und dem scheußlichen Tier den Spiegel vorzuhalten, worauf es vor Wut und Ingrimm über den eigenen hässlichen Anblick mit lautem Knall zerbarst. Wohlbehalten kam der Geselle wieder aus dem Brunnen herauf. Der Bäckermeister aber hielt sein Wort, aus Hans und Apollonia wurde ein glückliches Paar.

Auf den Rat des Herrn Pollitzer füllte man hernach den Brunnenschacht mit Erde und Steinen aus und begrub das Ungeheuer in der Tiefe. Aber noch im Tode übte es seine verderbliche Kraft aus. Einige Leute, die bei der Arbeit mithalfen, wurden von dem giftigen Brodem, der aus der Tiefe drang, betäubt, erkrankten schwer und starben kurze Zeit darauf. Auch der Bäckerjunge, den der Blick des Basilisken getroffen hatte, kam mit dem Leben nicht davon.

Zur ewigen Erinnerung an dieses schreckliche Geschehnis wurde in einer Nische des Hauses Schönlaterngasse 7 ein getreues Abbild des Basilisken angebracht und eine Inschrift darunter gesetzt, die den Vorfall zum Gegenstand hat Das Haus hieß fortan das "Basiliskenhaus".

Längst ist der Glaube an das gefährliche Untier geschwunden, nur die Redensart besteht noch vom unheilbringenden Basiliskenblick.

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Andere Versionen:

Der Basilisk in der Schönlaterngasse

Im Jahre 1212 wollte die Magd eines Bäckers in der Schönlaterngasse zu Wien im Hausbrunnen Wasser schöpfen. Doch wie erschrak sie, als sie im Brunnen etwas Seltsames glitzern sah, das einen grässlichen Gestank von sich gab. Ein Bäckergeselle, der keine Furcht kannte, ließ sich an einem Seil in den Brunnen hinabgleiten, musste aber, da er zu schreien anfing, sofort hinaufgezogen werden. Als der zu Tode erschrockene Geselle wieder zu sich kam, erzählte er, im Brunnen ein grässliches Tier gesehen zu haben, das die Gestalt eines Hahnes mit einem vielzackigen Schuppenschweif, plumpen Füßen und glühenden Augen hatte und auf dem Kopfe ein Krönlein trug. Ein Weltweiser der Stadt wurde zu Rate gezogen, und er erklärte, dass das grässliche Tier ein Basilisk sei, das aus dem Ei eines Hahnes entsteht, das eine Kröte ausgebrütet hat. Sein Hauch sei giftig: Der Weise gab den Auftrag, das Tier mit einem Spiegel, den man ihm vorhalten solle, zu töten. Denn erblickt der Basilisk sein eigenes Abbild, so ist er von seiner Scheußlichkeit so entsetzt, dass er vor Wut und Ingrimm zerplatzt. Als man darauf dem Basilisken einen Spiegel vorhielt, brüllte er laut auf und verstummte. Dann warf man Steine und Erde in den Brunnen und hatte seitdem Ruhe. In Erinnerung an dieses seltsame Ereignis ließ ein späterer Besitzer des Hauses einen steinernen Basilisken an der Stirnwand anbringen, der noch heute zu sehen ist.

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Zu Anfang des 13. Jahrhunderts lebte im Hause Schönlaterngasse Nr. 7 der Bäckermeister Martin Garhibl, ein böser, hartherziger und geiziger Mann, der seinem holden Töchterchen Apollonia und seinen Gesellen schwere Stunden bereitete, so dass von den letzteren nur Hans der Gelbhaar allein bei dem bösen Meister aushielt. Was die Ursache des Bleibens des Gesellen Hans bei dem bösen Meister war, ist leicht zu erraten. Nach einiger Zeit bat Hans den Vater um die Hand seiner Tochter. In hellem Zorn wies ihm jedoch der erboste Meister die Tür, mit dem höhnischen Ruf: "Sobald dieser Hahn, der sich so patzig wie du benimmt, ein Ei gelegt haben wird, sollst du meine Tochter zum Weibe erhalten!"

Nach einiger Zeit, als eben der Vater wieder einmal, nachdem Hans seiner Wege gezogen, seiner Tochter seinen Schwur wiederholte, hörte man den Hahn kräftig krähen und gackern und sah noch, wie er über das Dach flog. Im selben Augenblick erscholl im Hofe des Bäckerhauses ein Schreckensschrei. Durch die rasch zusammengelaufene Menge bahnte sich der Stadtrichter Jakob von der Hülben mit seinen Knechten Bahn, um nach dem Rechten zu sehen.
Nun hieß es, die Magd sei eben am Brunnen gewesen, um Wasser zu schöpfen, sei aber zu Tode erschrocken, als aus dem Brunnen verwunderliches Geflunker blitzte und gräulicher Gestank hervordrang. Ein mutiger Lehrjunge, der sich, an ein Seil gebunden, in den Brunnen hinabgelassen hatte, erzählte, dass unten ein gräuliches Tier mit zackigem Schuppenschweife, wunderlich glühenden Augen und warzigen Füßen sitze und auf dem Kopfe ein Krönlein trage. Es sehe aus, als wäre das Ungetüm aus einem Hahne, einer Schlange und einer Kröte zusammengesetzt.

Ein gelehrter Doktor erklärte endlich der erstaunten Menge, dass das Tier ohne Zweifel ein Basilisk sein müsse, den schon der berühmte Plinius beschrieben habe. Es könne nur getötet werden, wenn man ihm einen Spiegel vorhalte, denn dann entsetze sich das Unwesen so über sein eigenes Aussehen, dass es vor Wut zerberste.

Zum Glück nahte ein Retter in der Gestalt des verschmähten Hans. Er ließ sich, einen Spiegel als Schild vorhaltend, in den Brunnen hinab, worauf der Basilisk zersprang.

Zum Lohne für die Rettung vom Basilisken musste der Bäckermeister wohl oder übel einwilligen, dass Hans seine Tochter heimführte.
Um aber diese Begebenheit den Nachkommen dauernd ins Gedächtnis einzuprägen, wurde ein getreues Abbild des Basilisken an der Außenmauer des Hauses angebracht, wo er sich noch heute befindet.
In einer Nische des Hauses wurde bei dessen Renovierung im Jahre 1577 eine Inschrift angebracht, die leider seit Anfang des 18. Jahrhunderts spurlos verschwunden ist:
"Anno Domini MCCII ward erwählt Kaiser Friedrich II. Unter seinem Regiment ist von einem Hahn entsprungen ein Basilisk, welcher obenstehender Figur gleich, und ist der Brunnen voll angeschüttet worden mit Erde, darinnen ein solches Tier gefunden worden ist, ohne Zweifel, weil ob seiner giftigen Eigenschaft viel Menschen gestorben und verdorben sind. Renoviert Anno 1577 durch den Hausherrn Hans Spannring, Buchhändler."