(....) Nachdem wir mehrere
Schluchten durchquert hatten, hörten wir plötzlich seltsame Laute, die wie Winseln,
Heulen und Knurren zugleich klangen.
Dersu hielt mich am Ärmel fest, horchte und sagte
dann: "Bär!"
Wir gingen leise weiter. Bald erblickten wir auch den Urheber
dieser Laute. Der Bär tappte vor einer großen
Linde herum.
Der Baum stand ganz dicht an einem Felsen. Auf seiner Vorderseite war mit einer
Axt ein Zeichen gemacht, das darauf hinwies, dass in diesem Baum ein Bienenschwarm
bereits vor uns und dem
Bären entdeckt worden war.
Schon
auf den ersten Blick sah ich, was los war: Der Bär holte sich hier also den Honig.
Er stand auf den Hinterbeinen und reckte sich hoch. Die Felswand hinderte ihn
daran, mit der Pfote in die Baumhöhle zu greifen, doch der Bär hatte viel Geduld.
Er brummte und schüttelte mit aller Macht den Baum. Die Bienen umschwirrten ihn
und stachen ihn in den Kopf. Der Bär fuhr sich mit den Pfoten über die Schnauze,
winselte dünn, machte aber immer wieder weiter. Seine Bewegungen waren wirklich
komisch. Schließlich war er müde, setzte sich ganz wie ein Mensch hin, starrte
mit offenem Maul den Baum an und schien etwas zu überlegen. So saß er zwei Minuten
da. Dann stand er plötzlich auf, lief zur Linde und kletterte an ihr hinauf. Oben
angekommen, zwängte er sich zwischen Fels und Baum und drückte, indem er sich
mit den Tatzen abstemmte, mit dem Rücken kräftig gegen den Stamm. Der Baum gab
ein wenig nach. Aber offenbar tat dem Bären der Rücken weh. Da änderte er seine
Stellung, indem er sich mit dem Rücken an den Felsen lehnte und mit den Tatzen
gegen den Stamm drückte. Die Linde knarrte und stürzte zu Boden. Mehr wollte der
Bär gar nicht. Jetzt blieb nur noch, das Splitterholz wegzubrechen und die Waben
herauszuholen.
"Wirklich ein listiger Kerl", sagte Dersu. "Müssen ihn fortjagen,
sonst frisst er den ganzen Honig auf." Dann rief er: "Wer bist du, wieso stiehlst
du fremden Honig?"
Der Bär wandte sich um. Als er uns erblickte, verschwand
er hurtig hinter dem Felsen.
"Müssen ihn erschrecken", sagte Dersu und schoss
in die Luft.
Als Merslijakow den Schuss hörte, hielt er die Abteilung an und
kam zu uns gelaufen, um zu erfahren, was vorgefallen sei. Wir ließen die zwei
Schützen zurück, die den Honig herausholen sollten. Zuerst mussten sich die Bienen wieder beruhigen,
bevor sie sie ausräuchern und den Honig mitnehmen konnten. (...)
(Aus "Der Taigajäger Dersu Usala" von Wladimir Arsenjew; 1872-1930)