Der Fuchs und der Storch
Ein
Fuchs hatte einen Storch zu Gaste gebeten, und setzte die leckersten
Speisen vor, aber nur auf ganz flachen Schüsseln, aus denen
der Storch mit seinem langen Schnabel nichts fressen konnte. Gierig
fraß der Fuchs alles allein, obgleich er den Storch
unaufhörlich bat, es sich doch schmecken zu lassen.
Der Storch fand sich betrogen, blieb aber heiter, lobte
außerordentlich die Bewirtung und bat seinen Freund auf den
andern Tag zu Gaste. Der Fuchs mochte wohl ahnen, daß der
Storch sich rächen wollte, und wies die Einladung ab. Der
Storch ließ aber nicht nach, ihn zu bitten, und der Fuchs
willigte endlich ein.
Als er nun anderen Tages zum Storche kam, fand er alle
möglichen Leckerbissen aufgetischt, aber nur in langhalsigen
Geschirren. "Folge meinem Beispiele", rief ihm der Storch zu, "tue, als
wenn du zu Hause wärest." Und er schlürfte mit seinem
Schnabel ebenfalls alles allein, während der
Fuchs zu seinem
größten Ärger nur das
Äußere der Geschirre belecken konnte und nur das
Riechen hatte.
Hungrig stand er vom Tische auf und gestand zu, daß ihn der
Storch für
seinen Mutwillen hinlänglich gestraft habe.
Was
du nicht willst, daß man dir tu',
Das füg' auch keinem anderen zu.
(aus den Fabeln des Äsop; 6. Jahrhundert v.Chr.)