Fritz
Hochwälder: |
Schauspiel
in fünf Aufzügen
(geschrieben im Schweizer Exil - 1942)
Das menschliche Drama zu der Zerschlagung des Jesuitenstaates
in Paraguay
In den Jahren zwischen 1609 und 1767 errichtete der Orden der Jesuiten
in
Paraguay einen kommunistischen Fürsorgestaat für
150.000 Indianer, welcher als
humanistische Alternative, die auch sozial und wirtschaftlich
vorzüglich
funktionierte, dem Raubkolonialismus spanischstämmiger
Großgrundbesitzer
ernsthafte Konkurrenz machte. Am 16. Juli 1767 trat ein Gesandter des
spanischen
Königs vor die Jesuiten hin und dekretierte die
Auflösung des Jesuitenstaates;
eine Szene historischen Unrechtgeschehens, welche Fritz
Hochwälder - wenn auch
in frei erfundener Detailhandlung - mit klassischer Formenstrenge
dramatisch
umzusetzen versteht. Das historische Geschehen dient nur als
Rahmenhandlung, in
welcher sich das Schicksal einiger weniger Personen zu tragischer
Menschlichkeit
auswächst.
Wir
schreiben den 16. Juli 1767, der Tag an dem der Visitator des
Königs, Don Pedro
de Miura, mit dem hoheitlichen Auflösungsdekret in der Tasche
vor den Pater
Provinzial Alfonso Fernandez, S.J., hintritt, um pro forma die
Vorwürfe gegen
den Jesuitenstaat zu hinterfragen. Ort der Handlung ist ein
großer Innenraum
des Jesuiten-Collegio in Buenos Aires, der zugleich Empfangs- und
Beratungszimmer wie auch die Arbeitsstätte des Pater
Provinzial darstellt.
Frauen und erotisches Begehren kommen in diesem Stück nicht
vor; Thema ist die
bekehrende Nächstenliebe zum höheren Ruhme des
einzigen Gottes (Omnia ad
maiorem Dei gloriam) und der - für das Wesen der Jesuiten so
bezeichnende -
blindgläubige Gehorsam der römisch katholischen
Kirche gegenüber, welcher
schon den Ordensgründer Ignatius
de Loyola den Verlockungen der Reformation widerstehen
ließ. (Die enge
Bindung an den Papst, die sich bis heute in einem besonderen
Gehorsamsgelübde
konkretisiert, war von Anfang an ein Kennzeichen des Ordens). Diese
Haltung der
missionarischen Nächstenliebe gerät im Laufe der
Handlung in Konflikt mit dem
Gehorsamsgebot gegenüber der Kirche; ein Konflikt, der sich
als menschliche
Tragik in auswegloser Situation darstellt. Ethische Verzweiflung
wächst sich
aus zu reiner Menschlichkeit, wirft den Menschen aus seinen
eingeübten Rollen
der Alltagsroutinen auf sich selbst zurück. Es ist ein
Eskalieren von
Menschlichkeit und keine suchende Selbstfindung. In der
Unwillkürlichkeit liegt
die besondere Dramatik des Geschehens.
Wessen wird der Ordensstaat beschuldigt? Lassen wir dazu den Provinzial
der Jesuiten persönlich zu Wort
kommen, der zu Beginn des 2. Aufzugs, in der 2. Szene
aufzählt: "Man
beschuldigt uns der Aufrichtung eines souveränen Staates und
des Ungehorsams
gegen den König. Man beschuldigt uns, wir hielten in unseren
Siedlungen
Silberbergwerke verborgen. Man beschuldigt uns, wir zögen aus
unserm Handel
wucherischen Gewinn und schädigten dadurch das spanische
Reich, dem wir als
Untertanen angehören. Man beschuldigt uns
schließlich, wir hielten das uns
anvertraute indianische Volk in Unfreiheit und Sklaverei."
Diese ungeheuerlichen Anschuldigungen erweisen sich im Zuge
der Visitation
als plumpe Unterstellungen einer
Großgrundbesitzerverschwörung, denen ihre
Indio-Sklavenarbeiter in den Jesuitenstaat entflüchten und die
auch der
wirtschaftlichen Konkurrenz durch die Ordensmissionare nicht gewachsen
scheinen.
Miura stellt gegenüber dem Provinzial die Widerlegung aller
Anklagepunkte fest,
doch hätte man in Spanien bereits den Vorwürfen blind
und unbesehen Gehör
geschenkt und Punkt für Punkt ins Urteil gesetzt. Demnach
befiehlt der König,
kraft seiner höchsten Gewalt, die der Allmächtige in
seine Hände niedergelegt
hat, dass alle Ordenspersonen der Gesellschaft Jesu die paraguayanische
Provinz
zu räumen haben und dass ihre Güter eingezogen werden.
Jeder Mensch mit einem auch nur halbwegs ausgebildeten Rechtsempfinden
muss sich
gegen dieses Urteil empören, welches Recht spricht, ohne dass
hinreichende
Ermittlungen zum Tatsachenbereich erfolgt wären. Miura
verspricht: "Ich
werde den König aufklären. Ich werde ihm die
Niedertracht dieser
Anschuldigungen darstellen. Aber euer Staat - euer Staat muss fallen!"
Der Jesuitenstaat muss fallen, weil er in einer herrschenden Ordnung
des
Unrechts, als Rechtsstaat eine unakzeptable, ja gar
gefährliche
Systemwidrigkeit darstellt. Der Visitator Don Pedro de Miura spricht
klare Worte
dazu: "Was habt ihr aufgerichtet da draußen (er
zeigt auf die
Landkarte) in Steppe und Urwald ...! - Ein Reich der Liebe und
Gerechtigkeit.
... - die Indios singen Euer Loblied - und laufen unsern Grundbesitzern
davon!
Eure Produkte gehen in die Welt hinaus - unsere Händler
verarmen. ... Wir
dehnen uns durch unsere Kriege aus - ihr durch euren Frieden. Wir
bröckeln ab.
Ihr sammelt an. ... Wie lange dauert es noch - und euch gehört
der ganze
Kontinent! - - - Und wir, wir sollten dem zusehen, wir sollten euch
nicht
hindern? Narren wären wir, wenn wir euch nicht verjagten,
solange es noch Zeit
ist! ... Schluss mit diesem Experiment, das uns gefährlich
wird! Schluss!"
Was als Verfahren rechtlicher Würdigung begonnen hat,
offenbart sich als
politische Repression, die nicht nach Recht oder Unrecht fragt.
Verlangt wird
die Kapitulation vor dem - um seinen Charakter wissenden - Unrecht, ein
ungeheuerliches Ansinnen, dem sich der Provinzial spontan verweigert.
Eine
Weigerung wäre der Untergang der Gesellschaft Jesu im ganzen
spanischen
Weltreich, gibt Miura in erpresserischer Manier zu bedenken und
gestattet dem
Provinzial keine Bedenkzeit um seinen Entschluss vor seinem Gewissen zu
prüfen.
Die Situation eskaliert, und der Provinzial befiehlt seinen
rebellierenden
Sicherheitskräften schweren Herzens die Verhaftung des
königlichen Visitators
Don Pedro de Miura und dessen Gefolgschaft.
Die Lage scheint geklärt, nachdem der Provinzial die
Verantwortung gegenüber
seinen Schutzbefohlenen mit solcher Entschiedenheit wahrnimmt, doch
tritt aus
der Gruppe der Anwesenden plötzlich eine Person an den
Provinzial heran, die
sich als Legat des Ordensgenerals zu erkennen gibt und befiehlt ihm die
Rückgabe
der Macht an den spanischen Visitator zu verfügen. Denn es sei
nicht der
Jesuiten Aufgabe, in einer Welt, in der unausrottbar Habgier und
Niedertracht
herrschen, dem indianischen Volk sicheren Schutz vor den
Mächtigen zu gewähren.
Diese Welt sei ungeeignet zur Verwirklichung von Gottes Reich. Eine
Politik, die
sich immer mehr gegen die Interessen der katholischen Fürsten
richte, werde
noch dem ganzen Orden zu Unheil gereichen.
Zwei Haltungen prallen gegeneinander: Die des Legaten Querini, welche
Opportunismus mit der Herrschaft und Verzicht auf oppositionelle
Politik
fordert, um vorgeblich Seelen retten zu können. Und jene des
Provinzialen,
welcher für eine Theologie der Befreiung einsteht, die ihr
seelsorgliches Bemühen
mit politischem Engagement auf der Seite der Mühseligen und
Beladenen verbindet
und Ersteres ohne Letzteres für vergeblich befindet. Querini
scheut nicht grobe
Worte, wenn er das heilige Experiment als satanische Abweichung von der
reinen
Glaubenspraxis denunziert, die von Rechtes wegen vor das
Inquisitions-Tribunal
gehörte. Allein der Provinzial lässt sich nicht mit
Argumenten wider sein
besseres Wissen zur Umkehr verführen. Auch die angebliche
Missgunst des
Papstes, der nach den Worten Querinis auf ein rechtzeitiges Scheitern
des
Jesuitenstaates gehofft hätte, mag den Provinzial nicht in
seiner
Standfestigkeit beirren. Und so fährt Querini sein schwerstes
Geschütz auf,
als er den Provinzial an sein Gehorsamsgelübde erinnert und
dazu herrisch
anmerkt: "Ihr vollzieht meinen Befehl und führt das
königliche Edikt
durch." An Zynismus ist Querini nicht mehr zu
überbieten, wenn er
seiner Weisung zur Begründung beifügt: "Es
geht um den Bestand des
Ordens - und Ihr sprecht von hundertfünfzigtausend Menschen!"
Der Widerstand des auf blinden Gehorsam getrimmten Provinzialen
zerbricht mit
einem Eingeständnis jesuitischer Willfährigkeit: "Ich
halte Euern
Befehl für gut und richtig. Mit allen meinen Kräften
werde ich ihn durchführen.
Ich will nichts anderes sein als ein willenloses Werkzeug des Ordens."
Zur unverhohlenen Betroffenheit des Visitators Don Pedro Miura
verfügt der
Provinzial die Rückgabe der Macht an den Gesandten des
spanischen Königs. In
der Folge befiehlt der Provinzial die Liquidierung des Jesuitenstaates;
ein
Befehl, der von dem militärischen Leiter des Ordensstaates,
Pater Ladislaus
Oros, S.J., mit den Worten: "Ihr befehlt - eine
Sünde!"
verweigert wird. Und: "Das Gehorsamsgelübde ist
aufgehoben, wenn der
Vorgesetzte zur Sünde verleitet."
In der Abfolge kommt es zu tumultartigen Gewaltszenen, in
deren Verlauf der
Provinzial tödlich verletzt wird und im Zorn - seinem blinden
Gehorsam entsprechend - sein eigenes Werk ... diesen Staat - als
Antichrist bezeichnet.
In einem letzten Dialog mit Pater Oros bezichtigt er diesen das
Gehorsamsgelübde
gebrochen zu haben um sich sodann - als Sterbender - gegen die
gewissensbeugende
Macht der Systemräson mit den Worten: "... denn
ketzerischer Überzeugung
bin ich geblieben - und ich bereue nicht! -- ...."
aufzulehnen. Das
Drama endet in tiefer Betroffenheit und lässt ein
zornerfülltes, doch
nachdenkliches Publikum mit bohrenden Selbstzweifeln zurück.
Sollte ihm doch
nichts Menschliches fremd sein. Verantwortliche Gewissensfreiheit
versus
"Staatsräson" nennt sich die Beunruhigung, die sich im
Anschluss an
die Lektüre des Dramas dem Leser aufdrängt.
Dr. Otto Rommel merkt im Nachwort zum Stück (der
Reclamausgabe) mit einer
gewissen Berechtigung an, dass Hochwälder wohl der Versuchung
widerstanden
habe, aus diesem Stoff ein politisches "Lehrstück" - etwa in
der Art
von Bertolt Brecht - zu machen. Der politische Aspekt ist nur
angedeutet,
obgleich von aufdringlicher Selbstevidenz, was differenzierende
Deutungen in
Richtung stärkerer politischer Gewichtung immer schon
begünstigte und
jedenfalls für legitim erachten lässt. Im Zentrum der
Aufmerksamkeit steht die
Person des Provinzialen, welche in einer Situation
äußerster Zerrissenheit auf
ihr nacktes Menschsein zurückgeworfen ist. Ein dramatisches
Menschsein, das in
seiner Rolle als gehorsamer Jesuit menschlich versagt und gerade eben
über sein
Versagen auf sein Menschsein zurückgeworfen wird. Dass er
letztlich seiner
humanistischen Idee treu bleibt und diese seinen Tod
überdauert, ist ein
schwacher Trost, wenn man an die historischen Folgen seines Scheiterns
denkt.
Der von Gott und König verlassene Indiostaat unterlag nach
heldenhafter
Gegenwehr; seine Bewohner wurden ermordet, vertrieben oder versklavt.
Und 1773
musste der Papst den Jesuitenorden auflösen. Was vom heiligen
Experiment der
Nachwelt blieb ist die Erinnerung an ein erfolgreiches und deswegen
missliebiges
Sozialexperiment, das allein als Totalität gemahnender
Ruinenlandschaften die
Zeiten überdauerte, die, bis in die Gegenwart herein, von der
kulturellen Höhe
der sogenannten Jesuiten-Reduktionen berichten. Zwei der
größten Reduktionen
wurden von der UNESCO zum "Weltkulturerbe" erklärt. Ob und
inwieweit
die Patres S. J. etwa von den kommunistischen Utopien des englischen
Staatsmannes Thomas Morus (Utopia,
1516) und des italienischen Dominikaners Thomas Campanella (Der
Sonnenstaat,
1602) beeinflusst waren, bleibt dahingestellt und sei nicht Thema
dieser
Abhandlung - faszinierend wäre diese Fragestellung jedoch noch
allemal.
Zu dem Stück von Fritz Hochwälder ist
abschließend anzumerken, dass es sich
um ein packendes Drama klassischen Zuschnitts handelt, welches weder
mit
erhobenem Zeigefinger moralisiert noch in platter Manier politisiert
und doch
den Leser mit einem gerüttelten Maß an
sozialethischer Betroffenheit zurücklässt.
Das heilige Experiment mag tot sein, der heilige Zorn lebt mehr denn je
im Leser
dieses Textes fort.
(Harald Schulz)