"In Theben
geboren"
"Ich
bin achtzehn oder tausend." (Else Lasker-Schüler, nach ihrem Alter
gefragt)
"Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in
Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland. Ich ging bis 11 Jahre zur
Schule, wurde
Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich."
(Else Lasker-Schüler)
"Man konnte weder damals noch später mit ihr über die Straße gehen,
ohne dass alle Welt stillstand und ihr nachsah: extravagante weite
Röcke oder Hosen, unmögliche Obergewänder, Hals und Arme behängt mit
auffallendem, unechtem Schmuck, Ketten, Ohrringen, Talmiringe an den
Fingern, und da sie sich unaufhörlich die Haarsträhnen aus der Stirn
strich, waren diese, man muss schon sagen: Dienstmädchenringe, immer
in aller Blickpunkt." (Gottfried Benn über Else
Lasker-Schüler)
"Sie aß nie regelmäßig, oft lebte sie wochenlang von Nüssen und Obst.
Sie schlief oft auf Bänken und sie war arm in allen Lebenslagen und zu
allen Zeiten. Das war der Prinz von Theben, Jussuf, Tino von Bagdad,
der schwarze Schwan. Und dies war die größte Lyrikerin, die
Deutschland hatte." (Gottfried Benn über Else Lasker-Schüler)
Von
kulturellen wie religiösen Schnittstellen, den Farbtönen der
Einsamkeit und den sprachlichen
Schleiertänzen einer Außenseiterin und Vertriebenen
Else Lasker-Schüler, von Vertrauten "Els" genannt, wurde am 11. Februar
1869 als sechstes Kind des Privatbankiers Aaron und seiner Frau Jeanette
Schüler in Wuppertal Elberfeld in gehobene Verhältnisse hinein geboren.
Doch ihr weiterer Lebensweg verlief nicht eben in konventionellen
Bahnen, sie war eine starke Persönlichkeit voller Widersprüche.
1894 kam Else Lasker-Schüler mit ihrem Ehemann, dem Arzt Berthold
Lasker, von dem sie im Jahre 1903 geschieden wurde, nach Berlin und
widmete sich der Malerei. Durch Peter Hille fand sie Zugang zu den
Berliner Künstlerzirkeln.
1899 kam der Sohn Paul zur Welt, als dessen Vater nicht Berthold Lasker
angenommen wird, und der 1927 an Tuberkulose starb.
1902 erschien ihr erster Gedichtband mit dem Titel "Styx". In den
folgenden Jahren verband Else Lasker-Schüler eine inspirierende
Liebesbeziehung mit Gottfried
Benn, der als "Giselheer" in einigen ihrer Gedichte
verewigt wurde.
Ihrem Freundeskreis gehörten u.a. Karl
Kraus, Georg
Trakl, Franz Werfel und die Maler Oskar
Kokoschka und Franz Marc an.
Ein alter Tibetteppich Deine
Seele, die die meine liebet |
1903 heiratete
sie abermals, und zwar den Schriftsteller Georg Levin,
genannt Herwarth Walden. 1912 zerbrach auch diese Ehe; Else
Lasker-Schüler war völlig verarmt und auf die
Hilfsbereitschaft und Unterstützung ihrer Freunde
angewiesen. |
Der Titel des Gedichtbandes
"In
Theben geboren" mag sich zum Einen aus der
Dichterin Vorliebe für Verkleidungen, ihrem Hang zur Selbststilisierung,
wie auch aus der Figur des imaginären
"Prinzen Jussuf von Theben", in dessen Rolle sie bisweilen
schlüpfte,
den Rollenzwängen einer weitgehend verstockten
Mitmenschenwelt zu entkommen und eine Gegenwelt der Versöhnung, der
Toleranz
zu erschaffen, zum Anderen aus dem werkbezogenen Kontext erklären.
Wie auch
immer: Die Wahrnehmung einer als ungastlich erlebten Realität durch die
Brille der sinnlichen Poetisierung zu betrachten, wodurch das Dasein
erträglicher
schien und mitunter auch war (und ist), stellt eine Möglichkeit dar,
sich dem Werk Else
Lasker-Schülers, das neben Lyrik auch Prosatexte und Dramen umfasst,
anzunähern. Die Werke dieser Dame mit dem Hang zum
Orientalisch-Märchenhaften
zu entdecken, ist ein reizvolles Unterfangen für empfindsame Leser, die
Gattungsüberschreitungen und Stilpluralismus eines androgynen lyrischen
Ich zu
schätzen wissen.
"In Theben geboren" reiht die Gedichte der Chronologie ihrer Entstehung
folgend. Darin finden sich neben biblischen Motiven (z.B. "Moses und
Josua", "Abigail") und scheinbar naiven Ansätzen ("Mein blaues Klavier",
"Im Anfang") auch mehr oder minder verschleierte erotische Anspielungen
(beispielsweise in "Meine Schamröte", "Pharao und Joseph", "Dem
Holden").
Abgerundet wird der Band durch ein umfassendes Nachwort der
Herausgeberin Ruth
Klüger.
Übrigens widmete Else Lasker-Schüler zwei ihrer Gedichte Georg Trakl:
Georg Trakl |
Georg Trakl
|
Und Georg Trakl widmete Else
Lasker-Schüler das folgende Gedicht:
Abendland
4. Fassung
Else Lasker-Schüler in Verehrung
1
Mond, als träte ein Totes
Aus blauer Höhle,
Und es fallen der Blüten
Viele über den Felsenpfad.
Silbern weint ein Krankes
Am Abendweiher,
Auf schwarzem Kahn
Hinüberstarben Liebende.
Oder es läuten die Schritte
Elis’ durch den Hain
Den hyazinthenen
Wieder verhallend unter Eichen.
O des Knaben Gestalt
Geformt aus kristallenen Tränen,
Nächtigen Schatten.
Zackige Blitze erhellen die Schläfe
Die immerkühle,
Wenn am grünenden Hügel
Frühlingsgewitter ertönt.
2
So leise sind die grünen Wälder
Unsrer Heimat,
Die kristallne Woge
Hinsterbend an verfallner Mauer
Und wir haben im Schlaf geweint;
Wandern mit zögernden Schritten
An der dornigen Hecke hin
Singende im Abendsommer,
In heiliger Ruh
Des fern verstrahlenden Weinbergs;
Schatten nun im kühlen Schoß
Der Nacht, trauernde Adler.
So leise schließt ein mondener Strahl
Die purpurnen Male der Schwermut.
3
Ihr großen Städte
Steinern aufgebaut
In der Ebene!
So sprachlos folgt
Der Heimatlose
Mit dunkler Stirne dem Wind,
Kahlen Bäumen am Hügel.
Ihr weithin dämmernden Ströme!
Gewaltig ängstet
Schaurige Abendröte
Im Sturmgewölk.
Ihr sterbenden Völker!
Bleiche Woge
Zerschellend am Strande der Nacht,
Fallende Sterne.
(Georg Trakl; 3.2.1887 - 3.11.1914)
(kre)
Else Lasker-Schüler: "In Theben
geboren. Gedichte"
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ruth Klüger.
Suhrkamp. 112 Seiten.
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Weitere
Lektüreempfehlungen:
Else Lasker-Schüler: "Werke und Briefe. Kritische Ausgabe"
Band 10: Briefe 1937-1940. Bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki und
Andreas B.
Kilcher.
In insgesamt sechs Bänden werden in der Kritischen Ausgabe zum ersten
Mal sämtliche
überlieferten Briefe Else Lasker-Schülers vollständig und mit
Anmerkungen
versehen veröffentlicht. Sie dokumentieren den Lebensweg der jüdischen
Dichterin vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis in ihre Zürcher
und
Jerusalemer Exiljahre und geben neuen Einblick in ihr Leben und Werk.
Der vorliegende fünfte Band enthält über 550 Briefe aus den Jahren 1937
bis
1940. Es sind die beiden letzten Jahre Else Lasker-Schülers als
Flüchtling in
der Schweiz und ihre ersten Jahre in Jerusalem. Wie die Briefe aus den
Jahren
1933 bis 1936 sind auch diese geprägt von den existenziellen Nöten des
Exillebens. Da sie in der Schweiz keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis
erhält,
ist die siebzigjährige Dichterin gezwungen, 1939 nach Palästina zu
reisen.
Ihre Hoffnung, von dort aus wieder ein Einreisevisum für die Schweiz
erhalten
zu können, erfüllt sich nicht. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs macht
ihr
die Rückkehr nach Europa unmöglich. Else Lasker-Schüler bleibt bis zu
ihrem
Tod im Januar 1945 in Jerusalem.
Ihre Briefe der Jahre 1937 bis 1940 werden hier zum großen Teil erstmals
publiziert. Adressaten sind u. a. Samuel Josef Agnon, Schalom
Ben-Chorin, Hugo
Bergmann, Klaus
Mann, Emil Raas,
Erich Maria
Remarque, Salman Schocken und Ernst
Simon. (Jüdischer Verlag)
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Else Lasker-Schüler:
"Sämtliche Gedichte"
Herausgegeben von Karl Jürgen Skrodzki.
"Längst lebe ich vergessen im Gedicht", schreibt die aus
Nazideutschland vertriebene Dichterin. Nach ihrem Tod rühmt Gottfried
Benn sie
als "die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte". Ihre
sämtlichen
Gedichte sind hier erstmals in einer Leseausgabe in einem Band
versammelt - ein
einzigartiges poetisches Werk, in aller Vielfalt immer "liebentlang".
(Suhrkamp)
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Kerstin
Decker: "Mein
Herz - Niemandem. Das Leben der Else Lasker-Schüler"
Gottfried Benn
hielt sie für die größte Lyrikerin, die
Deutschland je hatte, Karl Kraus bekannte, für eines ihrer Gedichte den
ganzen
Heine herzugeben. Else Lasker-Schüler zählt zu den bedeutendsten
deutschen
Dichterinnen. Ihre expressionistische Lyrik steht am Beginn der
literarischen
Moderne, der sie im Kreis der Berliner Bohème des anbrechenden 20.
Jahrhunderts
eng verbunden ist. Bravourös gelingt es Kerstin Decker, die eigenwillige
deutsch-jüdische Poetin und mit ihr jene künstlerische Blütezeit zum
Leben zu
erwecken.
Im Berlin der Jahrhundertwende schrieb Else Lasker-Schüler ihre ersten
Gedichte, war in zweiter Ehe mit dem Schriftsteller und
Avantgarde-Förderer
Herwarth Walden verheiratet, zeitweise mit Benn liiert, mit Georg Trakl
befreundet. Franz Marc malte ihr seinen berühmten "Turm der blauen
Pferde".
Sie war die Radikalste unter diesen Radikalen, stand im Zentrum des
künstlerischen
Aufbruchs, der in Literatur, Kunst und Musik völlig neue Wege beschritt.
Ihr
Werk ist stark autobiografisch geprägt und vereinigt fantastische und
religiöse
Elemente mit einer ausgeprägten Naturliebe. 1932 mit dem angesehenen
"Kleist-Preis"
ausgezeichnet, musste sie nur ein Jahr später vor den
Nationalsozialisten in
die Schweiz fliehen, von wo aus sie 1939 nach Palästina emigrierte. Dort
starb
sie 1945, ihr Grab liegt auf dem Ölberg in Jerusalem. (Propyläen) Zur
Rezension
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Sigrid Bauschinger: "Else
Lasker-Schüler.
Biografie"
Mit einer Zeittafel zum Leben Else Lasker-Schülers und zahlreichen
Fotografien.
Für Karl
Kraus war sie "die stärkste lyrische Erscheinung des modernen
Deutschland", für ihren westfälischen Freund Peter Ruhe "der
schwarze Schwan Israels, eine Sappho,
der die Welt entzweigegangen ist".
Allerlei Legenden ranken sich um Else Lasker-Schüler, die ihre
Außenseiterposition
mit dem Nimbus des Auserwähltseins versah.
Sigrid Bauschinger, eine der besten Kennerinnen von Leben und Werk der
Dichterin, hat das Leben von Else Lasker-Schüler rekonstruiert.
(Suhrkamp)
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Erika Klüsener:
"Lasker-Schüler"
Alle Biografen, die sich mit Leben und Werk Else Lasker-Schülers
auseinandergesetzt haben, sind auf die gleichen Schwierigkeiten
gestoßen:
Dichtung und Leben sind bei dieser fantasiebegabten Frau so sehr
ineinander
verwoben, dass die Dichtung ihr Leben schien und ihr Leben zur Dichtung
geriet.
(rororo)
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Zu Vertonungen ihrer Gedichte ...