Vorrede
womit ich den Kaufherrn Jakob Oehrmann einschläfern mußte, weil ich seiner Tochter die Hundposttage und gegenwärtige Blumenstücke etc. etc. erzählen wollte
Den hl.
Weihnachtabend 1794, als ich aus der Verlaghandlung beider Werke und aus Berlin
in der Stadt Scheerau ankam, trat ich sogleich vom Postwagen in das Haus des
Herrn Jakob Oehrmann, meines vorigen Gerichtherrn, weil ich Wiener Briefe hatte,
die er recht gut gebrauchen konnte. Ein Kind kann sich vorstellen, daß ich
damals keinen Gedanken an eine Vorrede hatte: es war sehr kalt - schon der 24te
Dezember - die Laternen brannten schon - und ich war so steif ausgefroren wie
das Rehkalb, das als blinder Passagier mit mir auf dem Postwagen gesessen. Im
Laden selber, der voll Zug- und anderen Windes war, konnte kein vernünftiger
Vorredner wie ich arbeiten, weil da schon eine Vorrednerin - Oehrmanns Tochter
und Ladendienerin - mit mündlichen Vorreden die besten Weihnachtalmanache, die
man hat, begleitete und verkaufte, Duodez-Werkchen auf Löschpapier, aber mit
echtem Inhalt aus dem goldenen und silbernen Zeitalter, ich meine die Phrases-Bücher
voll Gold- und Silberschaum, womit der Hl. Christ wie der Herbst seine Geschenke
vergoldet oder wie der Winter versilbert. Ich verdenk' es der armen Ladenzofe
nicht, daß sie, von so vielen Einkäufern des Hl. Abends bestürmt, auf einen
alten Verkäufer so vieler hl. Abende, auf mich alten Kundmann, kaum hinnickte
und mich, ob ich gleich erst aus Berlin anlangte, sogleich zum Vater hineinwies.
Drinnen war
alles in Glut, Jakob Oehrmann sowohl wie sein Schreibkontor: er saß auch über
einem Buche, aber nicht als Vorredner, sondern als Registrator und Epitomator,
er zog die Generalbilanz des libro maestro. Er hatte sie schon zweimal
aufsummiert, aber die Kredit-Summa war und blieb um ein Schweizer-Örtlein, d. i.
13½ Xr. Zürcher Währung, zu seinem Schrecken größer als die
Debet-Summa. Der Mann hatte mit sich und mit dem Triebel an der im Kopfe
gehenden Rechnungmaschine zu tun: er sah mich kaum an, ob ich gleich sein
Gerichthalter gewesen war und Wiener Briefe hatte. Für Kaufleute, die wie ihre
Fuhrleute in der ganzen Welt zu Hause sind, und denen die entferntesten andern
handelnden Mächte täglich Großbotschafter und Envoyés, nämlich Reisediener
schicken, für diese ists nichts Großes, wenn man aus Berlin oder aus Boston
oder Byzanz anlangt.
Ich stand, an
diese kaufmännische Kälte gegen den Menschen gewöhnt, ruhig am Feuer und
hatte meine Gedanken, die hier zu des Lesers seinen werden sollen.
Ich untersuchte
nämlich am Ofen das Publikum und befand, daß ich solches wie den Menschen in
drei Teile zerlegen konnte - ins Kauf-, ins Lese- und ins Kunst-Publikum, wie
mehre Schwärmer den Menschen in Leib, Seele und Geist. Der Leib oder das
Kaufpublikum, das aus Geschäftgelehrten und Geschäftmännern besteht, dieses
wahre deutsche Reichs-corpus callosum braucht und kauft die größten und
korpulentesten (körperhaftesten) Werke und behandelt sie wie die Weiber die Kochbücher, es schlägt sie nach, um darnach zu arbeiten. Für diese gibt es in
der Welt zweierlei ausgemachte Narren, die sich nur in der Richtung ihrer
tollgewordnen Ideen unterscheiden, wovon die der einen zu sehr in die Tiefe, die
der andern in die Höhe geht - kurz die Philosophen und die Dichter. Schon Naudäus
macht in der Aufzählung der Gelehrten, die man ihrer Kenntnisse wegen in den
mittlern Zeiten für Zauberer gehalten, die schöne Bemerkung, es sei dieses nur
Philosophen, nie Juristen und Theologen widerfahren. Noch geht es den Weltweisen
so, nur daß, da der edle Begriff von Zauberer und Hexenmeister, dessen spiritus
rector und schottischer Meister der Teufel selber gewesen, herabgesunken ist zu
dem Namen eines starken oder weisen Mannes und Taschenspielers, der Weltweise
sich die letzte Bedeutung muß gefallen lassen. Mit dem Poeten steht es noch erbärmlicher;
der Philosoph ist doch ein vierter Fakultist, ein Amtinhaber, und kann über
seine Sachen lesen; aber der Poet ist gar nichts und wird nichts im Staate - er
wäre denn nicht geboren, sondern gemacht von der Reichshofkanzlei -, und
Leute, die ihn beurteilen können, werfen ihm ohne Umstände vor, er bediene
sich häufig solcher Ausdrücke, die weder im Handel und Wandel, noch in
Synodalschreiben, noch in General-Reglements, noch in Reichshofratsconclusis,
noch in medizinischen Bedenken und Krankheitsgeschichten gang und gäbe wären,
und er gehe sichtbar auf Stelzen und sei schwülstig und nie ausführlich oder
kurz genug. Gleichwohl bekenn' ich gern, daß man auf diese Weise den Dichter so
richtig rangordnet, wie Linnäus die Nachtigallen, welcher diese mit Recht, weil
er von ihrem Gesang absah, unter die närrischen eckigbeweglichen Bachstelzen
einrechnete.
Der zweite Teil
des Publikums, die Seele, das Lese-Publikum, besteht aus Mädchen, Jünglingen
und Müßigen. Ich werd' es weiter unten loben; es lieset uns alle doch und überschlägt
gern dunkle Blätter, worin bloß räsoniert und geschwatzt wird, und hält sich
wie ein ehrlicher Richter und Geschichtforscher an Fakta.
Das
Kunst-Publikum, den Geist, könnt' ich wohl weglassen; die wenigen, die nicht
nur für alle Nationen und alle Arten des Geschmacks Geschmack haben, sondern
auch für höhere, gleichsam kosmopolitische Schönheiten, solche wie Herder,
Goethe, Lessing, Wieland und noch einige, kommen mit ihren Stimmen bei einem
Autor auch außer der Minderzahl derselben schon darum, weil sie ihn nicht
lesen, wenig in Betracht.
Wenigstens verdienen sie nicht die Zueignung, womit ich mir am Ofen vornahm, das große Kauf-Publikum zu bestechen, das eigentlich den Buchhandel erhält. Ich wollte nämlich den Hesperus oder den Kuhschnappler Siebenkäs dem Gericht- und Handelherrn Jakob Oehrmann ordentlich zueignen: das war die Maske. Nämlich so:
Jakob Oehrmann
ist kein verächtlicher Mann: er hatte in Amsterdam vier Jahre als Börsenknecht
gedient, d. h. er läutete als kaufmännischer Glöckner von 11¾ bis 12 Uhr
die Börsenglocke. - Darauf wurd' er scharrend und schindend ein gutes Haus,
indem er keines machte, und stieg zur Würde eines Siegelbewahrers von einem
ganzen ritterschaftlichen Siegelkabinette, das auf den adligen Schuldscheinen
zerstreuet aufgepappt saß. - Er nahm zwar wie berühmte Schriftsteller kein bürgerliches
Amt an, sondern schrieb lieber, aber die gemeine Stadtmiliz von Scheerau, der
das Herz am rechten Orte sitzt, nämlich am sichersten, und die sich kühn
durchziehenden Truppen zeigt als ein aufmerksames Beobacht-corps, nötigte ihn,
ihr Hauptmann zu werden, ob er gleich mit der Stelle ihres Tuchlieferers sich
behelfen wollte. - Er ist ehrlich genug, besonders gegen Kaufleute, und weit
entfernt, wie Luther das geistliche Recht zu verbrennen, äschert er im bürgerlichen
kaum wenige Titel aus dem siebenten Gebote ein, ja er brennt sie nur an wie die
Wiener Zensur halb verbotne Bücher; und das tut er nur gegen Fuhr-, Schuld- und
Edelleute. Vor einem solchen Manne kann ich ohne Gewissensbisse einigen
wohlriechenden Weihrauch machen und in dem aufziehenden Zauberdampf seine holländische
Gestalt, wie die eines Schröpferischen Gespenstes, vergrößert erscheinen
lassen.
Nun wollt' ich
unter seinem Bilde einige Züge vom großen Kauf-Publikum einschwärzen; denn er
ist ein tragbares im Kleinen - er achtet, wie das große, nur Brotstudien und
Bierstudien, keine Reden als Tischreden, keine gelehrtern Zeitungen als
politische - er weiß, der Magnet ist bloß erschaffen, um seine hinangeworfnen
Ladenschlüssel zu tragen, der Aschenzieher, um seine Tabakasche zu sammeln,
seine Tochter Pauline, um beide zu ersetzen, wiewohl sie stärkere Dinge und stärker
zieht als beide - er kennt nichts Höheres in der Welt als Brot und verabscheuet
den Stadtmaler, der damit die Pastell-Kleckse wegscheuert - er und seine in drei
Hansestädte eingemauerten Söhne lesen und schreiben kein anderes und kein
geringeres Buch als das Haupt- und das Schmierbuch...
"Ich will
verloren sein", dacht' ich in der Ofenhitze, "wenn ich das Kauf-Publikum
feiner schildern kann als unter dem Namen Jakob Oehrmanns, der nur ein Ast oder
eine Fiber von ihm ist; aber es könnte nicht wissen, was ich wollte", fiel mir
ein; und dieses Rechnungsverstoßes wegen wurde auf heute ein ganz neuer Plan
gemacht.
Die Tochter kam
gerade, als ich den Verstoß heraus hatte, hinein und brachte den von Oehrmann
heraus samt der Generalbilanz... Jetzo sah der Vater mich an und machte etwas
aus mir, und als ich die Wiener Briefe - er setzt sie paulinischen und
poetischen gleich - als Kreditive vorzeigte, wurd' ich aus einer stummen
Freskopartie an der Kontorwand etwas, das Geist und Magen hat, und wurde mit
letztem zum Abendessen behalten.
Ich wills nur -
und hetzten auch die Kunstrichter alle deutsche Kreise gegen mich auf und gössen
eine neue Türkenglocke - ganz herausfahren lassen, daß ich bloß der Tochter
wegen kam und blieb. Ich weiß, die Gute hätte meine neuern Werke sämtlich
gelesen, hätte ihr der Alte Zeit dazu gelassen; und eben daher konnt' ich mir
nicht verbergen, es sei meine Schuldigkeit, den Vater in Schlaf zu reden, wenn
nicht zu singen und nachher der wachen Tochter alles zu erzählen, was ich der
Welt erzähle durch den Preßbengel. Dies war ja eben bekanntlich die Ursache,
daß ich gewöhnlich immer kam und sprach, wenn er Posttag hatte und leicht
einschlief.
Am Hl. Abend
sollten gar die 45 Hundposttage fast in ebensoviel Minuten ausgezogen werden;
ein langes Werk, das keinen kurzen Schlaf verlangte.
Ich wünschte, die Hrn. Redakteure der Rezensenten und Rezensionen, die mir hierin vieles verdenken, wären nur ein einzigesmal auf dem Kanapee neben meiner Namenbase Johanne Pauline gesessen: sie hätten ihr meine meisten Lebensbeschreibungen und die halbe Blaue Bibliothek in solchen guten pragmatischen Auszügen erzählt, als sie in Rezensionen vor ganz andern Gesichtern tun; sie wären in Wonne geschwommen über die Wahrheit in Paulinens Worten, über die Naivetät ihrer Mienen und über die Einfachheit sowohl als Schalkhaftigkeit ihrer Handlungen und hätten sie bei der Hand erfaßt und gesagt. "Solche rührende Lustspiele, wie eines da neben uns sitzt, schaff' uns nur der Dichter, und dann ist er unser Mann." - Ja wären die Redakteure vollends weiter gekommen im Bücherausziehen und hätten sich und Paulinen noch mehr gerührt, als ich von so strengen kritischen Gerichthaltern kaum erwartet hätte - und hätten sie dann die milde, in einen Tränennebel hintauende Gestalt gesehen oder eigentlich beinahe verloren (weil Mädchen und Gold desto weicher sind, je reiner sie sind), und hätten sie, wie natürlich, in einer himmlischen Wärme sich und den schnarchenden Vater fast völlig vergessen... Beim Himmel! ich bin jetzo selber in der größten, und die Vorrede will so bis morgen währen. Es muß offenbar gelassener fortgefahren werden...
(Aus "Siebenkäs.
Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand,
Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs
im Reichsmarktflecken Kuhschnappel" von Jean Paul; 21.3.1763-14.11.1825)