Totenliteratur im Alten Ägypten

   (...) Nach dem Niedergang der demotischen Zentralmacht am Ende des Alten Reiches und dem Aufstieg von mächtigen Provinzfürsten (Nomarchen) in der Ersten Zwischenzeit (ca. 2130 - 1938 v. Chr.) erstreckte sich die Aussicht auf Unsterblichkeit, ursprünglich den Königen vorbehalten, auf immer mehr soziale Schichten. In dieser Zeit und im Mittleren Reich wurden umfangreiche Spruchsammlungen (über 1100 Sprüche) an die Innenwände von Särgen und auf die Wände und Decken der Grabkammern geschrieben. Diese "Sargtexte" beinhalteten neue "Unterweltsbücher" und beschrieben die Reise der Seele durch die Unterwelt. Im Neuen Reich wurden die Sargtexte durch Spruchsammlungen auf langen, mit Vignetten illustrierten Papyrusrollen ersetzt. Diese Papyri waren teuer, konnten aber von jedem, der es sich leisten konnte, erworben werden. In der westlichen Literatur als "ägyptisches Totenbuch" bekannt, wurden sie von den Ägyptern als "Buch des Aufbruchs bei Tag" bezeichnet. Bis zum Ende der Faraonenzeit weisen die Rollen große Unterschiede in Anzahl und Abfolge der Sprüche auf, bestimmt durch örtlichen Brauch und die vom Schreiber verwendete Vorlage. Die Zahl der Sprüche beträgt knapp 200, was aber im Vergleich zu früheren Sammlungen keine Verminderung darstellt, da die einzelnen Texte oft Kombinationen verschiedener früherer Quellen waren.

   Das Totenbuch blieb bis in die römische Zeit gebräuchlich, gemeinsam mit neu verfassten Texten aus der Spätzeit. Die bekanntesten dieser späten Texte sind das "Buch des Atems", möglicherweise aus der Saïs-Zeit, und das ptolemäische "Buch von der Durchquerung der Ewigkeit". Ersteres ist von den Totenbüchern abgeleitet und enthält ein "verneinendes Geständnis" und Rezitationen von Isis. In der frührömischen Zeit wurde ein Abschnitt mit Sprüchen zur Bewahrung des Besitzernamens hinzugefügt. Das "Buch von der Durchquerung der Ewigkeit" besteht aus einer Ansprache an den Toten, dem versichert wird, dass er Osiris und die irdischen Kultzentren und Feste Ägyptens besuchen kann. (...)


(Aus: "Das Alte Ägypten" von David P. Silverman;
Frederking & Thaler Verlag.
ISBN 3-89405-513-8; 256 Seiten; EUR 19,5.